Mathias Döpfner, Vorstandschef des Medienriesen Springer und gelernter Journalist, hat gerade einen Beitrag zu Corona veröffentlicht. Darin ließ Döpfner zwar offen, ob er die aktuellen Schutzmaßnahmen für übertrieben hält oder nicht. Aber er hielt klar fest: „Am Auftrag der Journalisten darf sich auch in der Krise nichts ändern. Gerade dann nicht. Sie sollten weiter zweifeln und hinterfragen. Es braucht jetzt nicht nur Solidarität und Gemeinsinn, sondern auch Kritik. Und vor allem Vielfalt der Informationen und Meinungen. Wir brauchen keine zentralstaatliche Propaganda, sondern einen Wettbewerb kritischer Intelligenz.“
Man könnte es auch so sagen: Diskussionsbereitschaft ist in Deutschland gerade „systemrelevant“. Ist das nicht selbstverständlich? In Zeiten von Corona offenbar nicht mehr. Als ich vorige Woche einen Kommentar mit der Zeile „Schaffen wir unsere Freiheit ab?“ verfasste, erhielt ich hunderte von Zuschriften, auch viele kritische. Deren Tenor: Wer die aktuellen Maßnahmen nur hinterfrage, handele mindestens unsolidarisch, wenn nicht ungehörig.
Es ist gut, dass unsere Politiker in der Coronakrise auf Wissenschaftler hören
Zur Klarstellung: Corona ist schlimm, es ist gefährlich, es wurde lange unterschätzt. Jeder Tote ist einer zu viel – und es ist gut, dass unsere Politiker anders als ein Donald Trump auf Wissenschaftler hören. Dennoch müssen wir Fragen aussprechen, statt sie als unaussprechbar abzuwürgen. Etwa: Was machen wir alle da gerade eigentlich? Ist aus Angst vor dem Virus jede Abwägung verboten? Und sollte uns frösteln lassen, mit welcher Geschwindigkeit Grundrechte zur Disposition gestellt werden?
Die Gegenargumentation ist immer gleich: Rechte seien ja nur kurzzeitig ausgesetzt, und nur in allerbester Absicht. Außerdem: Was bitteschön sei die Alternative? Dass Mediziner so argumentieren müssen, wenn es um Lebensschutz geht, ist klar. Aber darf es ein reines Primat der Medizin geben, wenn eine ganze Gesellschaft so stark eingeschränkt wird wie seit dem Weltkrieg nicht mehr – und unsere Wirtschaft gigantische Einbußen erleiden könnte, mit vielen lebensverkürzenden Begleiterscheinungen (Selbstmorde, Verzweiflung, Depressionen)? Schiebt die Politik die Legitimation unpopulärer Maßnahmen derzeit auf Wissenschaftler ab, die aber nicht gewählt sind – und sich (zu Recht!) oft selbst korrigieren? Nicht einmal über Corona-Sterblichkeitsraten herrscht Einigkeit – genauso wenig wie über die Frage, wie Schutz am wirksamsten (und auch so minimalinvasiv wie möglich?) klappen kann. Statt zu debattieren, reden aber nun viele vom „Krieg“ gegen Corona. Krieg erlaubt bekanntlich alle Mittel, ein frühes Opfer ist die Wahrheit. Zu der gehört, dass die Politik noch keine Strategie hat für den Fall, dass die Zahl der Infizierten wieder steigt, sobald Kontaktsperren gelockert werden – und keine Antwort, ob ein Krieg gegen ein Virus je echt zu gewinnen ist.
In Deutschland gibt es nur noch Corona-Bekämpfer
Dennoch gibt es in Deutschland offenbar keine Parteien mehr, nur noch Corona-Bekämpfer. Die ZEIT hat den Ober-Virologen Christian Drosten schon zum neuen Bundeskanzler ausgerufen. So ein Virologen-Bundeskanzler könnte auch richtig durchregieren, denn Ländervorbehalte wurden in Sachen Virenpolitik ja weitgehend abgeschafft. Abgeschafft hat sich praktisch auch die Opposition, selbst wenn es um einen Corona-Nachtragshaushalt in Höhe von 156 Milliarden Euro geht.
Wird also der aktuelle Ausnahmezustand – politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich – zur Regel? Kritiker am Zustand lieferten ja keine Alternativen, heißt es oft. Aber müssen Sie das? Erst durch Debatten kann sich Strategie entwickeln. Politik ist nie alternativlos.
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