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SPD-Parteitag: SPD versöhnt sich mit Gerhard Schröder

SPD-Parteitag

SPD versöhnt sich mit Gerhard Schröder

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    Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder und SPD-Parteichef Sigmar Gabriel auf dem Weg zum Bundesparteitag.
    Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder und SPD-Parteichef Sigmar Gabriel auf dem Weg zum Bundesparteitag. Foto: Kay Nietfeld (dpa)

    Im weiten Rund des „City-Cube Berlin“, dem modernen Nachfolgebau der legendären Deutschlandhalle, ist es fast 20 Minuten lang mucksmäuschenstill. Die rund 600 Delegierten des SPD-Parteitags sind nicht nur leise, sondern sogar ergriffen. Denn zum Auftakt ihres dreitägigen Treffens, bei dem die Delegierten über mehr als 900 Anträge beraten und am heutigen Freitag ihre gesamte Parteispitze neu wählen werden, gibt es eine Geschichtsstunde der besonderen Art.

    Altkanzler Gerhard Schröder, der von 1998 bis 2005 an der Spitze der rot-grünen Bundesregierung stand, würdigt einen anderen Altkanzler – Helmut Schmidt, der am 10. November kurz vor seinem 97. Geburtstag starb. Und er erinnert an zwei weitere große Sozialdemokraten, die die Geschichte der ältesten Partei Deutschlands geprägt haben und ebenfalls in diesem Jahr starben, Günter Grass und Egon Bahr.

    Schröder rühmt Literaturnobelpreisträger Grass und Helmut Schmidt

    Die Bundeskanzler der BRD

    Konrad Adenauer (CDU): 1949 - 1963 Adenauer war der erste deutsche Bundeskanzler. Er ebnete den Weg zur Deutsch-Französischen Aussöhnung, bewirkte den NATO-Beitritt Deutschlands und bereitete den wirtschaftlichen Aufschwung vor. Als er sein schwieriges Amt antrat, war er bereits 73 Jahre alt.

    Ludwig Erhard (CDU): 1963 - 1966 Er war der Mann des Wirtschaftswunders und wurde vom Volk "der Dicke" genannt. Erhard bemühte sich sehr um eine Stärkung der transatlantischen Beziehungen und nahm diplomatische Verhandlungen mit Israel auf. Am Ende musste er aufgrund parteiinterner Querelen zurücktreten.

    Kurt G. Kiesinger (CDU): 1966 - 1969 Der "Häuptling Silberzunge" war Kanzler der ersten Großen Koalition der Bundesrepublik. Er regierte weniger bestimmt als seine Vorgänger und war immer darum bemüht, zwischen SPD und CDU zu vermitteln. Er führte die Notstandsgesetze ein, was mit einer Grundgesetz-Änderung verbunden war. Als ehemaliges NSDAP-Mitglied war er eine Zielscheibe der 68er-Bewegung.

    Willy Brandt (SPD): 1969 - 1974 Mit ihm zog der erste Sozialdemokrat ins Bundeskanzleramt ein. Ihm ist die Annäherung an die Nachbarn im Osten zu verdanken. Sein Kniefall in Warschau ist legendär! Der Friedensnobelpreis-Träger wollte insgesamt "mehr Demokratie wagen" und war vor allem bei den jungen Wählern sehr beliebt.

    Helmut Schmidt (SPD): 1974 - 1982 "Schmidt-Schnauze" hat sich nie gescheut, die Dinge beim Namen zu nennen. Seine direkte Art hat ihm nicht nur Freunde gemacht. Die Anfangsjahre seiner Amtszeit waren von den Terroraktionen der RAF geprägt. Kritik aus den eigenen Reihen handelte er sich vor allem für die Befürwortung des NATO-Doppelbeschlusses ein.

    Helmut Kohl (CDU): 1982 - 1998 Er wollte eine "geistig-moralische Wende" in Deutschland bewirken. Zumindest ist ihm eine politische gelungen: Helmut Kohl war der Schrittmacher der deutschen Wiedervereinigung. Sein Ziel war ein "Europa ohne Schlagbäume". Nach 16-jähriger Amtszeit brachte ihn die Rekordarbeitslosigkeit zu Fall.

    Gerhard Schröder (SPD): 1998 - 2005 Schröder ist Deutschlands erster Kanzler aus der Arbeiterschicht. Der gelernte Einzelhandelskaufmann hat während seiner Amtszeit verschiedene Reformenpakete wie die Agenda 2010 auf den Weg gebracht und sich damit viel Kritik eingehandelt. Die strikte Weigerung, sich an der Seite der USA am Irak-Krieg zu beteiligen, brachte ihm in Deutschland viele Sympathiepunkte ein.

    Angela Merkel (CDU): 2005 - heute Die erste Frau im Bundeskanzleramt regiert in einer schwierigen Zeit. Von vielen Seiten wurde ihr Führungsschwäche vorgeworfen. Die Finanzkrise und ihre Konsequenzen stellten bisher die größte Herausforderung ihrer Amtszeit dar. Nach Fukushima hat sie die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke zurückgenommen.

    Kurz nur währt der Auftritt des Altkanzlers, mit dem große Teile der Partei wegen seiner Arbeitsmarktreformen und der „Agenda 2010“ noch immer hadern. Doch indem Gerhard Schröder, der zum letzten Male vor acht Jahren auf einem SPD-Parteitag aufgetreten ist, auf Wunsch von Parteichef Sigmar Gabriel den Literaturnobelpreisträger Grass, den Architekten der sozialliberalen Ostpolitik, Bahr, und den früheren Bundeskanzler Schmidt mit warmen Worten rühmt und an ihre historische Leistung erinnert, verrät er auch sehr viel über sich und sein Verständnis von Politik, der Geschichte und den Traditionen der Sozialdemokratie. Hielten doch Günter Grass, Egon Bahr und Helmut Schmidt gegen alle Widerstände an ihren Überzeugungen fest, gaben dem Druck nicht nach und taten das, was sie für richtig hielten.

    Vor allem aber hinterließen sie der SPD ein Vermächtnis, wie Schröder sagt: „Ihr Antrieb lautete: Ohne Frieden ist alles nichts.“ Dies sei, „was uns Sozialdemokraten im Kern zusammenhält – und was uns von anderen unterscheidet“.

    Grass, Bahr und Schmidt kenne er seit mehr als 40 Jahren, schon als Jungsozialist habe er sie begleitet, „nicht immer ohne Kritik“, wie er freimütig einräumt. „Später haben sie mich begleitet – auch nicht immer ohne Kritik.“ Gerne erinnere er sich an die Gespräche mit ihnen, auch wenn sie nicht immer einer Meinung gewesen seien. Alle drei, die die Schrecken der nationalsozialistischen Diktatur und des Zweiten Weltkriegs am eigenen Leibe erlebten und in den Abgrund blickten, hätten alles für den Aufbau eines friedlichen, freien und sozial gerechten Deutschlands getan. „Es ist unser Land.“

    Schröder über Schmidt: „Er war ein großartiger Mensch“

    Geradezu pathetisch fällt die Würdigung seines Vor-Vorgängers im Amte des Bundeskanzlers aus. „Er war ein wahrlich großer Kanzler, der Deutschland in der Welt zu einem geachteten, verlässlichen Partner gemacht hat.“ Er habe aber auch die SPD als „Partei der wirtschaftlichen Kompetenz“ in der Mitte der Gesellschaft verankert. Dass SPD-Chef Sigmar Gabriel dies wieder versuche, sei nicht nur richtig, sondern verdiene auch Unterstützung. Da gibt es sogar verhaltenen Beifall im weiten Rund der modernen Multimediahalle unterm Funkturm. Vor allem aber habe Helmut Schmidt in schwierigen Zeiten geführt, Richtung und Orientierung vorgegeben und auf diese Weise Sicherheit vermittelt.

    Dass seine Haltung zum Nato-Doppelbeschluss von der Partei nicht mitgetragen wurde („ich schließe mich ein“), habe Schmidt nicht beirrt: „Er war bereit, das Wohl des Landes über das Wohl der Partei zu stellen“, er habe gar seine Kanzlerschaft geopfert – „eine Entscheidung, die einsam macht“. Das klingt für einen Moment, als würde Gerhard Schröder nicht über Helmut Schmidt, sondern über sich selber sprechen, als er an seiner „Agenda“-Politik festhielt und scheiterte. So fällt denn auch seine Bewertung Schmidts positiv aus: „Er war ein großartiger Mensch.“

    Nach der Rede Schröders erheben sich die Delegierten von ihren Stühlen und klatschen lange. Parteichef Sigmar Gabriel verlässt seinen Platz und umarmt den Altkanzler. Eine kleine Geste mit großer Symbolik: Zehn Jahre nach der Wahlniederlage 2005 hat sich die SPD mit Gerhard Schröder wieder versöhnt und ihn in die Ehrengalerie ihrer großen Kanzler aufgenommen.

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