Die Mahnung von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble an die Abgeordneten war an Deutlichkeit kaum zu überbieten: „Dass auch der Reichstag der Weimarer Republik eine Wahlrechtsreform auf der Agenda hatte und damit erfolglos blieb, erwähne ich hier nur am Rande.“ Am Donnerstag, bei einer Würdigung Paul Löbes, des ersten Präsidenten des Reichstags in der Weimarer Republik, sagte der CDU-Politiker diesen Satz. Angesprochen fühlen mussten sich vor allem die Vertreter von Union und SPD.
Mit seinem Seitenhieb zielte Schäuble auf die seit Jahren erfolglosen Versuche, die Zahl der Abgeordneten des Bundestags zu begrenzen. Er selbst hatte mehrere Anläufe unternommen, um mit den Fraktionen eine entsprechende Wahlrechtsreform auf den Weg zu bringen. Doch alle Bemühungen blieben erfolglos. So ergänzte Schäuble: „Aber die Schuld lag jedenfalls auch damals nicht beim Präsidenten.“
FDP-Fraktionsvize Thomae zur Wahlrechtsreform: "Schmierentheater der Großen Koalition"
Am Freitag sorgte das Thema dann im Bundestag für heftige Diskussionen. FDP, Grüne und Linksfraktion hatten einen gemeinsamen Vorschlag zur Reduzierung der Zahl der Abgeordneten gemacht. Doch gegen die Regierungsmehrheit von Union und SPD hatte der von vornherein keine Chance.
FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae schäumte: „Das Schmierentheater der Großen Koalition bei der Wahlrechtsreform ist einer Demokratie nicht würdig. Es kann niemand glauben, dass es der Union, allen voran der CSU und der SPD, mit einer echten Reform des Wahlrechts jemals auch nur ansatzweise ernst gewesen ist.“ Unserer Redaktion sagte der FDP-Politiker weiter: „Sie haben die Zeit bewusst verstreichen lassen und dem Bundestag bis heute keinen ernst zu nehmenden Kompromiss, geschweige denn ein neues Gesetz vorgelegt.“
Anzahl der Sitze im Bundestag: Reform müsste bald her
Tatsächlich sind die Großkoalitionäre völlig zerstritten darüber, wie eine weitere Aufblähung des Bundestags verhindert werden soll. 709 Abgeordnete sitzen aktuell im Parlament, dessen Sollstärke 598 Mitglieder beträgt. Würde auch bei den Bundestagswahlen im kommenden Jahr das aktuelle Wahlrecht mit seinem System aus Überhangs- und Ausgleichsmandaten angewandt, könnte diese Zahl sogar auf rund 800 steigen, so die Berechnungen von Experten. Mindestens ein Jahr vor dem Urnengang im Herbst 2021 müsste eine Reform stehen, um noch zu greifen. Doch jetzt hat die parlamentarische Sommerpause begonnen, ohne dass es eine Einigung gab.
Eine gemeinsame Linie gefunden hat in dieser Woche immerhin die Union, nachdem auch CDU und CSU jahrelang über das Thema zankten. Die Unionsfraktion einigte sich auf einen Vorschlag, nach dem die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 verringert und sieben Überhangmandate nicht mehr durch Ausgleichsmandate kompensiert werden sollen. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sprach postwendend von einem „kläglichen Ergebnis“. Sieben unausgeglichene Überhangmandate zu beanspruchen, das nähre den Verdacht, „dass die ganze Aktion eher eine Mogelpackung sein könnte“, sagte er.
Von Überhangsmandaten profitiert meist die Union im Bundestag
In der Praxis profitiert von Überhangmandaten meist die Union, insbesondere die CSU. Mützenich kündigte an: „Ein Ergebnis, das ausschließlich CDU und CSU bevorteilt, wird es aber nicht geben.“ Auch der Frauenanteil im Bundestag werde durch das Modell der Union nicht gesteigert. Er forderte die Union auf, sich dem SPD-Modell anzuschließen. Das sieht vor, die Zahl der Wahlkreise beizubehalten, aber dafür eine „Obergrenze“ von 690 Abgeordneten einzuführen.
Die Union lehnt das ab, macht Fraktionsvize Andreas Jung (CDU) klar. Der SPD-Vorschlag bedeute, dass ein Kandidat einen Wahlkreis gewinnen könne – und trotzdem nicht in den Bundestag einziehe. „Das kann man nicht vermitteln“, so Jung zu unserer Redaktion. Für CDU und CSU sei es ein „weiter Weg“ gewesen, sich auf eine „maßvolle“ Reduzierung der Wahlkreise einzulassen. Denn direkt gewählte Abgeordnete seien aus Sicht der Union entscheidend für die Bürgernähe. Der Unionsvorschlag lasse sich durchaus noch rechtzeitig zur kommenden Wahl umzusetzen – eine Einigung mit dem Koalitionspartner vorausgesetzt. „Wir hoffen jetzt, dass wir bei den Verhandlungen mit der SPD schnell einen Durchbruch erzielen“, sagte Jung.
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