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Sorge vor 4. Corona-Welle

Corona-Pandemie

Die düstere Warnung der Virologen vor der vierten Welle

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    Das Robert-Koch-Institut rechnet nicht mit einem raschen Ende der Corona-Pandemie. Neue Mutationen gelten als eine mögliche Gefahr.
    Das Robert-Koch-Institut rechnet nicht mit einem raschen Ende der Corona-Pandemie. Neue Mutationen gelten als eine mögliche Gefahr. Foto: Hendrik Schmidt, dpa

    In Deutschland stecken sich wieder mehr Menschen mit dem Coronavirus an, die Fallzahlen klettern rapide. Der Sieben-Tage-Mittelwert der Neuansteckungen liegt bei rund 1500 Fällen und damit um 50 Prozent höher als die Woche davor. „Wir haben exponentielles Wachstum“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag während ihrer traditionellen Sommerpressekonferenz vor den Hauptstadtjournalisten. Das Wachstum des Mittelwertes ist sogar höher als je während der dritten Welle, die Deutschland im Frühjahr durchgemacht hat.

    Doch anders als vor wenigen Monaten ist heute die Mehrzahl der Menschen hierzulande gegen den Erreger geimpft. 60 Prozent sind mindestens einmal geimpft, knapp die Hälfte sogar zweimal. Besonders die Älteren sind in hoher Zahl geschützt, was die Belastung der Krankenhäuser senkt. Denn das Alter ist nach wie vor der entscheidende Faktor für die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs nach einer Ansteckung.

    Merkel plädiert für Vorsicht, Außenminister Maas für Ende der Einschränkungen

    Merkel unterstrich noch einmal, dass für sie der wichtigste Maßstab ihrer Corona-Politik ist, eine Überlastung der Kliniken zu vermeiden. Doch welche Ableitung folgt daraus, wenn sich wieder viele anstecken, sich die Krankenhäuser aber nicht füllen? Die Kanzlerin und ihr Außenminister Heiko Maas (SPD) sind darüber uneins: „Wenn alle Menschen in Deutschland ein Impfangebot haben, gibt es rechtlich und politisch keine Rechtfertigung mehr für irgendeine Einschränkung“, hatte Maas vor kurzem gesagt.

    Kanzlerin Angela Merkel betonte bei der letzten ihrer traditionellen Sommerpressekonferenzen die Wichtigkeit der Hygieneregeln im Kampf gegen das Corona-Virus.
    Kanzlerin Angela Merkel betonte bei der letzten ihrer traditionellen Sommerpressekonferenzen die Wichtigkeit der Hygieneregeln im Kampf gegen das Corona-Virus. Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    Merkel sieht das anders. Weil zum Beispiel Kinder unter zwölf Jahren bislang nicht geimpft werden können und Einzelne trotz Immunisierung keine Antikörper ausbilden können, plädiert die 67-Jährige weiter für Vorsicht: „Wir wollen alle unsere Normalität zurück, diese Normalität (…) erhalten wir nur als Gemeinschaft zurück.“

    Aus ihrer Sicht leitet sich daraus ab, die Hygieneregeln weiter einzuhalten – Abstand halten, Lüften, Maske auf in Innenräumen und in Bussen und Bahnen. Ob im Herbst noch einmal Restaurants, Kneipen und Hotels schließen oder den Betrieb einschränken müssen, ließ Merkel offen. Sie will sich für die mögliche vierte Welle an den Berechnungen des Robert-Koch-Institutes (RKI) orientieren. Die Fachleute haben durchgespielt, welche Folgen steigende Infektionen bei einer immer höheren Impfquote haben. Die Ergebnisse veröffentlichte das

    Corona-Pandemie: RKI erwartet im Herbst die vierte Welle

    Das Institut kommt zu einem Schluss, der wenig mit Sorglosigkeit und gar nichts mit einem endgültigen Sieg über Corona zu tun hat. Demnach dürften die Infektionszahlen und die Belegung der Intensivstationen schrittweise und langsam bis in den Oktober hinein zulegen. Danach gewinnt die Entwicklung an Wucht und erreicht ihren Höhepunkt im Januar oder Februar nächsten Jahres.

    Bei einer Impfquote von 75 Prozent in der Altersgruppe zwischen 12 und 59 Jahren erwartet das RKI in diesem Szenario über 2000 Corona-Patienten auf den Intensivstationen. Zum Vergleich: Derzeit liegen dort rund 350 mit schwerem Verlauf nach einer Infektion mit dem Erreger. Gelingt es die Impfquote in der Altersgruppe auf 85 Prozent zu steigern, halbierte sich im RKI-Szenario etwa die Zahl der Intensivpatienten. In Summe wird das deutsche Gesundheitssystem bei der Akutbehandlung wohl nicht noch einmal an seine Grenzen stoßen.

    Die Fachleute von RKI-Chef Lothar Wieler sagen in verschiedenen Szenarien für den Herbst und Winter voraus, dass wieder deutlich mehr Corona-Erkrankte auf den Intensivstationen landen.
    Die Fachleute von RKI-Chef Lothar Wieler sagen in verschiedenen Szenarien für den Herbst und Winter voraus, dass wieder deutlich mehr Corona-Erkrankte auf den Intensivstationen landen. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Das RKI zählt mehrere Gründe dafür auf, warum die Pandemie noch einmal stärker um sich greifen dürfte. Dazu gehören neue Mutationen, die noch ansteckender sind als die jetzige Delta-Variante und gegen die die zugelassenen Impfstoffe nicht mehr ausreichend schützen. Dazu gehören auch Reisen, die gefährliche Varianten in der ganzen Welt verbreiten können. Die Forscherinnen und Forscher sehen auch das Risiko, dass wieder verstärkt viele Menschen in geschlossen Räumen zusammenkommen und eventuell Hygieneregeln nicht mehr konsequent eingehalten werden.

    Spahn: Inzidenz von 200 ist die neue 50

    Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ließ sich einen Tag vor Merkel etwas tiefer in die Karten schauen, wie die Regierung darauf reagiert, wenn es so kommt, wie das RKI befürchtet. „200 ist die neue 50“, sagte Spahn und bezog sich damit auf den Inzidenzwert. Weil ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung bereits zwei schützende Spritzen erhalten hat, gibt es weniger Intensivfälle. In Großbritannien, das schneller als Deutschland geimpft hat, ist der Effekt genau zu beobachten.

    Dort führt die steigende Welle an Neuinfektionen derzeit nicht dazu, dass viele Tote zu beklagen sind. Premierminister Boris Johnson fährt eine riskante Strategie und hat in England als größtem Landesteil beinahe alle Corona-Regeln aufgehoben. In Pubs und Discos feierten Hunderttausende maskenlos den sogenannten „Tag der Freiheit“. Britische Mediziner zeigten sich entsetzt über Johnsons Politik.

    Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hält in den kommenden Monaten höhere Inzidenzen für verkraftbar für die Krankenhäuser.
    Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hält in den kommenden Monaten höhere Inzidenzen für verkraftbar für die Krankenhäuser. Foto: Fabian Sommer, dpa

    Auch in den Niederlanden hat sich das Virus wieder mit Macht zurückgemeldet, die Regierung sperrte Klubs wieder zu und verhängte eine Sperrstunde für Kneipen.

    Spahn und Merkel wollen natürlich verhindern, dass sich in Deutschland die vierte Welle haushoch auftürmt. „Wir entscheiden jetzt in diesen Tagen des Julis darüber, wie September, Oktober, November wird“, appellierte der Gesundheitsminister. Wie die Kanzlerin fürchtet er eine neue Sorglosigkeit im Umgang mit dem Virus. Er erinnerte daran, was das für Folgen für die Schülerinnen und Schüler im neuen Schuljahr haben könnte.

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