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Ungarn: Europa-Universität vertrieben: „Orbán testet, wie weit er gehen kann“

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Europa-Universität vertrieben: „Orbán testet, wie weit er gehen kann“

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    Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban bei seiner „Rede an die Nation“: Ein Weg Ungarns aus der EU würde für das Land in eine wirtschaftliche Katastrophe führen, sagt Experte Anton Pelinka.
    Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban bei seiner „Rede an die Nation“: Ein Weg Ungarns aus der EU würde für das Land in eine wirtschaftliche Katastrophe führen, sagt Experte Anton Pelinka. Foto: Attila Kisbendek, afp

    Herr Pelinka, Sie sind 2007 als einer der bekanntesten Politikwissenschaftler Österreichs dem Ruf an die vom US-Milliardär George Soros gegründete Central European Universität nach Budapest gefolgt. Nun zieht die Uni wegen der feindlichen Stimmung unter Ministerpräsident Viktor Orbán nach Wien. Wie beurteilen Sie die teils offen antisemitische Aggression, die Soros und der CEU in Ungarn entgegenschlägt?

    Anton Pelinka: Ministerpräsident Orbán verfolgt eine Doppelstrategie, die wir ebenso bei der österreichischen FPÖ beobachten können. Sie besteht darin, pro Israel zu sein und gleichzeitig antijüdische Stimmungen zu nutzen. Die Aggressionen gegen George Soros sind angeblich nicht antijüdisch begründet. Aber auf der unteren Ebene des nicht offen artikulierten Bewusstseins werden antisemitische Muster sichtbar, wenn George Soros zum Beispiel in Plakataktionen als geheimer Drahtzieher der Migrationsströme dargestellt wird, die das „christliche Abendland“ zerstören.

    Sie gelten zugleich als einer der führenden österreichischen Rechtspopulismus-Experten. Wie beurteilen Sie die Lage in Ungarn?

    Pelinka: Ungarn ist ein Ausnahmefall. Die Fidesz als Partei, die formal der europäischen Mitte angehört, nämlich der EVP, regiert faktisch rechtspopulistisch. Ungarn ist in der EU auf einem eindeutig pro-russischen Kurs. Außenpolitisch wird sich dies nicht umsetzen lassen. Auch Ungarns Partner in der Visegrád-Gruppe sind eindeutig auf einem antirussischen Kurs.

    Wie soll die EU problematischen Entwicklungen in Ungarn begegnen?

    Pelinka: Auf dem Boden des Rechtes mit Berufung auf die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs. Orbán testet, wie weit er gehen kann. Orbán will Ungarn nicht aus der EU hinausführen, weil er genau weiß, das wäre eine Katastrophe. Schließlich ist Ungarn Nettoempfänger in der EU.

    In vier Mitgliedsländern der Europäischen Union regieren inzwischen Rechtspopulisten mit. Was verbindet die Nationalisten in Europa?

    Pelinka: Gemeinsam ist diesen Parteien, dass alle gegen eine Vertiefung der Union sind, wenn nicht gänzlich gegen die EU. Es trennen sie ihre jeweiligen nationalen Interessen. Wenn die italienische Regierung, getrieben von Innenminister Matteo Salvini, erklärt, sie verlange die Solidarität der anderen europäischen Staaten in der Flüchtlingsfrage, dann sind es die österreichischen Rechtspopulisten, die als Erste schreien: „Nicht mit uns!“

    Werden die Rechtspopulisten nach der Europawahl trotzdem stärker zusammenarbeiten?

    Pelinka: Sie sind schon in einer Fraktion unter der Führung des französischen Rassemblement National, dem früheren Front National von Marine Le Pen. Die Frage ist, wie stark werden sie. Und wie deutlich wird die Mehrheit des Mainstreams aus Europäischer Volkspartei, Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen. 2014 sorgte dieser Mainstream dafür, dass Jean-Claude Juncker Kommissionschef wurde. Wenn sich das wiederholt, wird es 2019 eine vielleicht stärkere, aber nicht unbedingt einflussreichere Rolle der europäischen Rechtspopulisten geben.

    Werden Parteien der Mitte Bündnisse mit Rechtsparteien auf europäischer Ebene schließen?

    Pelinka: Das sehe ich nicht. Der Spitzenkandidat der EVP, Manfred Weber, hat sich hier sogar deutlicher abgegrenzt als die CSU, aus der er kommt. Ich glaube, es ist ziemlich klar, dass die EVP als Mehrheitsfraktion weiterhin eher den Konsens mit Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen sucht. Vorausgesetzt, das Wahlergebnis ermöglicht es.

    Manche hoffen, dass der Brexit als eine Art heilsamer Schock viele potenzielle Wähler von den Nationalisten abschrecken könnte...

    Pelinka: In Österreich trägt der Brexit dazu bei, dass die FPÖ ihre intern immer wieder aufflammenden Diskussionen über einen EU-Austritt beendet hat. Der Brexit ist momentan offenkundig so etwas wie ein abschreckendes Beispiel. Das kann sich wieder ändern. Aber gerade weil die EU-Kommission konsequent bleibt, wird der Brexit die Lust an einem Ausstieg aus dem europäischen Integrationsprozess vermiesen.

    Was können andere Parteien tun, um Rechtspopulisten zurückzudrängen?

    Pelinka: Es gibt zwei Möglichkeiten. Eine führt die schwedische Regierung vor, nie ein Bündnis mit Rechtspopulisten einzugehen. Auch Frankreich hat das bis heute vermieden. So wurde Le Pen zwar nicht geschwächt, aber von der Regierung ausgeschlossen. Das andere ist die österreichische Variante von Sebastian Kurz, die auch schon sein ÖVP-Vorgänger Wolfgang Schüssel und die Slowakei erprobt hatten. Sie versuchten, durch Umarmung die Rechtspopulisten gleichsam zu zähmen oder zu bändigen. Beide Strategien haben etwas für sich und beide beinhalten zugleich Risiken.

    Wie beurteilen Sie das Aufkommen der AfD in Deutschland?

    Pelinka: Deutschland war bisher aus historisch erklärbaren Gründen eine Ausnahme in Europa. Man hat die NPD als politisches Randphänomen ertragen und war gleichsam immun gegenüber erfolgreichem Rechtspopulismus. Das Auftreten der AfD ist Teil der Normalisierung Deutschlands.

    Welche Konsequenzen erwarten Sie auf lange Sicht?

    Pelinka: Ich nehme an, dass in Deutschland weder auf Bundes- noch auf Landesebene Koalitionen mit der AfD geschlossen werden. Das mag der AfD im Wahlkampf nutzen, weil sie sich dann als die große Oppositionskraft gegen die politischen Eliten darstellen kann. Das fällt der FPÖ in Österreich mittlerweile schwer. Sie ist Teil der politischen Funktionselite.

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