Die Mini-Umfrage an einer Straßenkreuzung unweit des hoch über den East River aufragenden UN-Gebäudes ergibt: Bundeskanzlerin Angela Merkel scheint in den USA bekannter zu sein als die 16-jährige schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg. Zumindest hier in New York, zumindest bei den Menschen, die sich vom deutschen Reporter während zweier roter Ampelphasen im Vorbeigehen befragen lassen. Zumindest: noch.
Denn der Auftritt Greta Thunbergs während des UN-Klimagipfels am Montag dürfte das ändern. Er ist anders als ihre öffentlichen Auftritte in den USA zuvor. Hochemotional. US-Amerikaner lieben die Show, Thunberg bietet ihnen eine – wenn man denn so will. Es ist ein bemerkenswerter Auftritt. Angela Merkel sitzt im Publikum. Sie hört, wie Thunberg den versammelten Staats- und Regierungschefs ins Gewissen redet, mit Tränen in den Augen, Wut in der Stimme.
„Wenn ihr so weitermacht, werden wir euch niemals vergeben können“, sagt Thunberg. Der Wandel, sagt sie, „wird kommen. Ob ihr es wollt oder nicht“. Sie macht den Politikern schwere Vorwürfe: „Wie konntet ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit euren leeren Worten?“ Sie spricht vom Beginn eines „Massenaussterbens“. US-Präsident Donald Trump verpasst ihre Rede. Aber immerhin: Er kommt. Überraschend. Trump, der bereits kurz nach seinem Amtsantritt den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen verkündet hatte, der den Klimawandel leugnet – er wollte eigentlich gar nicht den Klimagipfel besuchen. Er ist dann doch da, für eine Viertelstunde. Die Rede Angela Merkels will er sich wohl nicht entgehen lassen.
UN-Klimagipfel: Greta Thunberg und Angela Merkel im Mittelpunkt der Öffentlichkeit
Neben Greta Thunberg steht die Bundeskanzlerin im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit. Die Erwartungen an den Klimagipfel und besonders an sie sind hoch. Einige der etwa 60 Staats- und Regierungschefs sehen in ihr die „Klimakanzlerin“. Ein Ruf, den sie sich vor vielen Jahren erworben hat und den sie in Afrika nach wie vor genießt. Ghana beispielsweise will Deutschland nachfolgen und bis 2050 klimaneutral sein. Ob sie ihm gerecht wird?
Am Sonntagabend jedenfalls nicht, als sie von Berlin aus in Richtung New York aufbricht. Merkels Reise beginnt mit einem Klima-Fiasko. Die ehemalige CDU-Chefin hat einen Regierungsflieger am Flughafen Tegel stehen, ihre Nachfolgerin in diesem Amt, Annegret Kramp-Karrenbauer, auch. Merkel will nach New York, Kramp-Karrenbauer in das nur gut eine Flugstunde entfernte Washington. Nach den jüngsten schwarz-roten Schwüren, nun verschärft etwas für die Umwelt tun zu wollen, ist das ein verheerendes Signal.
Die Angelegenheit wirft auch ein bezeichnendes Licht auf den politischen Umgang mit dem Klimaschutz: Man bearbeitet das Thema, aber am Ende dann doch nicht mit der nötigen Konsequenz.
Wer sich allein schon den Aufwand anschaut, der in New York für den Klimagipfel betrieben wird, zweifelt ein wenig am ökologischen Verstand der Politiker. Die Staats- und Regierungschefs haben alle große Delegationen im Schlepptau. Dazu gehören Mitarbeiter, Personenschützer, Journalisten. Bei Merkel kommen etwa fünf Dutzend Leute zusammen.
Die Flughäfen rund um New York sind wegen des Andrangs an Regierungsmaschinen voll, der CO2-Ausstoß muss gigantisch sein. Und da hilft es nur ein bisschen, dass Flüge deutscher Regierungsmitglieder beziehungsweise deren ökologischer Fußabdruck über entsprechende Programme ausgeglichen werden. Passenderweise vermelden Nachrichtensender den heißesten September seit den Wetteraufzeichnungen in New York. Es ist bis zu 30 Grad Celsius warm. Was zu einer weiteren Absurdität führt: Weil es für US-Amerikaner schlicht als Dummheit erscheint, bei solchen Temperaturen die Klimaanlage nicht einzuschalten, wird überall gekühlt, was das Zeug hält. Selbst im UN-Gebäude verleitet die Innentemperatur dazu, eine Jacke anzuziehen.
Das Gebäude ist bald 70 Jahre alt und sieht auf Fernsehbildern ziemlich imposant aus – im Inneren ist es das nicht. Vor dem Gebäude stehen Kolonnen von Autos. Auch in Warteposition schalten ihre Fahrer die Motoren nicht aus. Wegen der Klimaanlagen. Hier wird CO2 in die Luft geblasen, dass es nur so rauscht.
Längst demonstrieren nicht mehr nur Schüler freitags für den Kimaschutz
Greta Thunberg musste auch durch dieses Gewimmel aus Polizisten und Streifenwagen. Sie ist zierlich, nicht leicht zu entdecken. Doch auch wer sie am Montag nicht sieht, ihrer Botschaft ist nicht zu entkommen. Thunberg hat ihren „Schulstreik fürs Klima“ in die ganze Welt getragen. Längst demonstrieren nicht mehr nur Schüler an Freitagen für mehr Klimaschutz. Thunberg und ihre Unterstützer können sich zuschreiben, dass sie der Politik einen gewaltigen Tritt verpasst haben. In Deutschland geben Spitzenpolitiker unumwunden zu, dass die 16-Jährige und ihre „Fridays for future“-Bewegung Einfluss auf das Klimapaket der Bundesregierung hatten. Ohne die Massenproteste würde die Bundesregierung wohl immer noch beklagen, dass Klimaziele gerissen wurden. Jetzt gibt es neue Ziele, neue Ideen, neue Maßnahmen.
So verkündet es auch Angela Merkel in ihrer knapp fünfminütigen Rede während des UN-Klimagipfels. Merkel ist in der ersten Runde gleich nach der Eröffnung an der Reihe, die um 16 Uhr deutscher Zeit startet. Als eine der Ersten darf sie ans Rednerpult treten, was die Wertschätzung zeigt, die man ihr hier entgegenbringt. Es zeigt aber auch, welche Erwartungshaltung andere Staaten an Deutschland haben. An Deutschland, das Klimaschutz-Vorbild. Merkel erwähnt die Vorzüge des gerade von Union und SPD verhandelten Klimapakets. Sie übertreibt es dabei nicht, zeigt auch nicht mit dem Finger auf andere. Es soll keineswegs der Eindruck entstehen, Deutschland sei als Klima-Missionar unterwegs. Was ohnehin peinlich wäre, denn die meisten Anwesenden wissen durchaus, dass Deutschland und die EU bereits einige Klimaziele verfehlt haben.
Auch in der aktuellen Folge unsere Podcasts "Augsburg, meine Stadt" geht es um das Thema Klimaschutz. Die Augsburger Schülerinnen Aylin Yildiz und Emma Schwaiger erzählen unter anderem, wie sie ihren Alltag zugunsten des Klimas umgekrempelt haben.
„Wir alle haben den Weckruf der Jugend gehört“, sagt Merkel in Anspielung auf Greta Thunbergs Auftritt und betont, es gebe „keinen Zweifel, dass der Klimawandel, die Erderwärmung, im Wesentlichen vom Menschen gemacht ist“. Die Industriestaaten seien die Verursacher, die Entwicklungsländer seien die Hauptleidtragenden. Die Industrienationen müssten deshalb Geld und Technologie einsetzen, um die Erderwärmung zu stoppen. Vor den Augen von US-Präsident Donald Trump verspricht Merkel zusätzliches Geld im Kampf gegen den Klimawandel. Und mit Blick auf Trump, den Klimawandelleugner, wirkt sie dann doch wieder wie eine Vorreiterin in Sachen Klimaschutz.
UN-Klimagipfel 2019: Beim Klimaschutz klafft eine Lücke zwischen Ziel und Handeln
Zwischen dem politisch erklärten Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, und dem tatsächlichen Handeln klafft allerdings eine gewaltige Lücke. Es sind nach derzeitigen Berechnungen 32 Gigatonnen CO2 zu viel bis 2030, hat eine hochrangige Expertengruppe – darunter Experten der UN-Organisationen für Meteorologie und Umwelt sowie des Weltklimarates IPCC – pünktlich zum Gipfel ausgerechnet. Beteiligt daran war die Generalsekretärin des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC, Brigitte Knopf. „Wir müssen nun vom Wissen zum Handeln kommen, es geht um die Umsetzung von konkreten Maßnahmen zur CO2-Vermeidung. Einem Preis auf CO2 kommt dabei eine entscheidende Rolle zu“, sagt sie. Genau solch einen Preis hat das deutsche Klimakabinett gerade auf den Weg gebracht. Seine Höhe ist umstritten.
Merkels Umweltministerin sowie ihr Entwicklungsminister sind ebenfalls in New York: Svenja Schulze von der SPD und Gerd Müller von der CSU sind nach der Landung jedoch im eigenen Auftrag unterwegs. Müller startet in New York zusammen mit Weltbank-Präsident David Malpass ein globales Programm für den Waldschutz. Der Entwicklungsminister sagt 200 Millionen Euro zu. Weitere 30 Millionen Euro gehen an die Zentralafrikanische Waldinitiative CAFI, noch einmal 20 Millionen Euro fließen an indigene Gemeinschaften.
Ein Eindruck, den die Politiker in diesen Tagen erwecken wollen, ist unübersehbar: Sie wollen etwas bewegen. Nicht anders Angela Merkel, die vor Beginn des Klimagipfels bei einer Veranstaltung zur Rettung des Regenwaldes erklärt, dass Deutschland „die Biodiversität und den Wald“ mit 337 Millionen Euro unterstütze. Sie betont, dass man das Geld nicht einfach verteilen könne. „Sondern wir müssen natürlich Ergebnisse erzielen“. Mit anderen Worten: Geld gibt es nur, wenn die Nehmerländer nachweisen, dass weniger Wald abgeholzt wird. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, zitiert sie ein deutsches Sprichwort.
Auch der Papst sendet eine Botschaft - per Video
Aber es gab schon viele derartiger Klimagipfel, auf denen Gutes versprochen wurde. In New York im Jahr 2007 etwa, dann 2014. Dazu die Treffen in Kopenhagen, in Paris. Oder die G20-Gipfel, auf denen auch stets einer besseren Umwelt das Wort geredet wurde. Man versammelte sich, man schob Papier hierhin und Millionensummen dorthin. Und doch verbreitete sich zunehmend ein Gefühl der Resignation – man handelt, aber der Klimawandel ist nicht aufzuhalten.
An diesem Dienstag wird Angela Merkel zur Generalversammlung der Vereinten Nationen erwartet. Auch dort geht es um den Klimaschutz. Am Montagabend twittert Regierungssprecher Steffen Seibert noch ein Foto. „Begegnung vor den Reden“, schreibt er dazu. Zu sehen sind die Bundeskanzlerin und Greta Thunberg, die 16-jährige Klimaaktivistin. Auch das ist eine Botschaft an einem Tag voller Botschaften. Eine sendet sogar Papst Franziskus per Video. „Auch wenn die Lage nicht gut ist und der Planet leidet, ist das Fenster der Möglichkeiten noch immer geöffnet“, sagt er. „Noch. Noch sind wir in der Zeit. Lassen wir nicht zu, dass es sich schließt.“
Hier lesen Sie ein Interview mit Jugenddelegierten aus Deutschland: "Greta Thunberg hat uns Jugendlichen aus der Seele gesprochen."
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