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WM 1954: Wie ein Mindelheimer das Wunder von Bern erlebte

WM 1954

Wie ein Mindelheimer das Wunder von Bern erlebte

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    Kein Männerchor, sondern die gut gelaunten Mindelheimer Schlachtenbummler bei der Fußball-WM 1954 in der Schweiz. Im Bild oben rechts: Der damals 18-jährige Armin Klughammer.
    Kein Männerchor, sondern die gut gelaunten Mindelheimer Schlachtenbummler bei der Fußball-WM 1954 in der Schweiz. Im Bild oben rechts: Der damals 18-jährige Armin Klughammer. Foto: Fred Schöllhorn

    „Aus! Aus! Aus! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister. Schlägt Ungarn mit drei zu zwo Toren im Finale in Bern!“ (Der legendäre Radioreporter Herbert Zimmermann beim 3:2-Finalsieg der deutschen Mannschaft 1954 in

    Fritz Walter - der beste deutsche Fußballer aller Zeiten

    Dass Fritz Walter für Armin Klughammer ein Held und der beste deutsche Fußballer aller Zeiten ist und bleibt, das verwundert nicht. Der heute 78-jährige frühere Sportfunktionär hat den Ausnahmekicker aus Kaiserslautern bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz erstmals live spielen gesehen, und er verehrt den 2002 gestorbenen Offensivspieler auch noch nach dessen Tod. „Er war ein absoluter Ausnahmespieler und auch menschlich völlig integer“, schwärmt

    Walter war der Kapitän der legendären Weltmeisterelf von 1954, die bei älteren Fußballfans auch nach Jahrzehnten noch für Bewunderung und Gänsehaut sorgt. Genau heute vor 60 Jahren ereignete sich das „Wunder von Bern“. Ein Freudentaumel erfasste die noch junge Bundesrepublik Deutschland.

    Der Tag, an dem deutsche Fußballgeschichte geschrieben wurde

    Es war der 4. Juli 1954, ein Sonntag, der für immer einer der bedeutendsten Tage in der Geschichte des deutschen Sports bleiben wird. Im Berner Wankdorfstadion besiegte Deutschland im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft die hoch favorisierten Ungarn mit 3:2 – eine Sensation. Und ein Triumph, der zum Mythos geworden ist. Denn nur neun Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der WM-Titel zu einem Zeichen des Aufbruchs. Ein ganzes Volk glaubte wieder an sich. Ein „Wir-Gefühl“ machte sich im Lande breit.

    Für den gerade 18 Jahre alt gewordenen, in Mindelheim aufgewachsenen Armin Klughammer spielte dieser Aspekt nur eine untergeordnete Rolle. Er war fußballverrückt. Die Leidenschaft für diesen Sport hatte er von seinem Vater Josef, einem Kaufmann und ehemaligen Tormann beim TSV

    Selbst Fußball spielen konnte Klughammer allerdings nie. Als Zehnjähriger war er an Kinderlähmung erkrankt. Doch der Ball wurde trotzdem sein Freund.

    Das Spiel mit dem runden Leder nahm im Hause Klughammer eine Hauptrolle ein. 1953 beschloss man nach dem Besuch des DFB-Pokal-Endspiels zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und dem VfB Stuttgart (4:1) in Berlin, im Jahr darauf zur Weltmeisterschaft in die Schweiz zu reisen. „Solch ein Turnier vor der eigenen Haustür zu erleben, das konnten wir uns nicht entgehen lassen“, sagt Klughammer. Er und sein Vater waren einer Meinung.

    Eine letzte Hürde gab es vor der Reise in die Schweiz

    Doch es musste noch eine Hürde genommen werden. Armin Klughammer hatte im November 1953 bei der Stadt Mindelheim seine Lehre als Verwaltungsangestellter begonnen. Für die Zeit des Turniers benötigte er Urlaub. Sein Antrag wurde vom Bürgermeister abgesegnet. Die Reise konnte beginnen.

    Elf Personen sind in der Reisegruppe dabei, vorwiegend Fußballer aus dem Unterallgäu. Die Karten für die Vorrundenspiele wurden schon lange vor dem Start in der Schweiz geordert. „Das war damals kein Problem“, erinnert sich Klughammer. Bei heutigen Veranstaltungen unvorstellbar: Tickets für derartige Großereignisse sind ein knappes Gut und können, wenn überhaupt, nur über Losverfahren ergattert werden.

    17. Juni, Auftakt gegen die Türken: Aufbruch zur Tour de Suisse. In drei Autos fahren die Allgäuer WM-Besucher mit der Fähre über den Bodensee nach Konstanz und von dort weiter nach Bern. Für den jungen Fußballanhänger Klughammer ist es die erste Auslandsreise. „Ich war vorher nicht mal im nahen Österreich.“ Reisen kostet ja Geld, und auch bei den Klughammers muss man damals jeden Pfennig zweimal umdrehen. Zufrieden ist der Fan mit dem 4:1-Auftaktsieg gegen die Türkei. „Das war ganz ordentlich“, blickt Klughammer zurück.

    Klughammer schließt eine enge Freundschaft mit dem Augsburger Spieler Uli Biesinger

    Nicht weit von Bern entfernt, in Spiez am Thuner See, hatten die Deutschen in einem Hotel ihr Quartier aufgeschlagen. Klughammer: „Dort redeten wir mit den Spielern und bekamen Autogramme“. In

    19. Juni, Uruguay spielt in Basel: Für Klughammer und seine Freunde ist die Partie der Südamerikaner gegen Schottland (7:0) ein einmaliges Erlebnis. „Wir staunten über die Spielkunst der Urus.“

    20. Juni, der Schock in der Vorrunde gegen die Ungarn: Sepp Herberger hatte seine Elf in der Vorrundenpartie gegen das ungarische Team völlig umgekrempelt. Als der Stadionsprecher die deutsche Aufstellung nennt, folgt ein gellendes Pfeifkonzert unter den gut 30000 Deutschen in dem mit 60000 Besuchern ausverkauften Stadion. „Herberger ließ Spieler wie Turek, Mai, Max Morlock oder Schäfer draußen, das begriffen wir nicht“, erinnert sich Armin Klughammer. 8:3 siegen die Pusztakicker, die Presse schreibt von einer „Ungarischen Rhapsodie“, es gibt herbe Kritik.

    Im Nachhinein hatte Herberger alles richtig gemacht

    Doch Herberger spielt seine Rolle als Taktikfuchs bravourös. Er hatte offenbar eine Niederlage gegen die Ungarn eingeplant und gab deshalb auch einigen Ersatzleuten eine Chance. Nach dem damaligen Regelement darf seine Mannschaft nochmals gegen die punktgleichen Türken spielen. Klughammer: „Nachher ist man immer schlauer, Herberger hat letztlich alles richtig gemacht.“

    23. Juni, erneut gegen die Türkei: Erstmals fährt die Mindelheimer Gruppe nach Zürich. Im Hardturm-Stadion steht für die Deutschen viel auf dem Spiel. Das Herberger-Team gewinnt mit 7:2, „die Fans waren wieder versöhnt“, stellt Klughammer fest. Das Viertelfinale ist erreicht, doch zunächst tritt die Gruppe die Heimreise an. Armin Klughammer und sein Vater pendeln von da an bis zum Ende des Turnieres in die Schweiz. Sie fahren mit einem dunklen DKW, und sie schlafen jedes Mal in Zelten auf Campingplätzen. „An ein Hotel oder eine Pension war damals nicht zu denken, das war viel zu teuer“, sagt Klughammer.

    27. Juni Genf das Reiseziel, Jugoslawien der Gegner: Diesmal geht es in die französische Schweiz. „Das war ein hartes Stück Arbeit“, sagt Klughammer und denkt an den 2:0-Sieg gegen die Jugoslawen zurück. „Deutschland drohte in den Angriffswellen der Balkankicker zu ertrinken.“ Ein Spieler ist dem jungen Fan an diesem Tag besonders in Erinnerung geblieben: Toni Turek. Der Torhüter der DFB-Auswahl war nicht zu überwinden, das Halbfinale war erreicht. „Langsam dämmerte es der Fußballwelt: Herbergers Spieler müssen ernst genommen werden.“

    30. Juni, mit dem Sonderzug nach Basel: Ein Spaziergang an der Rheinpromenade gehört zum Pflichtprogramm. Im Halbfinale will das starke österreichische Team den Siegeszug der Deutschen bremsen. „Vor dem Spiel hatte ich schon mein persönliches Erfolgserlebnis“, erzählt Klughammer. Er darf im Stadion auf den Rasen und ein Foto der deutschen Mannschaft schießen. Später schickt er diese Aufnahme an alle DFB-Kicker mit der Bitte um Unterschriften. Tatsächlich schicken alle Spieler die Aufnahme wieder unterschrieben zurück – die Adressen bekommt der Mindelheimer vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) mitgeteilt. „Unsere Mannschaft spielte wie im Rausch“, konstatierte

    4. Juli, zum Endspiel wieder nach Bern: Die Ungarn sind bei den Buchmachern der Weltmeister-Tipp schlechthin (Quote: 3,5:2). Die Herberger-Elf tritt im Berner Wankdorfstadion nur als krasser Außenseiter an. Selbst die Spieler rechnen nie und nimmer mit dem Finale. Der Nürnberger Max Morlock hatte schon einen Italien-Urlaub gebucht. Die Klughammers kaufen sich ihre Tickets für das Finale nach dem Halbfinalerfolg in Basel. Mit dem DKW des Vaters geht es wieder ins Berner Oberland. Klughammer: „Rund sechs bis sieben Stunden betrug die Fahrzeit.“ Trotz der Reisestrapazen sollte sich der Trip lohnen.

    Die deutsche Mannschaft dreht einen 2:0-Rückstand

    Am frühen Nachmittag öffnet der Himmel seine Schleusen, es herrscht Fritz-Walter-Wetter. Im Stadion stehen die Besucher im Matsch. Zu Hause sitzen die Leute an den Radios oder den wenigen Fernsehgeräten und fiebern mit der deutschen Mannschaft. Nach acht Minuten führen die Magyaren durch Tore von Puskas und Czibor auch schon 2:0. Keiner setzte mehr einen Pfifferling auf die Deutschen. Morlock und Rahn gleichen noch vor der Pause aus, Rahn gelingt sechs Minuten vor dem Abpfiff der 3:2-Siegtreffer. Die Freude beim deutschen Publikum kennt keine Grenzen. Klughammer: „Da sind alle ausgeflippt.“

    Als der englische Schiedsrichter Bill Ling die Partie wenige Minuten später abpfeift, hat die ungarische Mannschaft das erste Spiel seit 1950 verloren, Deutschland aber hat das Wunder geschafft und ist Weltmeister – ein Erfolg für die Ewigkeit. 30000 deutsche Schlachtenbummler im Wankdorf-Stadion und viele Millionen Deutsche zu Hause fallen sich in die Arme, erwachsene Menschen weinen vor Glück und feiern den Sieg. Auch Vater und Sohn Klughammer. „Dass wir an diesem Tag ein historisches Ereignis erlebt hatten, das war uns schnell klar.“

    6. Juli, Das Nachspiel: „Deutsche Weltmeister-Elf in der Heimat stürmisch begrüßt“ titelte unsere Zeitung am 6. Juli. Bereits tags zuvor kamen die „Helden von Bern“ mit der Bahn aus der Schweiz zurück. In Lindau übernachtete das Team, dann ging es über Kempten, Buchloe und Kaufering zum großen Empfang nach München. „Es war unglaublich, was sich beim Halt des Zuges auf dem Bahnhof in

    In die Stadien dieser Welt hat es ihn seither noch mehr gezogen als vorher. Der grandiose Sieg der deutschen Mannschaft ist eine seiner schönsten Fußballerinnerungen. Nie mehr vergessen wird er allerdings auch die Übernachtungen: „Das Zelten machte keinen Spaß. Es regnete viel, wir standen im Morast. Seitdem habe ich nie wieder einen Campingplatz betreten.“

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