Im Club Flamingo ging es hoch her an diesem Abend im Juni, ein Mann mit einer Covid-19-Erkrankung feierte in dem Zürcher Szenetreff kräftig mit. Mindestens fünf andere Menschen fingen sich eine Infektion ein, 300 Gäste und Angestellte mussten in Quarantäne. In den Schweizer Medien sorgte der „erste Superspreader im Kanton Zürich“ am 21. Juni für reichlich Schlagzeilen.
Denn der Vorfall im Flamingo-Club wirft ein Schlaglicht auf die Lage in der gesamten Schweiz, wo pro Kopf insgesamt weit mehr Leute an Covid-19 erkrankten und starben als in Deutschland. „Sars-CoV-2-Infektionen nehmen derzeit in der Schweiz mit alarmierender Geschwindigkeit zu“, warnte die nationale Task Force zu Covid-19 vor wenigen Tagen. Insbesondere in Gebieten mit hoher Bevölkerungsdichte sei ein „exponentielles“ Wachstum der Erkrankungen zu verzeichnen. Anfang Juli gab es an einem Tag sogar 137 bestätigte neue Fälle. Gut zwei Wochen davor waren es nur 17 gemeldete Fälle innerhalb eines Tages. Das Bundesamt für Gesundheit verzeichnete in den letzten beiden Wochen des Junis insgesamt mehr als eine Verdoppelung der Fallzahlen. Für das Bundesamt steht auch fest, wer für die Häufung die Verantwortung trägt: „Seit Mitte Juni ist es wiederholt zu einer Ausbreitung des neuen Coronavirus in der Schweiz gekommen, nachdem infizierte Personen eingereist sind.“ Seit Anfang dieser Woche sinken die Zahlen – ob damit ein stabiler Trend eingeläutet wird, bleibt offen.
Epidemiologe sagt: "Zweite Corona-Welle ist da"
Die beunruhigenden Nachrichten von der Corona-Front veranlassten den Tessiner Epidemiologen Andreas Cerny zu einer aufsehenerregenden Aussage: „Die zweite Welle ist da“, sagte er im TV. Und der Notfalldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Mike Ryan, hält fest, dass es sich bei den sprunghaft steigenden Fallzahlen in Ländern wie der Schweiz um die „zweite Spitze in der ersten Welle“ handele.
Da sich die Corona-Krise in Helvetien aber unzweifelhaft verschärfte, konnte auch die Regierung, der Bundesrat, nicht wegschauen. Das Kabinett ordnete neue Einschränkungen an. Seit Montag müssen alle Passagiere ab zwölf Jahren im öffentlichen Verkehr eine Schutzmaske tragen. Damit will die Regierung vor allem für den Reiseverkehr im Sommer gewappnet sein. „Mit der Maske schützen wir uns selber und unsere Mitmenschen“, versicherte Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. Doch einige Experten halten die jetzt eingeführte Maskenpflicht in Zügen, Bergbahnen und Bussen für verspätet. „Wir haben bereits im April in bestimmten Situationen eine Maskenpflicht empfohlen“, sagt der Epidemiologe Marcel Tanner von der Taskforce gegenüber dem Portal nau.ch.
Masken-Pflicht kommt in der Schweiz mit Verspätung
Tatsächlich wollte die Regierung monatelang nichts von der Maskenpflicht wissen – damit machte das Kabinett die Schweiz international zum Nachzügler. Bern beschloss jetzt zudem eine Quarantäne von zehn Tagen für Menschen, die aus Risikoländern in die Eidgenossenschaft einreisen. Die „betroffenen Personen“ müssen sich bei den Behörden melden. Das Bundesamt für Gesundheit setzte gleich mehr als zwei Dutzend Staaten auf die Seuchenliste: Von Argentinien über Israel und Schweden bis zu den USA.
Auch in Österreich macht das Virus keine Sommerpause. Bereits am Montag stieg die Zahl der Infizierten über die 1000er Marke. Am Dienstag nannte das Gesundheitsministerium in Wien 1029 offizielle Corona-Fälle. Als Hotspot gilt Oberösterreich: Wie auch in Ostwestfalen scheinen sich Fleischereigroßbetriebe zu Virus-Herden zu entwickeln.
Schlachthöfe und Gottesdienste als Corona-Herde
Am vergangenen Sonntag wurden in drei Schlachthöfen in Ried im Innkreis, nur wenige Kilometer von der bayrischen Grenze entfernt, sowie im Raum Wels zehn Mitarbeiter und 13 ihrer Kontaktpersonen positiv auf Corona getestet. Nach einem Gottesdienst einer Freikirche in Oberösterreich traten ebenfalls gehäuft Corona-Fälle auf. Das Bundesland schloss daraufhin in fünf Bezirken Schulen und Kindergärten – nur eine Woche vor Ferienbeginn.
Am Dienstag musste Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) noch weiter einlenken. Ab Donnerstag gilt in Oberösterreich wieder die Maskenpflicht, und zwar in allen Geschäften, Einkaufszentren und Dienstleistungsbetrieben. Auch in Lokalen muss beim Betreten, Verlassen und auf dem Weg zum oder vom Tisch wieder Maske getragen werden, auch vom Personal. In öffentlichen Verkehrsmitteln kontrollieren Beamte, ob der Mund-Nasen-Schutz getragen wird und verhängen gegebenenfalls auch Strafen. Er glaube, dass die Ausbreitung der Krankheit wieder eingedämmt werden könne, so der Landeshauptmann am Dienstag vor Journalisten. Die Maßnahme sei mit der Bundesregierung und Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) abgestimmt. Sie solle dazu dienen, schärfere Schritte wie einen Lockdown zu vermeiden. „Wir setzen darauf, dass das gelingen wird.“
Corona in Österreich: Tests in Großbetrieben geplant
Politisch ist man bemüht, die Diskussion um Fleischereibetriebe und die Bedingungen der dort auch in Österreich beschäftigten Leiharbeiter zu entschärfen. „Die österreichischen fleischverarbeitenden Betriebe sind mit jenen in Deutschland nicht zu vergleichen“, beeilte sich Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger, ebenfalls ÖVP, zu erklären. Nun will man in den Großbetrieben aber auch asymptomatische Personen testen.
Aufregung und heftige Kritik von der Opposition gibt es indes über einen neuen Erlass der Bundesregierung aus ÖVP und Grünen, der die Polizei ermächtigt, bei der „Erhebung von Krankheitssymptomen“ mitzuwirken. Die Polizei darf Adressdaten von „Kranken, Krankheitsverdächtigen und Ansteckungsverdächtigen“ im Melderegister erheben und diese gesichert weiterleiten.
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