Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Corona-Krise: Was würde ein zweiter "Lockdown" mit uns machen?

    • |
    Durch Besuchseinschränkungen können sich Pflegebedürftige und Kranke einsam und isoliert fühlen.
    Durch Besuchseinschränkungen können sich Pflegebedürftige und Kranke einsam und isoliert fühlen. Foto: Frank Molter, dpa (Symbolfoto)

    Mehr als 11.000 Neuinfektionen – an einem Tag. Die Corona-Krise in Deutschland spitzt sich zu. Kommt das öffentliche Leben wieder zum Stillstand? Wie ist die Lage in den Krankenhäusern? Und wie gut ist die Politik eigentlich vorbereitet? Ein Überblick.

    Die Krankenhäuser

    Kliniken bereiten sich auf den „Worst Case“ vor.

    Die Krankenhäuser haben viel aus der ersten Corona-Welle gelernt, aber genau deshalb blicken sie beunruhigt auf die aktuelle Entwicklung: „Die stark steigende Zahl der Neuinfektionen ist besorgniserregend“, sagt der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum. „Wir wissen aus dem Frühjahr, dass stationäre Behandlungsfälle zwangsläufig aus diesen Neuinfektionen folgen.“

    Damals mussten bis zu 14 Prozent der Infizierten wegen einer Corona-Erkrankung in eine Klinik: „Für die Planung der Krankenhäuser müssen wir dies als Worst Case weiterhin annehmen. Das heißt bei einem täglichen Infektionszuwachs von mehr als 10.000 Fällen folgt zeitlich verzögert deutlich steigender Bedarf an Krankenhaus- und Intensivversorgung.“ Schon seit Anfang Oktober habe sich die Zahl der Covid-Intensivpatienten in Deutschland von 373 auf knapp 1000 fast verdreifacht.

    Noch ist über ein Drittel der 30.000 deutschen Intensivbetten frei.
    Noch ist über ein Drittel der 30.000 deutschen Intensivbetten frei. Foto: Alexander Kaya (Symbol)

    Noch sei über ein Drittel der 30.000 deutschen Intensivbetten frei. „Zudem gibt es weitere 12.000 Betten, die bei Bedarf aktiviert werden können“, sagt Baum. Auch gebe es deutlich mehr Beatmungsbetten als im Frühjahr. „Zentrales Problem ist der Engpass beim Pflegepersonal“, betont der Klinikverbandsgeschäftsführer. „Wir werden von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erneut eine große Flexibilität und Einsatzbereitschaft abverlangen müssen, um in dieser Ausnahmesituation den Schutz der Bevölkerung zu organisieren“, betont Baum. Immerhin gebe es nun einen deutlich besseren Vorrat an Schutzausrüstung.

    Das Seelenheil

    Der Druck auf die Psyche schwächt den Körper.

    An einem Impfstoff gegen das Virus wird geforscht, doch auch viele Seelen sind längst von der Krankheit befallen: Angst vor Ansteckung. Angst vor der Arbeitslosigkeit. Angst vor der Zukunft. Die Unsicherheit setzt vielen Menschen zu. Die Vorstellung einer einsamen Weihnacht ist ein Albtraum. „Wir haben die Krise schon einmal durchlebt – verbunden mit der Hoffnung, dass sie vorbei und durchschritten ist“, sagt die Psychotherapeutin Mirriam Prieß. „Jetzt kommt eine Wiederholung und das ist immer sehr belastend.“

    Hinzu komme: Wenn die Tage kürzer werden, wirke sich das bei vielen Menschen negativ auf die Stimmung aus. „Erneut mit den Beschränkungen und den Bedrohungen konfrontiert zu werden, in einer dunklen Jahreszeit: Diese Kombination ist eine hohe Belastung“, sagt Prieß.

    „Erneut mit den Beschränkungen und den Bedrohungen konfrontiert zu werden, in einer dunklen Jahreszeit: Diese Kombination ist eine hohe Belastung“, sagt Prieß.
    „Erneut mit den Beschränkungen und den Bedrohungen konfrontiert zu werden, in einer dunklen Jahreszeit: Diese Kombination ist eine hohe Belastung“, sagt Prieß. Foto: Julian Stratenschulte, dpa (Symbolfoto)

    Betroffene würden es an unterschiedlichsten Symptomen bemerken, dass sie ihre eigene rote Linie gerade überschreiten. Innere Unruhe, Angst und Anspannung nehmen zu. „Je länger die Belastung anhält, entwickelt sich daraus eine emotionale Ausgelaugtheit, depressive Erschöpfung und Resignation, die eine Bewältigung der Situation zunehmend erschwert“, sagt Mirriam Prieß.

    Und es gibt körperliche Folgen: Je höher der Druck ist, desto mehr schwäche das die Körperabwehr. „Rückenschmerzen, Magenprobleme, Kreislaufschwäche, Tinnitus, Allergieschübe: Je nachdem, wo Betroffene körperliche Schwachstellen haben, macht sich die Belastungssituation bemerkbar“, sagt die Psychotherapeutin.

    Der Handel

    Geschäfte sorgen sich um das Weihnachtsgeschäft.

    Für den Handel kommt die Explosion der Infektionszahlen zur Unzeit: „Wir haben uns in einer Erholungsphase befunden, jetzt schwebt die Gefahr von regionalen Schließungen wie ein Damoklesschwert über dem Einzelhandel“, sagt der Sprecher des Handelsverbands Bayern, Bernd Ohlmann. Der schwäbische Einzelhandel verbucht immer noch Umsatzverluste von etwa zehn Prozent. „Die Kundenfrequenzen schienen sich langsam etwas zu normalisieren. Jetzt kommt in der Augsburger Innenstadt und in Nürnberg die Maskenpflicht, das ist für den dortigen Einzelhandel eine Katastrophe.“

    Einkaufen mit Maske mache vielen keinen Spaß, auch wenn es keine Alternative dazu gebe: „Einkaufen ist Psychologie, gerade der Textil-Einzelhandel, Mode, Uhren, Schmuck. Man gönnt sich was, aber dafür muss man in der entsprechenden Stimmung sein“, sagt Ohlmann.

    Fast nichts los: Die Augsburger City Galerie im Frühjahr 2020.
    Fast nichts los: Die Augsburger City Galerie im Frühjahr 2020. Foto: Silvio Wyszengrad (Archiv)

    Die größten Sorgen bereitet den Händlern aber der Ausblick auf die kommenden Wochen: „Ab dem ersten November beginnt rein rechnerisch das Weihnachtsgeschäft im Einzelhandel“, sagte der Handelsexperte. „Da machen wir durchschnittlich ein Fünftel des Jahresumsatzes.“ Noch hofften viele Händler, durch ein gutes Weihnachtsgeschäft vielleicht noch mit einem blauen Auge aus der Corona-Krise davonzukommen. „Wenn es in der heißen Phase, ab dem ersten Advent, zu Lockdowns kommt, dann können wir einpacken“, warnt Ohlmann. Dann würden vor allem die großen Onlinehändler verdienen und von der Mehrwertsteuersenkung profitieren.

    Die Kinder

    Die Einrichtungen warten auf Vorgaben.

    Schulen und Kitas so lange wie möglich offenhalten – das ist eins der obersten Ziele in der Pandemie. Sollten Schulen dennoch schließen müssen, wäre der Distanzunterricht zurück. Anders als im Frühjahr gibt es mittlerweile klare Vorgaben für das Lernen übers Internet. Jeder Tag soll zeitlich strukturiert sein und sich inhaltlich am normalen Stundenplan orientieren. Die Regierung hat angekündigt, Schülern internetfähige Leihgeräte und Lehrern Dienstlaptops zur Verfügung zu stellen. Während manche Schulen die Geräte schon einrichtet, heißt es aus anderen: „Bei uns ist noch nichts angekommen.“ Für Kinder von Alleinerziehenden oder Eltern in systemrelevanten Berufen wurde im Frühjahr eine Notbetreuung angeboten – sehr wahrscheinlich, dass es eine solche wieder geben würde.

    Für Kinder von Alleinerziehenden oder Eltern in systemrelevanten Berufen wurde im Frühjahr eine Notbetreuung angeboten – sehr wahrscheinlich, dass es eine solche wieder geben würde.
    Für Kinder von Alleinerziehenden oder Eltern in systemrelevanten Berufen wurde im Frühjahr eine Notbetreuung angeboten – sehr wahrscheinlich, dass es eine solche wieder geben würde. Foto: Roland Weihrauch, dpa (Symbolfoto)

    Wie eine Notbetreuung in Krippe und Kindergarten für den Fall eines zweiten Lockdowns aussehen würde, weiß Susanne Bobinger noch nicht. Sie ist Leiterin der Kindertagesstätte „Unsere liebe Frau“ in Augsburg. Angesichts der steigenden Infektionszahlen fragen immer mehr Eltern bei ihr nach, ob es eine Notbetreuung geben und wie diese aussehen wird. Dürfen dann nur noch Eltern aus systemrelevanten Berufen ihre Kinder bringen? Und was ist mit Schnupfnasen? Susanne Bobinger sagt: „Solange es keine klaren Vorgaben von oben gibt, kann ich diese Fragen nicht beantworten. Das Sozialministerium hat zwar das Ampelsystem eingeführt. Kitas müssen aber trotzdem warten, welche Regelungen Gesundheitsamt und Stadt vorgeben.“

    Die Gastronomie

    Ein zweiter Lockdown wäre dramatisch.

    Fragt man bei Thomas Geppert, dem Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) nach, was die Gastronomie tun kann, um nicht komplett dichtmachen zu müssen, sagt er: „Technisch wissen wir es. Wirtschaftlich aber würden wir einen zweiten Lockdown nicht überleben.“

    Vor vier Wochen hätten bei einer Umfrage unter den Mitgliedern des Verbandes 57 Prozent der gastgewerblichen Betriebe angegeben, um ihre Existenz zu bangen. Da gab es noch keinen Lockdown wie im Kreis Berchtesgaden. Und keine Sperrstunde. Wie Geppert weiter erklärt, seien viele Betriebe hoch verschuldet und eine Situation wie die in Berchtesgaden würde die Lage „dramatisch verändern“. Dort brauche es für die unverschuldet in Not geratenen Wirte und Hoteliers finanzielle Soforthilfen, so die Forderung. Er plädiert für „zielführende und verhältnismäßige“ Entschädigungen. Denn: „Aus unserer Sicht haben wir sehr gute Hygienekonzepte entwickelt, die funktionieren.“ Der organisierte Bereich sollte daher „gestärkt und nicht geschwächt“ werden, die großen Infektionsherde seien schließlich bei privaten Feiern gewesen.

    Keine Gäste, kein Geld: Augsburger Gastronomen und Brauerei-Chefs bei einer Demo am Rathausplatz.
    Keine Gäste, kein Geld: Augsburger Gastronomen und Brauerei-Chefs bei einer Demo am Rathausplatz. Foto: Bernd Hohlen (Archiv)

    Man könne das systemrelevante Gastgewerbe mit bayernweit rund 44 700 Beschäftigten nicht im Stich lassen. Gerade für die ländlichen Regionen gelte: „Wenn da ein Gasthaus erst mal schließen muss, macht so schnell keines wieder auf.“ Geppert sagt: „Wir sind durch die Hölle und zurückgegangen.“ Niemand will wieder in die Hölle.

    Bereits im Juni litt die Gastronomie unter der Krise. Hier können Sie sich noch einmal unseren Podcast zum Thema anhören:

    Die Seniorenheime

    Betreiber warten auf die versprochenen Schnelltests.

    Bei den Verantwortlichen der Senioren- und Pflegeheime laufen die Vorbereitungen auf die zweite Welle seit Wochen auf Hochtouren.

    „Unser Ziel ist Besuche zu ermöglichen, im Idealfall im Gebäude im jeweiligen Bewohnerzimmer“, sagt der Landesgeschäftsführer der bayerischen Arbeiterwohlfahrt Andreas Czerny. „Für die Zufriedenheit und psychische Verfassung der Bewohner ist der Kontakt zu den Angehörigen unabdingbar, aber der Schutz der Bewohner ist natürlich ebenso essenziell.“ Je höhere der Inzidenzwert in der Region, desto strenger sei vor Ort die Besuchsregelung. Bislang hätten sich dabei die Konzepte ebenso bewährt, wie der Infektionsschutz beim Personal. „Unsere Mitarbeiter sind ein eingespieltes Team, Schutzausrüstung ist ausreichend vorhanden, auch wenn sie etwa bei Handschuhen zu überhöhten Preisen angeboten wird.“

    Bei den Verantwortlichen der Senioren- und Pflegeheime laufen die Vorbereitungen auf die zweite Welle seit Wochen auf Hochtouren.
    Bei den Verantwortlichen der Senioren- und Pflegeheime laufen die Vorbereitungen auf die zweite Welle seit Wochen auf Hochtouren. Foto: Jonas Güttler, dpa (Symbolfoto)

    Am schwierigsten sei derzeit, dass die Heime ihre Teststrategie nicht so umsetzen könnten, wie sie es sich wünschten. „Unser größtes Problem ist, dass es noch so gut keine Schnelltests auf dem Markt gibt“, sagt Czerny. Das sei auch für die Mitarbeiter schwierig: „Zum Teil haben die Testergebnisse zu lange auf sich warten lassen, beispielsweise vier bis zu zehn Tage“, kritisiert der AWO-Geschäftsführer.

    „Es stört den Betriebsablauf empfindlich, wenn Pflegemitarbeiter die Zeit bis zum Testergebnis in Quarantäne zu Hause verbringen müssen“, betont er. Wir sind unseren Mitarbeitern sehr dankbar für die Mehrarbeit und die große Flexibilität in diesen Zeiten.

    Die Politik

    Inzwischen hat die Politik immerhin Erfahrung.

    Politiker reden nicht gerne über den Lockdown. Und wenn doch, dann vor allem darüber, dass sie Selbigen unbedingt verhindern wollen. Niemand soll den Eindruck bekommen, dass sich die Regierenden auf einen neuen Stillstand vorbereiten. Doch genau das ist ihr Job: Sie müssen vorbereitet sein. Und dieses Mal können die Verantwortlichen immerhin auf die Erfahrungen aus dem Frühjahr zurückgreifen. Einer von ihnen ist Florian Herrmann, Corona-Koordinator in der Staatskanzlei von Ministerpräsident Markus Söder.

    Sieht sich als erfolgreichen Krisenmanager: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.
    Sieht sich als erfolgreichen Krisenmanager: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Foto: Peter Kneffel, dpa

    „Wir müssen und werden vom Wissen im Umgang mit Corona profitieren, wenn wir in den Winter gehen“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion – und nennt Beispiele: „Wir wissen jetzt, wie wichtig der Mund-Nasen-Schutz, die Hygiene, das Abstandhalten oder auch das Lüften sind.“ Außerdem habe der Freistaat die Zeit genutzt, um das Gesundheitssystem weiter hochzufahren und die Kapazitäten auf Intensivstationen auszubauen. Doch auch Herrmann weiß: „Das Virus folgt keinen politischen Vorgaben.“ Das lasse den Krisenmanagern einerseits kaum eine Atempause, berge aber „die Chance, dass die Pandemie trotz der aktuell fast explodierenden Zahlen berechenbarer geworden ist“.

    Bayern hatte schon im März schärfer gebremst als andere. „Dass wir die Welle brechen konnten, lag an unserem entschlossenen Handeln, aber auch daran, dass die Bevölkerung so gut mitgemacht hat und hinter unseren Maßnahmen gestanden ist. Vor dieser Herausforderung stehen wir jetzt erneut“, sagt Herrmann.

    Lesen Sie dazu auch: Verstehen wir uns noch? Ein Gespräch mit Corona-Kritikern

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden