Für Menschenrechtsaktivisten ist es nicht weniger als ein Offenbarungseid, für eine wachsende Zahl von Politikern hingegen einer der wenigen Hoffnungsschimmer, das Dauerthema illegale Migration doch noch in den Griff zu bekommen. Anfang November vergangenen Jahres hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Ministerpräsidenten der Länder zugesagt, die Idee zu prüfen, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern. Die CDU nahm den Plan sogar in ihr neues Grundsatzprogramm auf, Vorstandsmitglied Jens Spahn reiste vor wenigen Wochen eigens nach Ruanda. Im Europawahlkampf hatten vor allem rechte und konservative Parteien massiv für ein solches Verfahren geworben. An diesem Donnerstag nun sollen den Chefs der Bundesländer die Einschätzungen von Experten vorgelegt werden – und die sind nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR eher kritisch. Der Plan, Asylsuchende in afrikanische Länder wie Ruanda zu schicken und dort zu entscheiden, ob ihnen innerhalb der EU Hilfe gewährt wird, scheint damit zumindest mit Blick auf eine rasche Umsetzung ins Wanken zu geraten.
Wie der Rechercheverbund aus den Expertenberichten zitiert, gibt es massive Zweifel an der Umsetzbarkeit – und das gleich auf mehreren Ebenen. So werden nicht nur juristische Bedenken geäußert, ein Verfahren in Drittstaaten wird von vielen der befragten Sachverständigen auch schlicht als ineffizient und teuer beurteilt.
Können Großbritannien und Italien als Vorbild dienen?
Diskutiert wird über die Auslagerung von Asylverfahren bereits seit Jahrzehnten. Aktuelles Vorbild für das deutsche Gedankenspiel sind Großbritannien und Italien. Die konservative britische Regierung bemüht sich seit Langem darum, Menschen, die ohne die notwendigen Papiere einreisen, in das afrikanische Land Ruanda abzuschieben. Sie sollen dort Asyl beantragen, eine Rückkehr nach Großbritannien ist allerdings nicht vorgesehen. Bislang ist aus der Theorie noch keine Praxis geworden.
Das EU-Land Italien will in Albanien Flüchtlingslager einrichten. Nach den Plänen sollen Menschen, die von den italienischen Behörden auf hoher See an Bord genommen wurden, nach Albanien gebracht werden. In den von Italien betriebenen Zentren in dem Nicht-EU-Land sollen ihre Asylanträge geprüft und, wenn nötig, schnelle Rückführungen ermöglicht werden – warum Abschiebungen aus Albanien leichter sein sollen als aus Italien, bleibt offen. Denn meist scheitern Rückführungen an der Weigerung der Herkunftsländer, die eigenen Bürger wieder aufzunehmen. Die Parlamente beider Staaten haben das entsprechende Abkommen trotz einiger Kritik gebilligt, die Umsetzung hatte sich zuletzt aber verzögert. Die Zentren sind zudem nur für Migranten vorgesehen, die von italienischen Behörden in internationalen Gewässern an Bord genommen werden, italienischen Boden also noch nicht betreten haben. Damit will Italien juristische Hürden umgehen. Da Flüchtlinge in Deutschland nicht übers Meer ins Land kommen, sondern über Drittstaaten, müssten sie wieder ausgeflogen werden. Im EU-Recht heißt es aber, eine Person könnte gegen ihren Willen nur in ein Drittland zurückgeschickt werden, zu dem es einen Bezug hat. Diese Regel müsste also explizit aufgehoben werden.
Das sagen Experten zu den Plänen der Regierung
Die von der Bundesregierung befragten Experten geben zu bedenken, dass in Lagern im Ausland ohnehin nur eine sehr begrenzte Zahl an Menschen untergebracht werden könnte. Albanien nimmt für Italien etwa maximal 3000 Menschen auf, von Großbritannien aus sollten rund 5700 Menschen nach Ruanda abgeschoben werden – zum Vergleich: Im Jahr 2023 wurden allein in Deutschland rund 350.000 Asylanträge gestellt. Hinzu kommt, dass Deutschland selbst die Kosten tragen müsste für Asylzentren im Ausland, nicht nur für die Versorgung der Flüchtige, sondern auch für das juristische Verfahren. Beides muss europäischen Standards entsprechen. Deutschland müsste also eigenes Personal abstellen, wäre weiterhin selbst für effiziente Verfahren zuständig. Das ist nicht nur ein Problem aufgrund personeller Ressourcen, sondern auch aus einem finanziellen Blickwinkel. „Der britische Rechnungshof errechnete im März, dass es bis zu zwei Millionen Euro kosten würde, einen Menschen nach Ruanda zu bringen. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 kostete eine Person, die in Deutschland Asylbewerberleistungen empfing, den Staat rund 12.000 Euro“, schreibt die Süddeutsche Zeitung.
Die Hoffnung ist, dass das neue Verfahren sich langfristig dennoch lohnt und vor allem eine abschreckende Wirkung hat. Die Botschaft an die Flüchtlinge soll sein: Macht euch gar nicht erst auf den Weg, denn ihr kommt nicht nach Europa. Allerdings gibt es große Zweifel, dass diese Rechnung aufgeht. Im Jahr 2023 etwa starben auf der berüchtigten Mittelmeerroute zwischen Afrika und Europa mindestens 2400 Menschen – doch noch nicht einmal die Aussicht auf den Tod hat abschreckende Wirkung, die Zahl der Flüchtenden bleibt anhaltend hoch.