Mit Kay Gottschalk übernimmt zum ersten Mal ein AfD-Politiker die Leitung eines Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages. Unter seinem Vorsitz begann am Donnerstagnachmittag die Aufarbeitung des Bilanzskandals um das insolvente bayerische Unternehmen Wirecard. Im Vorfeld hatte es unter den anderen Bundestagsfraktionen noch Überlegungen gegeben, die brisante Personalie zu verhindern. Hintergrund: Der Vorsitz von Untersuchungsausschüssen wird nach der Fraktionsgröße vergeben. So leitet ein Unions-Politiker das Gremium, das die Vorgänge rund um das Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz aufklären soll, ein SPD-Mann sitzt dem Maut-Untersuchungsschuss vor. Nun ist rechnerisch die AfD dran, die drittgrößte Fraktion im Parlament. Die Links-Fraktion hatte nach eigenen Angaben erwogen, gegen die Benennung des Rechtspopulisten Einwände zu erheben, dann wäre eine geheime Abstimmung erfolgt. Doch dazu kam es schließlich nicht.
Beim Wirecard-Skandal geht es womöglich um mehr als drei Milliarden Euro Verlust. In den kommenden Monaten soll der Ausschuss den spektakulären Bilanzskandal um den früheren Dax-Konzern aufklären. Höchst brisante Fragen sollen dabei beantwortet werden: Wie konnte es dazu kommen, dass der inzwischen insolvente Finanzdienstleister jahrelang Scheingewinne auswies? Warum hat die staatliche Finanzaufsicht Bafin derart versagt? Und welche Rolle spielt die Politik – ab wann wusste die Bundesregierung von Unregelmäßigkeiten? Für seine Arbeit stehen dem Untersuchungsausschuss umfangreiche Möglichkeiten zur Verfügung. Er kann etwa Akten einsehen und Zeugen einbestellen.
Angela Merkel hatte sich für Wirecard ins Zeug gelegt
Es gilt als sicher, dass die Wirecard-Aufklärer eine Reihe prominenter Zeugen laden werden: Finanzminister Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und voraussichtlich auch die Bundeskanzlerin. Angela Merkel (CDU) hatte sich bei einer China-Reise im vergangenen Herbst für Wirecard ins Zeug gelegt. Wirecard wollte damals eine chinesische Firma kaufen und hoffte auf Schützenhilfe beim Markteintritt. Bei der Kanzlerin für Wirecard verwendet hatte sich zuvor der ehemalige Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg.
Wirecard wurde 1999 in Aschheim bei München gegründet und galt als aufgehender Stern am Himmel der Finanzindustrie. Das Geschäftsfeld: Dienstleistungen rund um den bargeldlosen Zahlungsverkehr, etwa die Abwicklung von Bezahlvorgängen mit Kreditkarten, Risikomanagement und Geldtransfer im Internet. Eine florierende Firma mit glänzenden Zukunftsaussichten, so schien es lange. Und mit offenbar guten Verbindungen in die Politik.
Doch im Juni 2020 musste Wirecard einräumen, dass 1,9 Milliarden Euro an bilanzierten Vermögenswerten faktisch gar nicht existieren. Mit Luftbuchungen hatte die Firma offenbar versucht, den Markt zu manipulieren. Der Vorstandsvorsitzende Markus Braun trat zurück und wurde wegen des Vorwurfs der Vortäuschung von Einnahmen und Marktmanipulation festgenommen. Jan Marsalek, ein weiterer Wirecard-Manager, entzog sich seiner drohenden Festnahme durch Flucht. Bei seinem Abtauchen spielten möglicherweise ausländische Geheimdienste eine Rolle.
Für Scholz könnte der Fall Wirecard zu einer Belastung werden
Nun soll der Untersuchungsausschuss herausfinden, ob Bundesregierung und staatliche Aufsichtsbehörden wie die Bafin über Vorkommnisse bei Wirecard informiert waren und ob sie ihren Aufsichtsverpflichtungen nachgekommen sind. Durchaus heikle Fragen, da Vorwürfe der Manipulation bereits mehrfach in den Medien aufgetaucht waren. Davon dürfte auch Olaf Scholz gewusst haben, der als Finanzminister für die Finanzaufsicht zuständig ist. Zudem sollen Beamte Scholz bereits im Februar 2019 mitgeteilt haben, dass gegen Wirecard ermittelt werde. Sollten Scholz persönliche Verfehlungen in dem Fall nachgewiesen werden, könnte sich dies schädlich auf seine Kanzlerkandidatur auswirken.
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