Es ist ein Oktoberabend im Jahr 2015, als viele Deutsche zum ersten Mal Bekanntschaft mit Björn Höcke machen. In der Talkshow von Günther Jauch geht es um die Frage: „Pöbeln, hetzen, drohen – wird der Hass gesellschaftsfähig?“ Der AfD-Politiker zieht ein schwarz-rot-goldenes Fähnchen aus seiner Sakkotasche und legt es über die Lehne seines Stuhles. Als Beweis dafür, „dass die AfD die Stimme des Volkes spricht – gegen eine verrückt gewordene Altparteienpolitik“, wie er voller Pathos erklärt. Dann schwadroniert Höcke über die „Angsträume“ für blonde Frauen in Deutschland. Und natürlich auch für Brünette. Er behauptet, dass die Ostdeutschen so große Angst vor Flüchtlingen haben, weil sie unter der Woche in westdeutschen Ballungszentren arbeiten. „Viele sind in Sorge über die Zustände in diesen Großstädten, in Dortmund, in Essen, in Frankfurt, in Mannheim. Und sie wollen diese Zustände eben nicht in Dresden und in Erfurt haben.“
Björn Höcke wurde in der AfD schnell zur Ikone
Mit diesem Auftritt wird Höcke für die einen zur absurden Witzfigur, für andere zur Ikone. Für die AfD-Spitze ist er damals so etwas wie das braun-schwarze Schaf in der Herde, mit dem man nicht unbedingt gesehen werden möchte. Sie will ihn später sogar wegen immer neuer Provokationen hinauswerfen. Doch da ist der rechte „Flügel“, den er anführt, längst zu stark geworden. Vor allem die damalige Parteichefin Frauke Petry würde Höcke gerne loswerden. Stattdessen wird sie selbst abserviert. Ihr Co-Vorsitzender Jörg Meuthen, der für sich in Anspruch nimmt, die Stimme der Gemäßigten in der AfD zu sein, erkennt, dass er sich nicht mit dem Höcke-Ableger anlegen sollte, wenn er seinen Posten behalten will. Das Parteiausschlussverfahren bezeichnet er als Fehler. „Erstens: Der rechte Flügel gehört als integraler Bestandteil zu unserer Partei. Zweitens: Björn Höcke ist nicht der Nazi-Hetzer, als der er immer wieder dargestellt wird“, sagt Meuthen 2018 in einem Interview mit unserer Redaktion. Damals glaubt man in der AfD noch, man könne Höcke und seine Leute im Zaum halten. Erlaubt ist, was Wähler bringt.
Die Parteispitze integriert Björn Höcke
Heute ist der seltsame Gast aus der Talkshow das Gesicht der AfD. Viele Anhänger wählen die Rechtspopulisten nicht mehr trotz des Mannes, der gerichtlich bestätigt als Faschist bezeichnet werden darf, sondern gerade wegen ihm. Für den AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland steht der Rechtsaußen in der Mitte der Partei. Und Alice Weidel, Fraktionschefin im Bundestag, die einst den Parteiausschluss Höckes angetrieben hatte, hat einen Nichtangriffspakt mit ihm geschlossen. Sie weiß: Ohne den 47-jährigen Thüringer Landeschef geht nichts mehr in der AfD. Das Herz der AfD schlägt im Osten. Und es schlägt rechts. Höcke und der Brandenburger Fraktionschef Andreas Kalbitz sind die Wort- und Meinungsführer.
AfD-"Flügel" wird beobachtet: Diese Mittel hat der Verfassungsschutz
Diese Radikalisierung könnte der Partei nun zum Verhängnis werden. Denn der rechtsnationale „Flügel“ ist seit Donnerstag ganz offiziell ein Fall für den Verfassungsschutz. Thomas Haldenwang, Chef des Inlandsgeheimdienstes, hat keinen Zweifel, dass es sich dabei um eine rechtsextreme Bestrebung handelt, die beobachtet werden muss. Die Mitglieder können damit observiert, Telefone abgehört werden. Es dürfen auch Informanten in das Netzwerk eingeschleust oder angeworben werden.
Die Gesamtpartei steht zwar nicht unter Beobachtung, sie wird nun aber gezwungen, sich mit der gewachsenen Macht von Kalbitz und Höcke, um den ein regelrechter Personenkult entstanden ist, zu beschäftigen. Für Verfassungsschutzpräsident Haldenwang ist klar: „Beide sind Rechtsextremisten.“ Auch innerhalb der AfD gibt es Leute, denen das völkische Denken, die ständigen Provokationen und radikalen Auftritte zuwider sind. Vom „Flügel“ werden sie als „Feindzeugen“ verunglimpft. Doch auch viele potenzielle Wähler fühlen sich davon abgestoßen.
Verfassungsschutz-Chef Haldenwang spricht von „geistigen Brandstiftern“
Dass rechtsextremistische Straftaten wie in Halle oder Hanau etwas mit ihrer aggressiven Politik zu tun haben könnten, tut die AfD-Spitze immer wieder als Verleumdung ab. Doch der Verfassungsschutz sieht durchaus Verbindungen. „Geistige Brandstifter schüren gezielt Feindbilder“, sagt Haldenwang. „Rechtsextremismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Rassismus sickern in die alltägliche Wahrnehmung ein, aus diesem Nährboden erwachsen allzu oft auch Gewalttaten.“ Gezielte sprachliche Grenzverschiebungen führten dazu, dass aus der Provokation von gestern schnell die Normalität von heute werde. Haldenhangs Vorgänger war übrigens Hans-Georg Maaßen.
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