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Ungarn: Streit mit Brüssel: Viktor Orbán geht es um mehr als nur Homosexuellen-Rechte

Ungarn

Streit mit Brüssel: Viktor Orbán geht es um mehr als nur Homosexuellen-Rechte

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    Er will das geltende Gesetz keinesfalls wieder zurückziehen: Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn.
    Er will das geltende Gesetz keinesfalls wieder zurückziehen: Viktor Orban, Ministerpräsident von Ungarn. Foto: John Thys, dpa

    Viktor Orbán weiß gar nicht, was die da im Westen von ihm wollen. Er sei schon zu kommunistischen Zeiten ein „Kämpfer für Schwulenrechte" gewesen, behauptet der ungarische Premier und lädt alle Zweifler nach Budapest ein. „Da gehören Regenbogenfahnen zum Straßenbild.“ Im Übrigen sei das umstrittene ungarische Kinderschutzgesetz in keiner Weise gegen Homosexuelle gerichtet. Was Orbán verschweigt: Die bunten Fahnen baumeln an den Balkonen seiner Kritiker. Und in dem Gesetz, das der rechtskonservative Regierungschef als Hilfe für Eltern sieht und über das sich seit einer Woche halb Europa aufregt, wird der Kampf gegen Kinderschänder mit dem Verbot verknüpft, Homo- und Transsexualität in Medien und Werbung zu zeigen. „Die da im Westen“ sind sich einig: Damit ist eine rote Linie überschritten.

    Niederländischer Premierminister will Ungarn aus der EU werfen

    17 Staats- und Regierungschefs unterschreiben eine Erklärung, in der die „Diskriminierung der LGBTI-Gemeinschaft“ angeprangert wird. Das englische Kürzel steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender und intersexuell. Dem niederländischen Premier Mark Rutte platzt sogar vollends der Kragen: „Für mich hat Orbáns Ungarn nichts mehr in der EU zu suchen.“ Rauswerfen aber lässt sich kein Mitglied. Hinzu kommt, dass zehn EU-Staaten beim Anprangern nicht mitmachen. Und allesamt stammen sie aus dem Osten. Die Regierungschefs aus Polen, Bulgarien und Tschechien springen Orbán im Streit mit Rutte sofort zur Seite.

    Erinnerungen werden wach an die Migrationskrise von 2015 und die Weigerung der meisten östlichen EU-Staaten, Geflüchtete aufzunehmen. Zufall ist das nicht. Der Streit über Themen wie Migration und LGBTI verweist auf eine anhaltend tiefe Ost-West-Spaltung in Europa. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass eine Mehrheit der Menschen in Ungarn Orbáns Geschlechterbild teilt, wie es auch in der Verfassung beschrieben ist, die der Regierungschef 2011 erneuern ließ. Die Ehe ist dort als Verbindung von Mann und Frau definiert. Seit vergangenem Jahr sind Adoptionen durch homosexuelle Paare ausgeschlossen. „Der Vater ist Mann, die Mutter ist Frau“, heißt es.

    Osteuropäer haben oft eine Abneigung gegen den Westen

    Im katholischen Ungarn bezeichnen sich rund zwei Drittel der Menschen als „nicht oder wenig offen“ für LGBTI. Im noch katholischeren Polen sind es sogar fast drei Viertel. Doch das liegt keineswegs nur an religiösen Traditionen. Im orthodoxen Bulgarien und im säkularen Tschechien sind die Werte ähnlich hoch. In den Benelux-Staaten und Skandinavien ist es umgekehrt: Zwei Drittel der Menschen sind dort „offen“ für nicht heterosexuelle Orientierungen. Fachleute erklären diese Unterschiede mit dem Fehlen einer 68er Revolte im Osten. Einen liberalen gesellschaftlichen Aufbruch habe es dort nicht gegeben, auch nach 1989 nicht. Im Gegenteil: Der Druck, den Westen nachzuahmen oder sogar „wie der Westen zu werden“, habe im Osten zu einem wachsenden Unbehagen und schließlich zu offener Ablehnung geführt, analysiert der bulgarische Politikwissenschaftler Ivan Krastev.

    Mit verheerenden Folgen für den Ost-West-Zusammenhalt in Europa. Denn nicht nur Orbán nutzt die antiliberalen Impulse in der Gesellschaft für politische Zwecke. Wie die Instrumentalisierung funktioniert, hat in den vergangenen Jahren vor allem die erzkonservative PiS in Polen vorgeführt. Vor der Europawahl 2019 entdeckte Parteichef Jaroslaw Kaczynski das Thema für sich: „Die LGBTI- und Gender-Ideologie bedroht unsere polnische Identität, die Nation und den Staat“, sagte er und konnte sich dabei auf eine Bewegung von unten stützen. Auf eine Initiative der ultrakonservativen Gazeta Polska hatten sich dutzende Kommunen im ländlichen, stark katholisch geprägten Südosten des Landes zu „LGBTI-freien Zonen“ erklärt.

    Kritik aus dem Westen

    Die lautstarke westliche Kritik an diesen „Zonen des Hasses“ stachelte die Erzkonservativen in Polen nur an. Im Präsidentschaftswahlkampf 2020 verstieg sich der PiS-Abgeordnete Jacek Zalek zu der Aussage: „Homosexuelle und Transgender sind keine Menschen, sondern Angehörige einer Ideologie.“

    Amtsinhaber und PiS-Kandidat Andrzej Duda distanzierte sich davon zunächst nicht, sondern legte nach. Selbstverständlich handele es sich bei LGBTI um eine Ideologie, die sich „neobolschewistischer Methoden“ bediene: „Diese Ideologie wird in Schulen geschmuggelt, um das Weltbild unserer Kinder während ihrer Sexualisierung zu verändern.“ Und der „Kreuzzug gegen Minderheiten“, von dem die Opposition sprach, hatte Erfolg. Duda siegte bei der Wahl.

    Manches spricht dafür, dass Orbán vor der ungarischen Parlamentswahl im kommenden Jahr eine ähnliche Kampagne plant. Der aktuelle „Regenbogenstreit“ in der EU dürfte dann nur der Auftakt zu einem Kulturkampf gegen den liberalen, letztlich „dekadenten“ Westen sein. Dass dies Orbáns zentrale Stoßrichtung ist, hat er schon 2014 in einer programmatischen Rede dargelegt, deren Ideen er heute mehr denn je verfolgt. Die Kraft des US-geführten Westens verfalle, sagte er damals, weil „die liberalen Werte heute Korruption, Sex und Gewalt verkörpern“. Daraus leitete er seine Aufgabe ab: „Der neue Staat, den wir in Ungarn bauen, ist ein illiberaler Staat. Er verneint nicht die Grundwerte des Liberalismus, wie die Freiheit, macht diese Ideologie jedoch nicht zum zentralen Element der Staatsorganisation.“ Ein illiberaler Staat mit freiheitlichen Werten? Es wäre die Quadratur des Kreises, möglich nur, indem man liberale Werte zu einer Ideologie erklärt. Und die Chiffre dafür lautet LGBTI. 

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