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Ukraine: Julia Timoschenko: Darum ist ihre Politik unberechenbar

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Julia Timoschenko: Darum ist ihre Politik unberechenbar

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    Julia Timoschenko will sich an die Spitze der Protestbewegung setzen. Doch ihre Politik ist unberechenbar.
    Julia Timoschenko will sich an die Spitze der Protestbewegung setzen. Doch ihre Politik ist unberechenbar. Foto: Sergey Dolzhenko/Archiv (dpa)

    Es ist nicht nur das Rückenleiden, das Julia Timoschenko beeinträchtigt. Die 53-Jährige, die sich unmittelbar nach der Freilassung aus dem Gefängniskrankenhaus in Charkiw am Samstagabend mit ihrem Auftritt auf dem Maidan in Kiew an die Spitze der Protestbewegung setzen will, muss einen schweren Dämpfer einstecken. Sie erhält freundlichen Beifall, aber Jubelstürme entfacht sie nicht. Obwohl sie, im Rollstuhl sitzend, die Menschen weit mehr mitreißt als zum Beispiel ein Vitali Klitschko.

    Julia Timoschenko: Die Ukraine ist skeptisch

    Hintergrund: Machtkampf in der Ukraine

    In der Ukraine stehen sich im Grunde zwei Lager gegenüber. Das Land ist gespalten in einen Teil, der sich eine stärkere Annäherung an die Europäische Union wünscht und einen Teil, der sich eher an Russland orientieren möchte.

    Ein EU-Beitritt würde sehr wahrscheinlich eine Demokratisierung der Ukraine bedeuten. Die EU würde gerne eine Freihandelszone zwischen ihr und der Ukraine errichten. Gleichzeitig arbeitet die Ukraine eng mit Russland und anderen östlichen Staaten zusammen - sie ist wirtschaftlich von Russland abhängig. Ein Abkommen mit der EU hätte negative Folgen für diese Zusammenarbeit.

    Die russland-treue Gruppe wird angeführt von der Regierung um Viktor Janukowitsch. Janukowitsch ist seit 2010 Präsident der Ukraine. Er war bereits von 2002 bis 2005 und 2006 bis 2007 ukrainischer Ministerpräsident. 2004 entzündete sich an seiner Person und seiner autokratischen Amtsführung bereits die Orangene Revolution. In deren Folge kam Janukowitsch zu Fall, bis ihm 2010 die Rückkehr an die Macht gelang.

    Gegen Präsident Janukowitsch und seine Regierung kämpfen vor allem drei Oppositionsparteien. Nicht alle Demonstranten fühlen sich allerdings von der Opposition vertreten. Ihre Führer ständen dem Etablishment schon zu nahe, so die Kritik. Gleichzeitig sind die Oppositionsgruppen untereinander uneinig und die Demonstranten zunehmend radikalisiert. Zu den Kernforderungen der Opposition gehören eine Beschneidung der Macht des Präsidenten sowie Neuwahlen.

    Zum einen ist da die pro-europäische Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen (Udar). Sie wird von Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko angeführt. "Udar" bedeutet auch "Faustschlag". Klitschko hat angekündigt, Präsident werden zu wollen. Auf dem Maidan ist er jedoch nur eine von vielen Führungsfiguren.

    Eine weitere Oppositionspartei ist die Vaterlandspartei. Zur ihr gehört unter anderem die inhaftierte Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Angeführt wird die Partei vom ehemaligen Wirtschafts- und Außenminister Arseni Jazenjuk.

    Zur Opposition zählt weiter die rechtsnationale Swoboda-Partei von Oleg Tiagnibok. Der Chirurg bezeichnet seine Anhänger und sich oft als "Sondereinheit fürs Grobe". Er ist auch schon durch antisemitische Äußerungen aufgefallen.

    Zentraler Protestpalast der ukrainischen Demonstranten ist der Maidan. Auf dem Unabhängigkeitsplatz in der Hauptstadt Kiew campieren seit Monaten Regierungsgegner. Hier kam es zuletzt zu schweren Ausschreitungen zwischen Regierung und Opposition mit zahlreichen Toten und Verletzten. Der Maidan gibt den Protesten auch ihren Namen: Euromaidan.

    Die Proteste entzündeten sich, als Präsident Janukowitsch am 21. November 2013 ein Assoziierungsabkommen mit der EU überraschend auf Eis legte. Pro-westlich gestimmte Ukrainer sahen darin eine Abkehr von der EU und eine neue Hinwendung hin zu Russland. In der Folge sicherte Russlands Präsident Putin Janukowitsch einen Milliarden-Kredit zu.

    Anfang Dezember 2013 forderten Hunderttausende erstmals den Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch sowie Neuwahlen.

    Am 19. Januar 2014 versuchten Hunderte Demonstranten, das Parlamentsgebäude zu stürmen. 200 Menschen wurden verletzt. Klitschko warnte vor einem Bürgerkrieg. Drei Tage später starben bei Zusammenstößen mindestens drei Demonstranten. Die Proteste weiteten sich auf die Regionen aus.

    Ende Januar 2014 einigten sich Opposition und Regierung auf die Abschaffung umstrittener Gesetze und eine Amnestie für Demonstranten. Regierungschef Asarow trat zurück. Putin legte den zugesagten Kredit auf Eis.

    Am 18. Februar 2014 und in den Tagen danach eskalierte die Lage auf dem Maidan. Es kam zu neuen Straßenschlachten mit Toten und Verletzten. Auf den Dächern standen Scharfschützen. EU-Politiker versuchten, zu vermitteln.

    Am 21. Februar 2014 verkündete Präsident Janukowitsch, die für 2015 geplanten Präsidentschaftswahlen vorziehen zu wollen. Ein Datum nannte er allerdings nicht. Außerdem wolle er eine "Regierung der nationalen Einheit" bilden.

    Am 22. Februar 2014 erklärte das ukrainische Parlament Janukowitsch für abgesetzt und legte den 25. Mai als Termin für Neuwahlen fest. Zudem wurde Ex-Regierungschefin Timoschenko freigelassen. Am 23. Februar 2014 wählte das Parlament Parlamentspräsident Alexander Turtschinow zum Übergangspräsidenten. Er gilt als Vertrauter von Timoschenko.

    Nach seiner Absetzung wurde am 24. Februar 2014 gegen Janukowitsch Haftbefehl wegen Massenmords erlassen. Der Ex-Präsident tauchte unter. Bürger durchstöberten derweil sein Anwesen und fanden allerhand Absonderliches, beispielsweise einen Privatzoo.

    Doch die Leute auf dem Platz, die unter großen Opfern die Revolution erkämpft hatten, haben offenkundig nicht auf sie gewartet. Die Skepsis, die in der Ukraine der gesamten Politikerkaste gilt, trifft auch Timoschenko. Sie mischt jetzt im politischen Spiel wieder mit. Als Chefin der Vaterlandspartei, der stärksten Oppositionspartei im Parlament, verfügt sie über eine solide Machtbasis und zieht die Fäden im Hintergrund. Bei der Präsidentenwahl im Mai will sie antreten. Klitschko übrigens auch.

    Wofür steht eigentlich Julia Timoschenko? Die als „Gasprinzessin“ in den 90er Jahren reich gewordene Frau setzte sich 2004 an die Spitze der ersten Protestbewegung auf dem Maidan. Damals ging es gegen Betrug bei der Wahl von Viktor Janukowitsch zum Präsidenten. Die Orangene Revolution erzwang Neuwahlen, die Janukowitsch verlor.

    Julia Timoschenko: Begnadete Rednerin, schwer berechenbare Politik

    Julia Timoschenko wurde damals das Etikett prowestlich angeklebt. Aber als Regierungschefin gelangen ihr keine Reformen, die aus der Ukraine einen modernen westlichen Staat gemacht hätten. Ihr unbändiger Ehrgeiz ließ sie viel Energie in einem unfruchtbaren Machtkampf mit ihrem zum Präsidenten gewählten Weggefährten Viktor Juschtschenko verplempern.

    Andererseits verstand sich Timoschenko überraschend gut mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Aus dem Gasliefervertrag, den sie in Moskau abschloss, wurde ihr später aber von Viktor Janukowitsch ein Strick gedreht, nachdem dieser 2010 Präsident geworden war. Ihr wurde vorgeworfen, sie habe ihre Macht missbraucht. Darauf folgten zweieinhalb Jahre Gefängnis.

    Julia Timoschenko steht vor allem für sich. Sie ist eine begnadete Rednerin. Aber ihre Politik ist schwer berechenbar.

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