Besteht noch die Chance auf eine würdevolle Amtsübergabe von Donald Trump an Joe Biden?
Thomas Jäger: Was Donald Trump betrifft, geht es um einen Fototermin im Weißen Haus mit einer traditionellen versöhnlichen Geste. Für Joe Biden wäre das wichtig, um mit seiner Versöhnungsbotschaft als Präsident aller Amerikaner anzukommen. Solange aber Trump bei der Behauptung bleibt, ihm sei die Wahl gestohlen worden, werden viele seiner Anhänger Biden als illegitimen Präsident betrachten. Das wäre eine schwere Hypothek für Bidens Präsidentschaft. Bei Trump spielen nicht nur psychologische Gründe eine Rolle. Er wird überlegen, von welchem Verhalten er politisch in Zukunft mehr profitiert. Denn er will seine Familie zu einer langfristigen politischen Marke in den USA aufbauen. Technisch läuft die Amtsübergabe auch ohne Trump. Schon jetzt laufen die Vorbereitungen, tausende Jobs in Behörden, Ministerien und anderen Stellen in Washington neu zu besetzen, auf vollen Touren.
Kann es Biden gelingen, das tief gespaltene Land zu versöhnen?
Jäger: Es ist es gut und richtig, dass Biden dies als die zentrale Aufgabe seiner Präsidentschaft definiert. Die starke Polarisierung zwischen den politischen Lagern ist das Grundproblem aller Probleme der amerikanischen Politik. Die beiden Lager sind oft noch nicht einmal in der Lage, über eine Sache zu streiten, geschweige denn einen Kompromiss zu finden, weil sie sich noch nicht mal einigen können, was die Sache eigentlich ist. Diese Polarisierung ist über Jahrzehnte entstanden und wird vor allem durch völlig unterschiedlich ausgerichtete Medien aufrechterhalten. Linke und Rechte verfolgen nur Sender, Radiostationen und Zeitungen, die ihr Weltbild bestätigen, aber nicht hinterfragen. Wenn die USA diese Polarisierung überwinden wollen, müssten sie diese Informationspolitik verändern.
Kann Biden unter diesen Umständen ein starker Präsident werden?
Jäger: Schon aus seiner Zeit als Senator lässt sich sagen, dass Biden jemand ist, der immer gern in der Mitte des Zeitgeistes segelt. Das ist seiner Karriere gut bekommen. Es ist eine gute Voraussetzung, um als Moderator unterschiedliche Interessen zusammenzuführen und um Kompromisse zu finden. Es ist aber nicht die beste Voraussetzung, um ein starker Präsident zu sein. Aber viele erfinden sich in diesem Amt neu. Deshalb müssen wir abwarten, was für ein Typ Präsident Joe Biden wird. In einigen Wochen weiß man mehr, wenn er sein Kabinett präsentiert. Seine bisherigen Reden sind sehr allgemein gehalten, aber immer betont er Versöhnung. Das ist ein ganz wichtiger Punkt für die amerikanische Gesellschaft, aber hier muss Biden jetzt konkret werden.
Viele spekulieren, dass Biden auch Republikaner in sein Kabinett beruft. Könnte das ein konkrete Geste sein?
Jäger: Das wäre gar nicht ungewöhnlich. Insbesondere die Demokraten haben häufig Republikaner zu Verteidigungsministern berufen. Allerdings scharren da bereits hinter den Kulissen viele demokratische Sicherheitspolitiker mit den Hufen. Biden muss viel Rücksicht auf seine eigene Partei nehmen, weil er ihre Stimmen bei der knappen Mehrheit im Parlament braucht. Eine Hypothek ist, dass die Demokraten nicht mit dem detaillierteren Programm in die Wahl gezogen sind. Nun sind innerparteiliche Auseinandersetzungen absehbar.
Wird Kamala Harris in Anbetracht von Joe Bidens Alter eine wichtigere Rolle als Vizepräsidentin spielen?
Jäger: Momentan weiß kaum jemand, wofür sie eigentlich steht. Ihre eigene Präsidentschaftskandidatur ist im Vorwahlkampf daran gescheitert, dass sie keine Positionen klarmachen konnte. Kamala Harris ist eine Berufspolitikerin, das heißt, es hindern sie keine tiefen Überzeugungen daran, flexibel Positionen einzunehmen. Von Beginn an wird sie kaum eine politisch starke Vizepräsidentin sein. Biden dürfte ihre Rolle so ähnlich gestalten, wie es Barack Obama mit ihm gemacht hat: Als eigenständiger Kopf, der die politischen Prozesse begleitet und ab und zu mal widerspricht, um das Weiße Haus davon abzuhalten, immer nur in eine Richtung zu denken.
Wie schwer wird es für Biden, falls die Republikaner die Mehrheit im US-Senat behalten?
Jäger: Das erschwert fast alle seiner geplanten Vorhaben, zumal die Demokraten, so wie es jetzt aussieht, nicht nur die Mehrheit im Senat verfehlen, sondern im Repräsentantenhaus sogar Sitze verloren haben. Joe Biden kann, wie es schon Barack Obama gemacht hat, viel mit präsidentiellen Dekreten reagieren. Aber sein großer Trumpf gegenüber Obama ist, dass Biden sehr gut im Senat auch auf der republikanischen Seite vernetzt ist. Biden hat hier jahrzehntelang für die Demokraten vermittelt und enge Beziehungen. Man muss abwarten, ob ihm das hilft und er auch als Präsident Kompromisse hinbekommt.
Was bedeutet Trumps Niederlage für die Republikaner?
Jäger: Die andere Seite von Joe Bidens Sieg ist, dass Donald Trump die Wahl nicht krachend, sondern nur ganz knapp verloren hat. Und das heißt, 70 Millionen Amerikaner haben nicht nur Trump, sondern auch seinen Nationalpopulismus gewählt. Von den Republikanern haben zunächst nur erklärte Trump-Gegner wie Jeb Bush oder Mitt Romney Biden gratuliert, die in der republikanischen Partei keine Rolle mehr spielen. Das heißt: Die Republikaner und ihre Funktionäre stehen noch immer fest zu Trump. Und er wird für den größten Teil der republikanischen Wählerschaft die wichtigste Identifikationsfigur bleiben. Politisch wird Trumps Nationalpopulismus auch in Zukunft als Hauptströmung die republikanische Partei bestimmen. Wer immer die Partei anführen will, wird das nur gemeinsam mit und nicht gegen Trump machen können.
Wie gefährlich wird für Trump der Ärger mit der Justiz?
Jäger: In amerikanischen Medien wurde schon spekuliert, Trump könnte in den letzten Amtstagen zurücktreten, um sich dann von Vizepräsident Mike Pence begnadigen zu lassen. Viele erwarten, dass der Weg von Donald Trump aus dem Weißen Haus direkt in einen Gerichtssaal nach dem anderen führt. Aber selbst eine Begnadigung dürfte ihm dabei wenig nützen, weil diese nur für Verletzungen des Bundesrechts gilt. Das würde vielleicht für eine drohende Klage wegen Behinderung der Justiz gelten. Aber es sind gegen Trump als Unternehmer und Privatmann eine ganze Reihe von Verfahren in New York anhängig, die ihm gefährlich werden können.
Zur Person: Thomas Jäger, 60, der Amerika-Experte lehrt als Professor für Außenpolitik und internationale Politik an der Universität Köln.
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