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Interview: USA-Experte Jäger: "Ohne Corona wäre die US-Wahl längst entschieden"

Interview

USA-Experte Jäger: "Ohne Corona wäre die US-Wahl längst entschieden"

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    Wahlkampf vom Feinsten: Der aktuelle US-Präsident Donald Trump am Dixie Highway direkt neben seinem Herausforderer Joe Biden.
    Wahlkampf vom Feinsten: Der aktuelle US-Präsident Donald Trump am Dixie Highway direkt neben seinem Herausforderer Joe Biden. Foto: Joe Cavaretta/South Florida Sun-Sentinel/AP, dpa

    Herr Professor Jäger, wenige Wochen vor der US-Wahl steht Donald Trump massiv in der Kritik. Er soll gefallene Soldaten als „Loser“ verhöhnt haben und nun hat der Watergate-Journalist Bob Woodward enthüllt, dass Trump nach eigener Aussage absichtlich die Gefahr des Coronavirus heruntergespielt hat. Was bedeutet das für die Wahlen am 3. November?

    Thomas Jäger: Das ist für Trump nach den angeblichen Beleidigungen der gefallenen Soldaten der zweite Super-GAU in einer Woche. Das Militär, die einzige in den USA hoch angesehene staatliche Institution zu verhöhnen, ist gerade für einen Republikaner politisch tödlich. Und nun wird auch noch bezüglich des für die US-Bürger wichtigsten Themas dokumentiert, dass der Präsident bewusst Unwahres sagte und damit Menschen in Gefahr brachte. In den USA wird ja ab jetzt zwei Monate lang gewählt und deshalb ist zu erwarten, dass wöchentlich Derartiges berichtet wird. Trumps Anhängern bleibt nur die Frage, die alle an Bob Woodward stellen müssen: Warum veröffentlicht er das erst jetzt? Wenn Trump Menschen bewusst gefährdet hat, hat Woodward das wissentlich unterstützt, weil er die Hilfe unterließ. Das ist nicht nur Corona-Gate für Trump, sondern auch für Woodward.

    Dennoch haben solche Skandale Trump noch nie geschadet. Warum scheint er immun zu sein?

    Jäger: Trump lebt nach dem Prinzip „Ist der Ruf erst mal ruiniert …“ Das ist für ihn ein Garant für größtmögliche Aufmerksamkeit. Er bestimmt damit die öffentliche Wahrnehmung in allen Debatten. Der erwartete Aufstand bei den Republikanern gegen ihn ist ausgeblieben. Seine Kritiker sind in der Partei eine kleine Gruppe geblieben. Das „Lincoln Project“, eine Gruppe von Republikanern, die bewusst gegen Trump Wahlwerbung machen, hat Probleme, Geld zu sammeln. Die Republikaner sind heute die Partei Trumps, sie gehört ihm regelrecht. Er hat Zustimmungswerte in der Partei zwischen 85 und 95 Prozent. Der Republikaner-Parteitag war ein Familienfest der Trump-Familie.

    Wie sehr hat Trump die USA verändert?

    Jäger: Donald Trump hat die Spaltung der Gesellschaft auf die Spitze getrieben. Er behandelt den politischen Gegner nicht mehr als Gegner, sondern als Feinde des Landes. Er nennt Demonstranten Terroristen. Das Klima der Feindschaft ist ein Hauptergebnis seiner Präsidentschaft. Aber Trump hat auch Erfolge. Die Wirtschaft hat sich unter ihm bis Ende 2019 ausgesprochen positiv entwickelt. Die Arbeitslosigkeit war niedrig, die Löhne sind gestiegen. Das haben ihm viele Amerikaner sehr positiv angerechnet. Doch dann kam Corona und die Pandemie machte die wirtschaftlichen Erfolge zunichte. Sein Umgang mit Corona und seine öffentlichen Verharmlosungen des Virus werden ihm sehr negativ angerechnet.

    Welche Rolle wird Corona für die Wahl spielen?

    Jäger: Corona hat alles verändert. Ohne die Pandemie bräuchten wir jetzt gar nicht über den Wahlkampf reden: Trump hätte ohne Corona die Wahl sicher gewonnen. Momentan ist die Arbeitslosigkeit zwar enorm, aber im historischen Vergleich noch nicht katastrophal. Interessanterweise sehen die Amerikaner derzeit nicht die Wirtschaft an erster Stelle der wichtigsten Probleme des Landes, sondern tatsächlich das Krisenmanagement dieser Pandemie. Hier hat der Präsident lange eine so tragische und lächerliche Figur abgegeben, dass sein Herausforderer Joe Biden ruhig in seinem Keller bleiben und zusehen konnte, wie Donald Trump sich Tag für Tag selbst demontiert hat. Die Demokraten mussten ihn nicht mal kritisieren. Trump hat sich geradezu dämlich als unfähiger Krisenmanager präsentiert. Das hat Trump aber inzwischen kapiert und seinen Kurs geändert.

    Welche Rolle spielen die harten Rassismus-Auseinandersetzungen?

    Jäger: Dieses Thema beherrscht die USA weniger stark, als wir in Europa den Eindruck haben. In Umfragen nennt genau ein Prozent der Amerikaner Polizeigewalt als wichtigstes Problem der USA, den Rassismus im Land zehn Prozent. Im Hintergrund spielt das Thema allerdings eine große Rolle, weil mit Rassismus Politik gemacht wird. Trump schürt Ängste bei seiner weißen Wählerschaft, dass Minderheiten die Mehrheit im Land übernehmen. Zugleich sagt er aber auch, das es beste Mittel gegen Rassismus sei, Arbeitsplätze zu schaffen.

    Wie real sind die Ängste vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die Trump auch mit Bildern von paramilitärischen Bundespolizisten angeheizt hat?

    Jäger: Es gibt tatsächlich eine Zahl von etwa 15 Prozent der Amerikaner, die in den nächsten Jahren ernsthaft mit einem echten bewaffneten Bürgerkrieg rechnen. Diese Befürchtungen – und auch bewaffnete Milizen – gibt es schon länger, aber Donald Trump hat diese Situation auf die Spitze getrieben. Einen echten Bürgerkrieg würden aber die amerikanischen Sicherheitskräfte verhindern. Sowohl die Polizei als auch die Nationalgarde als auch das Militär. Deshalb wird diese Befürchtung von der Mehrheit nicht geteilt.

    Es wird viel darüber spekuliert, dass Trump eine demokratische Wahlniederlage nicht akzeptieren könnte …

    Jäger: Das halte ich nicht für realistisch, wenn man’s bis zum Ende denkt. Aber wenn die Wahl nicht eindeutig ausfällt, wird das Ergebnis heiß umstritten sein und angefochten werden. Trump bereitet den Weg dahin vor, indem er schon jetzt sagt, diese Wahl sei korrupt. Es läuft bereits eine ganze Reihe von Prozessen, die übrigens von beiden Parteien angestrengt wurden, über die von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlichen Regeln zur Briefwahl. Trumps Anwälte werden jeden einzelnen umstrittenen Fall vor Gericht bringen und dann wird es interessant, was das für die Präsidentenwahl bedeutet.

    Was passiert dann?

    Jäger: Entweder die Gerichte entscheiden rechtzeitig bis zum 8. Dezember und in allen Staaten steht ein Ergebnis fest. Dann wählen die Wahlmänner im sogenannten „Electoral College“ den Präsidenten. Wenn kein Kandidat 270 Stimmen bekommt, weil nicht alle Bundesstaaten ihre Wahlmänner entsandt haben, wählt das Repräsentantenhaus am 6. Januar den Präsidenten. Da haben, weil nach Staaten abgestimmt wird, derzeit die Republikaner die Mehrheit. Dass Trump im Falle einer Niederlage das Weiße Haus nicht verlassen würde, halte ich für ausgeschlossen. Denn er weiß, dass dann eine Eskorte kommt. Es gibt für das Militär nur einen Oberkommandierenden und das ist der gewählte Präsident. Die eigentliche Frage wird sein, ob der Sieger wirklich von der anderen Hälfte der Bevölkerung als legitimer Präsident angesehen wird.

    Sie haben 2016 schon früh einen Sieg Trumps über Hillary Clinton als wahrscheinlicheren Wahlausgang vorhergesagt. Wie lautet ihre Einschätzung für den November?

    Jäger: Es ist noch enger, als es damals war. Zum jetzigen Zeitpunkt halte ich es für ein völlig offenes Rennen und glaube nicht, dass Joe Biden schon Favorit ist. Biden muss einen Spagat machen: Er muss sowohl die Demonstrationen von „Black lives matter“ gewinnen als auch jene weißen Wähler auf dem Land, die sich von den Protesten abgeschreckt fühlen. Zudem muss er im Süden die sogenannten Minderheiten gewinnen, ebenso die Jungwähler.

    Sind der 77-jährige Biden und die 55-jährige Kamala Harris dafür das richtige Duo?

    Jäger: Jedenfalls sind sie kein Erfolgsduo, sonst wären sie nach dem Parteitag in den Umfragen Trump davongelaufen. Stattdessen schmilzt ihr Vorsprung. Die Demokraten haben eigentlich nur das Programm „Trump muss weg“. Auf wirkliche Inhalte konnte sich die zerstrittene Partei nicht einigen und bleibt deshalb vage. Ich bin überzeugt, dass Biden ohne Corona gar nicht Kandidat geworden wäre, nachdem er in den Vorwahlen lange zurücklag. Mit Kamala Harris hat Biden zwar eine risikolose Wahl getroffen. Aber ob die strenge Staatsanwältin aus einem Akademikerhaushalt wirklich Minderheiten als Wählerscharen anzieht, ist offen.

    Sind die Umfragen nun zuverlässiger?

    Jäger: Die Umfrageinstitute sagen, sie haben ihre Methodik neu justiert und lagen bei den Kongresswahlen 2018 tatsächlich richtig, als die Demokraten in den jetzt umkämpften Staaten vorne lagen. Aber in der US-Geschichte ist es selten, dass ein Präsident nach nur einer Amtszeit abgewählt wird: Der letzte war 1996 George Bush Senior. Und das auch nur, weil der unabhängige Kandidat Ross Perot richtig Stimmen holte und die Kräfteverhältnisse durcheinanderbrachte. Zuvor war der letzte abgewählte Präsident 1980 Jimmy Carter, der dramatische Fehler gemacht hatte.

    Viele schauen mit Befremden auf das amerikanische Wahlsystem: In wenigen „Swing States“, auch Schlachtfeld-Staaten genannt, wird ausgekämpft, wer die entscheidenden Wahlleute bekommt und dann Präsident wird. Spielt dieses System Trump in die Hände?

    Jäger: Es gibt keinerlei Konsens, dieses Wahlsystem zu ändern, weil sonst die vielen kleineren Bundesstaaten die Verlierer wären. Insofern gewinnen eher die Kandidaten, die etwas kleinere Staaten und ländliche Gebiete repräsentieren. Würde der Präsident mit einem Mehrheitswahlsystem gewählt, würden sich alle Kandidaten nur in New York, Kalifornien oder Texas tummeln und keiner würde nach Iowa kommen. Deshalb sind in diesem Wahlsystem konservative Kandidaten, die in ländlichen Gebieten punkten, tatsächlich eher im Vorteil.

    Wenn Donald Trump verlieren sollte, was wird von ihm bleiben?

    Jäger: Schlicht er selbst. Donald Trump wird Donald Trump bleiben. Er ist – wertfrei formuliert – unterhaltsam, die US-Comedyshows kennen seit vier Jahren nur noch ihn als Thema. Und wenn er das Weiße Haus verlassen müsste, wird er weitermachen, was er bislang die ganze Zeit getan hat: permanenten Wahlkampf. Vielleicht macht er einen eigenen Fernsehkanal auf. Er wird eine politische Kraft in den USA bleiben, denn seine Idee war es immer, Trump als politische Marke in den USA aufzubauen. Seine Tochter und seine Söhne werden das weitertragen, wenn auch mit einem anderen Stil.

    Zur Person: Thomas Jäger, 60, der Amerika-Experte lehrt als Professor für Außenpolitik und internationale Politik an der Uni Köln.

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