Die AfD gewinnt immer mehr politischen Einfluss: Bis auf Schleswig-Holstein und Bremen ist sie in allen Landesparlamenten der Bundesrepublik vertreten. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg werden im kommenden Herbst die Landtage neu gewählt, dort lag die AfD zuletzt in Umfragen jeweils vorn – und wäre am Sonntag Bundestagswahl, würde sie nach aktuellen Prognosen mehr als 20 Prozent der Stimmen holen, damit wäre sie zweitstärkste Kraft. Gleichzeitig werden Teile der Partei vom Verfassungsschutz beobachtet und bereits drei Landesverbände als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft. Zahlreiche Prominente, erste Politikerinnen und Politiker sowie über 400.000 Unterzeichner einer Petition fordern nun die Prüfung eines Parteienverbots.
"Eines der Werkzeuge einer wehrhaften Demokratie ist das Parteienverbot. Wenn eine Partei bestrebt ist, die Demokratie abzuschaffen, ist es demokratisch, diese Partei zu verbieten", heißt es im Beschreibungstext der Petition. Unter den Erstunterzeichnern finden sich Prominente wie die Schauspielerin Nora Tschirner oder Bela B von der Band Die Ärzte. Ins Leben gerufen wurde die Petition vom Augsburger Blog "Volksverpetzer", eine medienkritische, aktivistische Redaktion mit einem Fokus auf Faktenchecks. "Unser Ziel ist nicht das Verbot, sondern die juristische Prüfung eines AfD-Verbots. Anlass war das Rechtsgutachten des Instituts für Menschenrechte", sagt "Volksverpetzer"-Redakteur Marcello Orlik. Jenes Gutachten besagt, dass die rechtlichen Voraussetzungen für ein Verbot der AfD erfüllt seien.
Juristische Hürden für Parteiverbot der AfD sind sehr hoch
Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger stellt das infrage. "Ich habe große Zweifel, dass das dem Bundesverfassungsgericht reichen wird", sagt die Juristin gegenüber unserer Redaktion. Die Hürden eines Parteiverbotsverfahrens seien sehr hoch. Eine Partei könne nur dann verboten werden, wenn sie nicht nur eine verfassungsfeindliche Haltung vertritt, sondern diese auch in aggressiver-kämpferischer Weise umsetzen will. Grundsätzlich obliegt die Entscheidung über ein Verbot dem Bundesverfassungsgericht. Das kann aber nur tätig werden, wenn die Antragsberechtigten – der Bundestag, der Bundesrat oder die Bundesregierung – einen Verbotsantrag stellen.
Die Petition der "Volksverpetzer" richtet sich deshalb an den Bundesrat: "Wir erhoffen uns mit diesem Weg höhere Erfolgschancen", so Orlik. "Wir haben die Bundesratsvorsitzende Manuela Schwesig angefragt, ob wir ihr die Petition übergeben können, und warten auf Feedback." Seiner Meinung nach gibt es ausreichend Anhaltspunkte für ein Verbot. Spätestens die Einstufungen des Verfassungsschutzes würden die verfassungsfeindlichen Aussagen und Verhaltensweisen belegen. Schönberger hingegen glaubt nicht, dass dies ausreiche: "Die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts sind deutlich höher als die des Verfassungsschutzes."
Die Professorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf bezweifelt, dass der AfD eine aggressiv-kämpferische Grundhaltung nachgewiesen werden könne. Zudem dürfte sich die Beweislage wesentlich schwieriger gestalten als im gescheiterten Verbotsverfahren der NPD. Einzelne verfassungsfeindliche und rechtsradikale Äußerungen würden nicht ausreichen. Der ganzen Partei müssten eine Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus attestiert und das Bestreben, demokratische Institution abzuschaffen, nachgewiesen werden. Außerdem könnte die AfD ein Verbot vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anfechten, der in den vergangenen Jahren bereits mehrere Parteiverbote in anderen Staaten gekippt hat.
Markus Söder und Joachim Herrmann sehen AfD-Verbot skeptisch
Dennoch gibt es mittlerweile auch aus der Politik erste Bestrebungen, ein Verbot zu prüfen. Neben vereinzelten Linken- und Grünen-Politikern macht sich vor allem der ehemalige Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, für ein Verfahren stark. Der CDU-Abgeordnete sucht seit einigen Wochen Mitstreiter für einen fraktionsübergreifenden Antrag im Bundestag – 36 braucht er dazu. Allerdings will Wanderwitz das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster zur Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz abwarten. Der Bundesverband der Partei wehrt sich dort gegen ein Urteil aus erster Instanz. Im März 2022 hatte das Verwaltungsgericht Köln dem Verfassungsschutz bei der Einstufung der AfD als Verdachtsfall recht gegeben. Ein Urteil wird im Frühjahr 2024 erwartet.
Ministerpräsident Markus Söder äußerte sich jüngst skeptisch zu einem Verbotsverfahren. Dies würde genauso scheitern wie jenes der NPD. Er wünscht sich, dass die AfD vom Verfassungsschutz auf nationaler Ebene als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagt gegenüber unserer Redaktion: "Ein AfD-Verbotsverfahren hätte erst dann Sinn, wenn es auch realistische Chancen für ein entsprechendes Urteil beim Bundesverfassungsgericht gäbe. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Auseinandersetzung mit der AfD auf politischer Ebene aus meiner Sicht vorrangig."
Verfassungsrechtlerin: AfD würde Verbotsverfahren instrumentalisieren
Verfassungsrechtlerin Schönberger betont: "Bei den Menschen, bei denen die AfD verfängt, würde es Wasser auf die Mühlen gießen und das Misstrauen in den demokratischen Prozess noch viel stärker befeuern." Hinzu kommt, dass sich ein Verfahren über Jahre ziehen würde. "Es ist völlig klar, dass die AfD ein Verbotsverfahren instrumentalisieren und in ihre große Erzählung von den korrupten Eliten, den undemokratischen Institutionen und dem illegitimen Bekämpfen ihrer Anliegen einweben würde", ergänzt sie.
"Volksverpetzer"-Redakteur Orlik gesteht ein: "Ein Parteiverbot allein löst die Probleme nicht, bremst aber den Einfluss." Dennoch hoffen sie, dass ihre Petition Erfolg hat und ein Verbot geprüft wird: "Wir würden uns sonst vorwerfen, nicht alle demokratischen Mittel ausgeschöpft zu haben." Gerade das sieht Schönberger kritisch: "Die demokratischen Institutionen sollten andere Mittel wählen, als selbst ins Autoritäre zu kippen. Zudem sind die juristischen Erfolgsaussichten sehr ungewiss, und der Schaden, der im Erfolgs- oder Misserfolgsfall droht, scheint mir sehr groß."