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Weltfrauentag: Rita Süßmuth im Interview: „Ich war oft sehr verzweifelt“

Weltfrauentag

Rita Süßmuth im Interview: „Ich war oft sehr verzweifelt“

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    Rita Süßmuth kämpft auch in ihrer eigenen Partei für mehr Frauenrechte.
    Rita Süßmuth kämpft auch in ihrer eigenen Partei für mehr Frauenrechte. Foto: Stefan Boness/Ipon

    Frau Süßmuth, drei Männer bemühen sich um die Nachfolge der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und in der Folge auch um das Kanzleramt. Wo sind denn die Frauen in diesem politischen Wettstreit?

    Rita Süßmuth: Die Frage ist berechtigt. Zugleich muss ich feststellen: Es ist das erste Mal, dass in so einer Situation überhaupt die Frauenfrage gestellt wird. Das habe ich in allen anderen Wahlperioden nicht erlebt – vor allem dann nicht, wenn es um Führungspositionen ging. Das halte ich wirklich für eine große Veränderung, für einen Unterschied. Und dieser Unterschied resultiert sicherlich auch aus Erfahrungen der vergangenen 15 Jahre, in denen eine besondere Frau Deutschland regiert hat. Heute haben wir mit Ursula von der Leyen eine Frau an der Spitze der EU und mit Annegret Kramp-Karrenbauer eine Frau an der Spitze der CDU. Und gerade Angela Merkel weiß – trotz aller massiven und verletzenden Kritik aus bestimmten Kreisen – um die breite Unterstützung in der Bevölkerung. Sie alle haben gezeigt: Wir können etwas, wir leisten etwas und wir haben eine andere Art, Probleme anzugehen.

    Umso erstaunlicher ist es doch, dass aktuell gar keine Frau zur Wahl steht.

    Süßmuth: Wir können keine Frau aus dem Hut zaubern. Leider wirken alte Strukturen bis heute nach. Frauen halten sich stärker zurück. Sie haben immer wieder erfahren, dass sie eher geduldet, aber nicht erwünscht sind. Deshalb finde ich es gut, dass jetzt nach den Frauen gefragt wird. Das ermutigt viele Frauen. Und das zeigt mir: Wir sind in einer neuen Zeit angekommen, in der aber immer wieder unsere alten Strukturen und Stereotype durchscheinen. Denn die aktuelle Diskussion beweist auch wieder, dass es Bilder von Frauen gibt, die der Realität längst nicht mehr entsprechen.

    „Das Mädchen kann das nicht“

    Was meinen Sie damit?

    Süßmuth: Es gibt den schlichten Satz: „Das Mädchen kann das nicht.“ Kanzlerin Angela Merkel hat den immer wieder gehört. Doch Frauen sind zu Höchstleistungen fähig. In der Wissenschaft haben sie sich längst durchgesetzt, sie sind in vielen Berufsfeldern immens vorangekommen. Nur in der Politik hinken wir hinterher. Und das zeigt, dass wir Nachholbedarf haben. Die Frauenbewegung war der erste große Schritt, nun müssen wir den zweiten Schritt machen.

    Wie könnte der aussehen?

    Süßmuth: Wir brauchen Parität, wir brauchen gleiche Anteile von Frauen und Männern in der Politik, in den Parlamenten und in den demokratischen Gremien. Das gilt für die lokale Ebene, die Landes- und Bundesebene wie auch für das Europäische Parlament.

    Gerade die Union sperrt sich gegen eine Frauenquote. Ist die CDU eben doch noch eine Männerpartei?

    Süßmuth: Wenn Sie sich anschauen, wie sich der Wandel von Gesellschaften vollzieht, dann werden Sie sehen: Lange durchgehaltene Normen und Bilder zu ändern, ist schwierig. Aber um auf die Frage zu antworten: Ja, wir haben gerade in meiner Partei eine lange Tradition der männlichen Sichtweisen und der männlichen Politik – die viele auch erhalten möchten. Statt sich auf eine Entwicklung einzulassen, beharrt man auf dem Vertrauten. Erst seit 2013 hat der Staat die Betreuung für Kinder unter drei Jahren, 2007 die Elternzeit eingeführt. Und heute erwarten wir von Frauen, dass sie alles gleichzeitig schaffen – Beruf und Familie. Wir leben in einer Zeit massiver Umbrüche: wissenschaftlich, technisch sozial und kulturell. Dabei gilt es, die neuen Chancen zu nutzen, Risiken und Gefahren soweit möglich nicht nur zu thematisieren, sondern ihnen auch entgegenzuwirken.

    „Merkel hat nie gesagt, das sie Feministin ist“

    Angela Merkel ist zwar die erste Bundeskanzlerin, hat sich aber nie öffentlich für Frauen eingesetzt. Hätte sie mehr machen können und müssen?

    Süßmuth: Angela Merkel hat nie von sich behauptet, dass sie eine Feministin wäre. Sie kam aus dem Osten, dort war die feministische Bewegung ein Fremdwort. Trotzdem muss ich sagen: Gut, dass diese Frau in dieser Zeit unsere Bundeskanzlerin ist. Sie erfährt breite Anerkennung in der Bevölkerung. Ich hatte früher auch harte Gegner und Kritiker in der Partei, aber viel Zuspruch von den Bürgern und Bürgerinnen.

    Kamen Sie jemals an den Punkt, wo Sie hinschmeißen wollten?

    Süßmuth: Dass ich in die Politik gehen würde, war nicht geplant. Ich kam aus der Wissenschaft. In der Politik habe ich Wichtiges hinzugelernt. Ich war oftmals sehr verzweifelt und bedrückt. Meine Tochter war mitbetroffen und hat gefragt: Warum macht die Mama das weiter? Aber es hat sich gelohnt, durchzuhalten. Meine Bewährungsprobe war das Aids-Virus. In den 80er Jahren wusste man wenig über HIV. Ich war ständig der Kritik ausgesetzt: „Wir werden den Kampf verlieren, weil Sie zu stark auf Prävention setzen.“ Ein weiteres Beispiel: Wir haben 25 Jahre gebraucht, um Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen. Frauen aus unterschiedlichen Parteien haben sich solidarisch gezeigt. Diese Entschlossenheit brauchen wir immer wieder, wenn uns der Gegenwind hart ins Gesicht bläst.

    Ruf nach weiblicher Solidarität

    Gibt es diese weibliche Solidarität, diese weiblichen Rebellinnen heute noch? Manchmal hat man den Eindruck, auch Frauen glauben, es sei doch schon genug erreicht…

    Süßmuth: Wenn Frauen das denken, dann irren sie sich. Ich sehe weiterhin eine gläserne Decke, ich sehe Frauen, die sich enttäuscht zurückziehen, ich sehe, wie sich durch die AfD das gesellschaftliche Klima verändert. Deshalb ist die Frage, wie loyal stehen wir zueinander, ganz zentral. Das ist damals 1918 bei der Frage um die Einführung des Frauenwahlrechts gelungen und das muss uns heute auch wieder gelingen. Natürlich haben wir Frauen unterschiedliche Positionen, aber es gibt Momente, in denen man fragen muss: Worauf kommt es jetzt an? Das muss uns heute in der Debatte um mehr Frauen in den Parlamenten auch wieder gelingen.

    Sind Frauen vielleicht manchmal selbst schuld, dass der Fortschritt im Schneckentempo daherkommt?

    Süßmuth: Darauf antworte ich mit Ja und Nein. Nein, weil Frauen – ohne dass es öffentlich anerkannt wird – schon ungemein viel geleistet haben. Trotz langer geschichtlicher Phasen der Ausgrenzung haben sie sich nicht abschrecken lassen. Ja, weil wir Frauen uns viel stärker zu Wort melden müssen, vor allem, um zu sagen, wie wir die Dinge verändern wollen. Wir dürfen nicht wieder in die Verlegenheit kommen, erst einmal zu suchen, wenn sich wieder die Gelegenheit ergibt, Verantwortung zu übernehmen. Das erleben wir im Moment. Es wird zwar die Frage nach den Frauen gestellt. Aber am Ende tut man so, als sei das letzte Jahrhundert übersprungen worden.

    Das Ringen um Macht ist hart. Wollen Frauen zu sehr gemocht werden?

    Süßmuth: Ein früherer SPD-Generalsekretär hat einmal über mich gesagt: „Sie ist ätzend konsequent.“ Dieses „ätzend“ hat mir nie gefallen. Trotzdem habe ich weitergemacht. Ich kann den Frauen nur sagen: Wartet nicht auf bessere Zeiten – wenn nicht jetzt, wann dann? Was wir heute brauchen, ist ein Gesetz, das die paritätische Besetzung von Wahllisten ermöglicht. Frauen müssen dafür nicht gleich auf die Straße gehen, aber der Schritt in die Öffentlichkeit gehört dazu – denn ohne Öffentlichkeit existiert man nicht.

    „Die CDU muss ihre Satzung ändern“

    Wird die CDU durch das rein männliche Kandidaten-Trio Stimmen von Frauen verlieren?

    Süßmuth: Unsere Mitbewerber legen zumindest einen ganz anderen Schwung hin, wenn es darum geht, Frauen für die Politik zu gewinnen. Die Grünen schaffen es auch ohne Gesetzesänderung, den Anteil der Frauen auf 58 Prozent zu heben. Es geht also sehr wohl. Auch die CDU muss ihre Satzung verändern. Wir brauchen mehr Verbindlichkeit und Verlässlichkeit. Bis jetzt sind die Texte „weich“ und unverbindlich. Es gibt nur Absichtserklärungen. So können wir nicht weitermachen. Die Parität von Männern und Frauen in der Politik muss endlich verbindlich werden – wir brauchen ein Gesetz. Wir brauchen verbindliche Entscheidungen und Verfahren, die beiden Geschlechtern gleiche Chancen der Mitwirkung und Einflussnahme erreichen lassen. Wir dürfen das nicht wieder auf das nächste Jahrhundert verschieben.

    Haben Sie sich als Frau in der Politik jemals als „Feigenblatt“ gefühlt?

    Süßmuth: Natürlich war ich ein Feigenblatt. Als ich in die Politik kam, konnte man die Frauen in der Politik an einer Hand abzählen. Ich wollte selbst lange keine Quotenfrau sein, aber habe irgendwann eingesehen: Ohne Quote geht es nicht. Inzwischen bin ich für eine paritätische Lösung, dann füllen Frauen nämlich keine Quote aus, sondern die Anteile zwischen Frauen und Männern werden gleich verteilt. Für mich ist deshalb auch jetzt, bei der Entscheidung über die Nachfolge von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, entscheidend: Wie gehen die Kandidaten mit dem Thema der Beteiligung von Frauen und Männern um? Es reicht nicht, zu sagen: Wenn ich bei der Wahl erfolgreich bin, stelle ich auch einen Posten für eine Frau zur Verfügung.

    Lesen Sie dazu auch: Warum für Frauen in Top-Positionen oft kein Mutterschutz gilt

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