Beim Start der Ampel-Koalition wollten SPD, Grüne und FDP eines vor allem nicht werden: so wie die Union. Diskussionen werde man hinter verschlossenen Türen führen, etwaigen Streit koalitionsintern regeln, versprachen die drei Regierungsparteien. Der Burgfrieden hielt allerdings nur ein gutes Jahr. Die ganz schweren verbalen Geschütze werden noch nicht aufgefahren – von "Wildsau" und "Gurkentruppe" ist bisher keine Rede –, doch die Ampel gibt längst ein Bild der Zerrissenheit ab. Wer abseits der Mikrofone mit Abgeordneten spricht, ist erstaunt über die Wut, die sich aufgestaut hat.
Planungsbeschleunigung, Kindergrundsicherung, Gasheizungen, die Energiepolitik insgesamt oder die Verteidigungsausgaben, der Wohnungsbau – die Liste der Streitpunkte ist lang und betrifft alle Ministerien. Einem Basar gleich feilschen die Ressorts um die besten Konditionen und wollen möglichst viel für sich herausholen. Das geplante Budget für 2024 ist bereits um mehrere Milliarden Euro überzeichnet und das bedeutet: Irgendwer muss Abstriche machen, denn mehr als 420 Milliarden Euro kann Finanzminister Christian Lindner nicht lockermachen, wenn die Schuldenbremse im nächsten Jahr wie versprochen eingehalten werden soll.
Die FDP pocht auf den Koalitionsvertrag
Lindners FDP wähnt sich auf der sicheren Seite. "Wir halten uns an den Koalitionsvertrag, sind aber auch die Einzigen, die das tun", sagt ein liberaler Abgeordneter. "Zugleich muss der Bund alle Ressourcen bündeln und zielgerichtet einsetzen, um ab dem Jahr 2023 wieder den verfassungsrechtlich gebotenen Normalpfad nach der Schuldenregel erreichen zu können", heißt es da, die Maßgabe ist also eigentlich klar. Eine ressortübergreifende Einigung ist jedoch nicht in Sicht.
Am Wochenende trifft sich das Bundeskabinett in Schloss Meseberg zur Klausurtagung. Die zweitägige Veranstaltung im malerischen Brandenburg wäre ideal geeignet, um die großen Brocken in der Budgetplanung für 2024 abzuräumen. Dem Vernehmen nach steht der Haushalt jedoch nicht auf der Tagesordnung, Kanzler Olaf Scholz will Krach vermeiden und lässt stattdessen wachsweiche "Zukunftsthemen" sowie den Ukraine-Krieg beraten.
Verteidigungsminister Pistorius will zehn Milliarden mehr
Dabei drängt die Zeit, denn bald sollen die Eckpunkte für den Etat des nächsten Jahres stehen. Abgearbeitet ist jedoch noch nichts. Im Gegenteil, der Druck nimmt sogar zu. Verteidigungsminister Boris Pistorius etwa meldete jüngst einen zusätzlichen Bedarf von zehn Milliarden Euro an, der Wehretat würde damit auf 60 Milliarden Euro steigen. Doch wenn Pistorius mehr Geld bekommt, muss das auch für Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) gelten. Ihre Mittel sollen "wie bisher im Maßstab eins zu eins wie die Ausgaben für Verteidigung" steigen. So steht es im Koalitionsvertrag.
Schulze muss allerdings mit einer Kürzung ihres Zwölf-Milliarden-Etats um zehn Prozent rechnen. Ein Schicksal in ähnlicher Größenordnung steht dem von Annalena Baerbock geleiteten Auswärtigen Amt bevor. Wie die vielfältigen Aufgaben des Außenamtes dann noch erledigt werden sollen, ist ihrer Partei ein Rätsel.
Habeck kritisiert Lindner
Vizekanzler Robert Habeck meinte deshalb unter anderem das Außenamt, als er Lindner "stellvertretend für die von den Grünen geführten Ministerien" einen unfreundlichen Brief zu den Eckwerten des Haushalts 2024 schrieb, die seine Partei so "nicht akzeptieren" könne. Habeck meinte auch das von Lisa Paus geführte Familienministerium, das die sogenannte Kindergrundsicherung einführen will. Die steht im Koalitionsvertrag, kostet aber zwischen elf und 13 Milliarden Euro. Selbst wenn die Summe nicht auf einmal fällig wird – Lindner tut sich gerade schwer, das Geld zu bewilligen.
Es wäre wohl an der Zeit, dass sich Kanzler Olaf Scholz in den Streit einmischt, doch der SPD-Politiker schweigt. Der langjährige Bundesfinanzminister weiß, dass um den Haushalt eines jeden Jahres Streit entbrennt. Ob sein Kalkül aufgeht, die Sache einfach aussitzen zu wollen, ist fraglich. Denn diesmal, Habecks Brief an Lindner zeigt es, geht es nicht um ein paar neue Planstellen im Ministerium oder einen neuen Dienstwagen. Alle drei Parteien wollen und müssen Grundsatzpositionen durchsetzen. Nicht nur die FDP ist angeschlagen, in der neuesten Forsa-Umfrage für das RTL/NTV-Trendbarometer kommen alle Ampel-Parteien nur noch auf einen Wähleranteil von 42 Prozent. Das sind zehn Punkte weniger als bei der Wahl 2021.
Ein Ende des Streits ist nicht in Sicht. Der für Anfang März geplante Koalitionsausschuss wurde auf die Monatsmitte verschoben. Ob er wirklich stattfindet, ist offen.