Sie ziehen sich Sturmhauben über den Kopf, ein dunkles Halstuch oder einfach nur eine Maske. Die Demonstranten, die ihrem Hass auf alles Etablierte Luft machen, indem sie Polizisten angreifen, Autos abfackeln oder Schaufenster zertrümmern, agieren im Schutz der Anonymität. Obwohl in Deutschland seit 1985 ein Vermummungsverbot gilt, zwingt die Randalierer bei Gewaltexzessen wie in Frankfurt niemand, ihr Gesicht zu zeigen – dabei verpflichtet das sogenannte Legalitätsprinzip die Behörden eigentlich, Straftaten auch zu verfolgen. Krawalle in Frankfurt: Der Rechtsstaat muss entschlossen reagieren
Randale bei der Eröffnung des EZB-Gebäudes in Frankfurt
Rainer Wendt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, hält sich mit solchen rechtstheoretischen Überlegungen nicht lange auf. „Ja, wir können Polizisten in die Schlacht schicken“, betont er im Gespräch mit unserer Zeitung. In dem Moment jedoch, in dem Beamte begännen, Vermummte aus einem Demonstrationszug herauszupicken, wachse die Gefahr einer Eskalation. „Wir bevorzugen daher den zweiten Weg.“ So habe die Polizei auch in Frankfurt vorab das Gespräch mit den Organisatoren gesucht, um einen friedlichen Ablauf zu gewährleisten – allerdings ohne Erfolg. Viele Gewalttäter, sagt Wendt, seien nur aus einem Grund angereist: um Randale zu machen. Ist das Verbot damit ein stumpfes Schwert, ein Tiger ohne Zähne? Streng genommen droht einem Demonstranten, der sein Gesicht verbirgt, eine Geldbuße oder eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr. Da das Versammlungsrecht jedoch wie der vorbeugende Gewahrsam für potenzielle Randalierer Ländersache ist, klagt der Praktiker Wendt, gebe es auch sehr unterschiedliche Auslegungen. So habe unter dem Druck der damals noch mitregierenden FDP ausgerechnet Bayern Verstöße gegen das Vermummungsverbot von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft. „Das ist dann wie falsch parken“, sagt Wendt. „Da kann man als Polizei nur schwer einschreiten.“ Er fordert nun ein bundesweit einheitliches Versammlungsrecht. Alles andere sei „völliger Unfug.“
Bei Krawallen wie am 1. Mai in Berlin oder jetzt in Frankfurt sind es vor allem Autonome aus dem sogenannten schwarzen Block, die sich vermummen und aus friedlichen Kundgebungen Orgien der Gewalt machen. Der Verfassungsschutz schätzt die Szene auf gut 6000 Mitglieder, die oft nur lose organisiert sind und vor allem ein Ziel haben: „Gewalt soll als eine legitime Protestform erscheinen und ist bei jeder Demonstration einzukalkulieren.“ In einschlägigen Foren im Internet finden sich nicht nur Hinweise, wie man sich vermummt, ohne Ärger zu riskieren: „Maximal ein Halstuch und Kapuze oder Brille.“ Dort wurde auch schon Wochen vor der Einweihungsfeier der Europäischen Zentralbank in Frankfurt dazu aufgerufen, „die Party zu sprengen.“ Als Hochburgen der Autonomen gelten heute Berlin, Hamburg und Leipzig. Auf Demonstrationen aber sind sie in der ganzen Bundesrepublik anzutreffen, häufig in einheitlicher „Kampfausrüstung“ gleich an der Spitze eines Zuges.
Vermummungsverbot: Verstöße schwer zu ahnden
Wie schwer es ist, einen Verstoß gegen das Vermummungsverbot tatsächlich zu ahnden, zeigt eine Szene am Rande der Frankfurter Straßenschlachten, die Reporter der FAZ beobachtet haben. Dort wurde eine Gruppe italienischer Demonstranten von der Polizei eingekesselt, um sie zu fotografieren und die Personalien aufzunehmen. Rechtzeitig vorher jedoch hatten die Aktivisten ihre Sturmhauben in Regenbogenfarben noch in einen Vorgarten geworfen, sodass Polizei und Staatsanwaltschaft sich schwer tun werden, jedem Verdächtigen zu beweisen, dass er tatsächlich vermummt war. Zu Hause, in Italien, hätten sie ihre Hauben auch behalten können. Wie in den meisten anderen europäischen Ländern, sagt Gül Pinar vom Deutschen Anwaltverein, gebe es dort kein Vermummungsverbot. Und auch in Deutschland sei der Nachweis, wann jemand sich so vermummt, dass er dadurch seine Identität verschleiert, schwer zu führen: „Das wird von den Gerichten sehr unterschiedlich beurteilt.“
Auf das Vermummungsverbot verzichten wollen Innenpolitiker wie der CSU-Experte Stephan Mayer gleichwohl nicht. Auch gegen die Straßenverkehrsordnung und gegen das Steuerrecht werde ständig verstoßen, sagt er. „Aber trotzdem brauchen wir beides.“ Auf der anderen Seite könne er jeden Einsatzleiter verstehen, der darauf verzichte, Vermummte aus dem schwarzen Block zu holen, um die Lage bei einer Demonstration nicht eskalieren zu lassen. Umso befremdlicher allerdings, fügt Mayer hinzu, finde er die sich häufenden Forderungen nach einem Namenschild oder einer Identifikationsnummer an den Uniformen der Polizisten. Sie sollen, wenn es nach den Demonstranten geht, auf keinen Fall im Schutz der Anonymität agieren können …