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Wahlverhalten: Wie der Union die bürgerliche Mitte wegläuft

Wahlverhalten

Wie der Union die bürgerliche Mitte wegläuft

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    Aufräumarbeiten nach dem Wahlkampf: In ihrer Kernwählerschaft der „Bürgerlichen Mitte“ verloren CDU und CSU 15 Prozent der Stimmen an die AfD.
    Aufräumarbeiten nach dem Wahlkampf: In ihrer Kernwählerschaft der „Bürgerlichen Mitte“ verloren CDU und CSU 15 Prozent der Stimmen an die AfD. Foto: Fische, dpa

    Vielleicht erinnert sich noch der eine oder andere an den Wahlkampfschlager der SPD aus dem Jahr 1998, mit dem Gerhard Schröder den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl aus dem Amt drängte: „Die neue Mitte“ plakatierten die Sozialdemokraten landauf, landab. Denn bis heute ist die alte Politikweisheit, dass Wahlen in der Mitte gewonnen oder verloren werden, nicht widerlegt. Im Gegenteil, die Union – und besonders die CSU – verdankt ihr historisch miserables Ergebnis bei der Bundestagswahl dem Umstand, dass sie massiv Wähler der Mitte verloren hat. Und zwar ausgerechnet an die rechte AfD, wie Forscher der Bertelsmann-Stiftung in einer interessanten Wahlnachlese ausführen.

    Der einst erfolgreiche SPD-Slogan der „neuen Mitte“ war keine Wortschöpfung, die sich kreative Werber ausgedacht haben. Es handelte sich um einen in den Neunzigern aufgekommenen Begriff von Gesellschaftsforschern für den Wandel der Mittelschicht. Die Wissenschaftler teilen unterschiedliche Lebensstile und Geisteshaltungen der deutschen Bevölkerung in zehn Gruppen ein: von heimatverwurzelten „Traditionalisten“, der breiten „Bürgerlichen Mitte“ bis zu ehrgeizigen „Performern“ oder wohlhabenden „Konservativ Etablierten“ der Oberschicht. Der Unterschicht gaben die Sozilogen den Namen „Prekäres Milieu“.

    SPD stürzt im "prekären Milieu" ab

    Die Forscher der Bertelsmann-Stiftung ordnen nun datengestützt für jede Bevölkerungsgruppe Wahlergebnisse zu. Sie helfen so, auch den Wahlerfolg der AfD zu erklären. Die Protestpartei verdankt ihr Ergebnis als drittstärkste Kraft vor allem zwei Gruppen: der „Bürgerlichen Mitte“ und dem „Prekären Milieu“. Bei Wählern der sozialen Unterschicht wurde die AfD mit weitem Abstand stärkste Partei.

    Mit 28 Prozent liegt sie klar vor der Union mit 21 Prozent. Die hier 2013 noch führende SPD stürzte in der Unterschicht um sieben auf 18 Prozent ab. Die „Große Koalition“ erhielte hier gemeinsam nur 38 Prozent. Besonders bemerkenswert ist, dass die AfD in der sozialen Unterschicht viele Nichtwähler zur Wahl motivieren konnte. Die Wahlbeteiligung lag in dem Milieu dennoch nur bei 58 Prozent: „In keinem anderen Milieu ist der Erosionsprozess der etablierten Parteien und die Dominanz der Nicht- und Protestwähler so weit fortgeschritten wie im Prekären Milieu“, schreiben die Forscher in ihrer Analyse.

    Dramatisch ist besonders für CDU und CSU, dass die AfD massiv in deren bisheriger Kernwählerschaft der „Bürgerlichen Mitte“ wildern konnte: Die Union stürzte in dieser Stammwählergruppe von 52 auf 37 Prozent ab. Die AfD legte genau um die Differenz von 15 auf 20 Prozent zu. Die SPD ist bei der bürgerlichen Mittelschicht mit 18 Prozent nur noch drittstärkste Kraft.

    AfD wurde überwiegend von Skeptikern der Modernisierung gewählt

    „Der Kampf um die Mitte hat sich massiv verschärft“, sagt Studienautor Robert Vehrkamp von der Bertelsmann–Stiftung. „Die etablierten Parteien verlieren in der Bürgerlichen Mitte deutlich an Terrain.“ Vehrkamps Team wertete über 600 Stimmbezirke sowie Befragungen von über zehntausend Wählern aus. „Gerade die Milieus der Bürgerlichen Mitte und der sozial Prekären sind in Ostdeutschland stark überrepräsentiert, und genau diese Milieus haben auch in Westdeutschland am häufigsten die AfD gewählt“, sagt er. „Es ist also in erster Linie ein sozialer und kein regionaler Unterschied.“

    Punkten können Union, SPD, FDP und Grüne vor allem in jenen Milieus der Mittel- und Oberschicht, die grundsätzlich positiv gegenüber gesellschaftlichen Fortschritt und Modernisierung eingestellt sind. „Die AfD wurde ganz überwiegend von Menschen gewählt, die der sozialen und kulturellen Modernisierung zumindest skeptisch gegenüberstehen“, sagt Vehrkamp. Doch viele anstehende Kontroversen der Politik könnten genau „entlang dieser Konfliktlinie verlaufen und ausgetragen werden“, warnt der Experte.

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