Was ist Heimat? Und was kann der neue Heimatminister Horst Seehofer (CSU) überhaupt für die Heimat tun? Der renommierte Bevölkerungsforscher Reiner Klingholz, Gründer und Chef des unabhängigen Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, weiß genau, was die Menschen in den ländlichen Räumen brauchen und wo die Grenzen der Politik sind. Für den neuen Heimatminister hat er einen ganz pragmatischen Rat.
CSU-Chef Horst Seehofer ist als neuer Innenminister nicht nur für die innere Sicherheit zuständig, sondern auch fürs Bauen und für die Heimat. Wie sinnvoll ist aus Ihrer Sicht die Gründung dieses Heimatministeriums? Braucht es so etwas in Deutschland überhaupt?
Reiner Klingholz: Schwer zu sagen. Bislang ist ja noch gar nicht definiert, was diese Abteilung Heimat im Innenministerium konkret leisten soll. In dieser Abteilung arbeitet noch niemand. Es klingt aber besser als Ministerium für den ländlichen Raum oder Ministerium für abgehängte Regionen.
Nach den Worten Seehofers soll der gesellschaftliche Zusammenhalt gefördert und für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse gesorgt werden.
Klingholz: Was heißt das? Soll damit die Unzufriedenheit bekämpft werden, die die Bevölkerung in manchen Regionen hat? Das Gefühl, abgehängt zu sein? Es ist unbestritten, dass viele Regionen in Deutschland eine Unterstützung brauchen, Innovationen, Reformen, Strukturwandel. Aber das ist Ländersache. Nach dem Grundgesetz hat der Bund lediglich das Recht, Gesetze zu erlassen, wenn er meint, dies sei für eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erforderlich. Es ist nicht Aufgabe des Bundes, für diese zu sorgen. Was gleichwertige Lebensverhältnisse sind, steht übrigens nicht im Grundgesetz, es ist Auslegungssache.
Heimat ist ja zunächst einmal ein Gefühl. Will die Politik den Menschen in den ländlichen Räumen das Gefühl geben: Wir lassen euch nicht im Stich?
Klingholz: Die Aufgabe des Ministeriums kann es nicht sein, diese Gefühle zu stärken, ich wüsste auch nicht, wie dies geschehen soll, sondern es soll wohl signalisiert werden, dass sich die Politik für Regionen engagiert, die schwache Strukturen haben. Die Botschaft heißt: Wir kümmern uns.
Wie kann das geschehen?
Klingholz: Das geht nicht von oben herab. Die Menschen fühlen sich in einer Region wohl, wenn sie das Gefühl haben, dass sie sich selbst engagieren und damit etwas bewegen können für sich selbst, für ihre Mitbürger und dann für die Region. So entsteht ein Gemeinschaftsgefühl. Wir haben das im Emsland untersucht. Die Menschen machen viel und fühlen sich toll.
Aber das ist ja nicht von der Politik verordnet?
Klingholz: Im Gegenteil, das kommt von unten. Deswegen sind die Menschen dort besonders heimatverbunden. Das wiederum hat Folgen für die Politik. Wenn wir uns die Wahlergebnisse im Emsland anschauen, sehen wir, dass die AfD dort auf keinen grünen Zweig kommt. Das heißt: Dort, wo die Menschen die Möglichkeit haben, sich ausgiebig um ihre eigenen Belange zu kümmern, haben Populisten keine Chance. Wenn, wie manche behaupten, die Gründung des Heimatministeriums auch eine Antwort auf die AfD sein soll, dann muss man den Menschen mehr Möglichkeiten bieten, für ihre eigenen Belange aktiv zu werden.
Wie wichtig ist schnelles Internet? Oder ein funktionierender Nahverkehr? Oder eine gute medizinische Versorgung durch Landarzt und Kreiskrankenhaus?
Klingholz: Eine funktionierende Grundversorgung, zu der heute ein schnelles Internet gehört, ist extrem wichtig für die Menschen, die dort leben. Das Problem ist, dass viele Strukturen bereits weggebrochen sind. Sie sind schon lange nicht mehr finanzierbar, weil so viele Menschen weggezogen sind.
Aber das heißt ja in der Konsequenz, dass ab einem bestimmten Punkt die Politik bestimmte Regionen nicht mehr retten kann. Kann man das den dort lebenden Menschen zumuten?
Klingholz: Wenn es Räume gibt, die leer laufen, laufen sie leer. Das kann die Politik nicht aufhalten oder gar ins Gegenteil verdrehen. Auch ein Heimatministerium wird nicht überall einen Landarzt, einen Zahnarzt und eine Polizeidienststelle hinsetzen können. Trotzdem muss die Politik sich auch um die letzten dort lebenden Menschen kümmern.
Kann man, wenn man viel Geld in diese Regionen pumpt, den drohenden Abstieg nicht doch noch verhindern?
Klingholz: Erfahrungsgemäß nicht. Man muss vielmehr neue Versorgungsmöglichkeiten erfinden, wobei das Eigenengagement der Bürger eine große Rolle spielt. Die Menschen, die vor Ort was machen, Bürgermeister, Vereinsvorstände, Ehrenamtliche, müssen unterstützt werden. Das belegen alle Studien, die wir erstellt haben. Es geht primär nicht um viel Geld, sondern um Unterstützung sowie Beratung.
Was würden Sie, wenn Sie könnten, Horst Seehofer raten, damit sein Heimatministerium zu einer sinnvollen Einrichtung wird?
Klingholz: Er sollte dringend Initiativen vor Ort aufspüren und fördern, die das Leben dort verbessern. Das ist die einzige Möglichkeit, die wegbrechende Infrastruktur mit neuen Ideen zu ersetzen. Weiterhin sollte er die Initiativen vernetzen, gut beraten und niedrigschwellig, unbürokratisch fördern. Wir schlagen dafür die Gründung einer Stiftung ländlicher Raum vor. Das kann eine Bundesstiftung sein, da können sich auch die Länder daran beteiligen, die mit qualifiziertem Personal diese Beratung leisten und mit Geld Projekte fördern können.
Da reden wir nicht über Milliarden?
Klingholz: Nein. Da reichen ganz andere Beträge. Wichtig ist, den Regionen Entscheidungs- und Finanzautonomie zu geben. Dann hat das eine ganz andere Akzeptanz.
Zur Person: Reiner Klingholz wurde 1953 in Ludwigshafen am Rhein geboren. Er studierte Chemie und war bis 1983 wissenschaftlicher Assistent an der Uni Hamburg. Danach arbeitete er als Wissenschaftsjournalist. Seit 2003 ist er Direktor und seit 2009 Vorstand des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Klingholz ist Autor zahlreicher Bücher.