Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Schweiz: 50 Jahre Frauenwahlrecht: Der langsame Sturz des Patriarchats

Schweiz

50 Jahre Frauenwahlrecht: Der langsame Sturz des Patriarchats

    • |
    Ein Bild aus dem Jahr 1982: Männer aus dem Kanton Appenzell-Innerrhoden stimmen gegen das Wahlrecht für Frauen.
    Ein Bild aus dem Jahr 1982: Männer aus dem Kanton Appenzell-Innerrhoden stimmen gegen das Wahlrecht für Frauen. Foto: Imago (Archiv)

    Zu den ritualisierten Merkwürdigkeiten der Schweizer Politik zählt das sogenannte Bundesratsfoto. Die sieben Bundesräte der Eidgenossenschaft und ihr Stabschef, der Bundeskanzler, präsentieren sich zu Jahresbeginn dem Volk auf Hochglanz. In diesem Jahr grüßen die sieben Ministerinnen und Minister sowie der Kanzler in staatstragender Pose vor dem Bundeshaus, in den Jahren zuvor plauderten sie in einer Schankwirtschaft oder stellten sich in einem Fabrikgelände auf. Auf den meisten Fotos bilden die männlichen Kabinettsmitglieder knapp die Mehrheit. Immerhin dominierten die Frauen 2010 und 2011 – die Schweizerinnen haben eine starke Position in ihrer Regierung errungen. Es war ein langer Kampf.

    Bis vor einem halben Jahrhundert herrschte in der Alpenrepublik noch der Mann. Und zwar nahezu unumschränkt. Erst am 7. Februar 1971 kam es zu einer epochalen Volksabstimmung über das Frauenwahlrecht auf Bundesebene – die Männer mussten über ihr eigenes Machtmonopol richten. Eine Mehrheit von 65,7 Prozent von ihnen lenkte ein und gewährte den Frauen die politische Mitsprache.

    Frauen dürfen wählen: Im Europäischen Vergleich ist die Schweiz spät dran

    Die Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts für Frauen jährt sich am 7. Februar 2021 nun zum 50. Mal – und nicht allen Schweizerinnen ist bei diesem Jubiläum zum Feiern zumute. „Der späte Zeitpunkt ist eher ein Grund zum Heulen“, sagt die Frauenrechtlerin Elisabeth Joris. Weltweit beharrten 1971 nur ganz wenige Staaten auf dem Ausschluss der weiblichen Bevölkerung von der Politik.

    In Europa hinkte die Schweiz um Jahrzehnte hinterher; die Bürgerinnen Deutschlands erhielten 1918 das Wahlrecht, Österreich folgte 1919, Frankreich und Italien Mitte der 1940er Jahre. Wieso durften die Schweizerinnen erst so spät mitentscheiden? „Ganz simpel: Weil die Männer ihre politischen Rechte nicht mit den Frauen teilen wollten. Es war der reine Unwille“, sagt die Historikerin Caroline Arni. Die Männer hätten viele Gründe angeführt: Frauen seien zu „emotional“, es mangele ihnen an „staatsbürgerlicher Reife“, sie müssten sich „ihre politischen Rechte zuerst verdienen“. Die Männer beriefen sich auf die Verfassung der Eidgenossenschaft von 1848, aus der sie ihre Herrschaft ableiteten.

    Die Berner Historikerin Brigitte Studer ergänzt: „Die Schweiz verstand sich als älteste Demokratie der Welt. Mit Referendum und Volksabstimmung meinte man auch, die fortgeschrittenste Demokratie der Welt zu haben.“ Von daher sei das Schweizer Modell „nicht verbesserungsbedürftig“ gewesen.

    Französischsprachiger Kanton Waadt ist Vorreiter im Schweizer Wahlrecht

    Doch mutige Schweizerinnen lehnten sich schon im 19. Jahrhundert gegen die Diskriminierung auf. Erst 1959 konnten die Frauen aber einen Teilerfolg verbuchen. Der französischsprachige Kanton Waadt räumte ihnen dieselben demokratischen Rechte ein wie den Männern. Im selben Jahr demonstrierte das Patriarchat auf Bundesebene noch einmal seine Macht: Mehr als 66 Prozent der männlichen Schweizer schmetterten das eidgenössische Wahlrecht für das andere Geschlecht ab. Nun schaute auch das demokratische Ausland zunehmend irritiert auf die Eidgenossenschaft.

    „Mit der massiven Verwerfung des Frauenstimmrechts 1959 wurde dem Ausland bewusst, dass die Schweiz ein grundlegendes demokratisches Recht den Frauen verweigerte“, erläutert Geschichtswissenschaftlerin Studer. „Der außenpolitische Reputationsschaden wurde immer mehr auch zu einem innenpolitischen Problem.“

    Bei der nächsten nationalen Abstimmung, eben jener von 1971, feierten die Frauen dann ihren Sieg. Einige Kantone zögerten die Gleichstellung aber weiter hinaus. Noch 1990 lehnte eine Mehrheit in Appenzell-Innerrhoden das Frauenwahlrecht ab, nur Männer durften bei der Abstimmung in dem Mini-Halbkanton votieren. Das Schweizerische Bundesgericht urteilte im gleichen Jahr, dass auch der weiblichen Bevölkerung Appenzell-Innerrhodens das Wahlrecht zugestanden werden müsse. Die letzte männliche Politbastion war gefallen.

    Wie sieht es mit der Gleichstellung in der Schweiz heute aus?

    Wo steht die Schweiz heute in Sachen Gleichstellung? In der Wirtschaft halten die Männer immer noch die Zügel in der Hand. „Frauen haben im Allgemeinen eine niedrigere berufliche Stellung als Männer: Sie sind öfter Arbeitnehmende ohne leitende Funktion“, heißt es in einer Erhebung des Schweizer Bundesamtes für Statistik von 2020. „Wichtige Gründe dürften die wegen der Verantwortung für Haushalt und Kinderbetreuung eingeschränkte Flexibilität und oft geringere Berufserfahrung der Frauen sein.“ Zumal in den Geschäftsleitungen der 100 größten Schweizer Arbeitgeber Männerwirtschaft herrscht: Rund 90 Prozent der Topmanager sind laut dem „Schillingreport“ Herren.

    Im politischen Leben haben die Frauen jedoch Boden gutgemacht, nicht nur im Bundesrat. „In Parlamenten und Exekutiven der Gemeinden, Kantone und im Bund kommen die Frauen einer Gleichstellung immer näher“, erläutert die Basler Historikerin Regina Wecker. In der großen Kammer des Schweizer Parlaments, im Nationalrat, liegt der Frauenanteil bei 42 Prozent, in der kleinen Kammer, im Ständerat, bei 26 Prozent. In die ehrenamtlichen Positionen zieht es die Frauen sogar stärker als die Männer. Historikerin Wecker bilanziert: „Boshaft könnte gesagt werden: je unwichtiger die politische Position, desto eher steht sie den Frauen offen.“

    Lesen Sie auch:

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden