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Region: Fluchend über den Flickenteppich: Der Kampf gegen marode Straßen

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Fluchend über den Flickenteppich: Der Kampf gegen marode Straßen

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    Im Kampf gegen die Schlaglöcher müssen sich Arbeiter auf die Brennpunkte konzentrieren.
    Im Kampf gegen die Schlaglöcher müssen sich Arbeiter auf die Brennpunkte konzentrieren. Foto: Franziska Kraufmann, dpa

    Das Loch in der Straße kommt gleich hinter der Ortsausfahrt von Stadel. Johann Miller, der Mann vom Bauhof, kennt es gut. In der Mitte der Fahrbahn auf einer Länge von gut einem Meter ist der Asphalt aufgerissen. Vom Rand aus umschließen Teerschichten in verschiedenen Grautönen einen kleinen Krater, aus dem heller Kies hervorblitzt. Die Teerschichten sind wie die Jahresringe eines Baumes. An ihnen kann Miller ablesen, wie oft er das Loch schon gestopft hat. Jedes Jahr mindestens drei Mal.

    „Das Loch ist immer auf unserer Tour dabei“, sagt der kräftige Mittfünfziger und grinst. Alle zwei Wochen machen die Bauhofmitarbeiter aus Dinkelscherben im Kreis Augsburg ihre Runde und inspizieren die wichtigsten Straßen des Marktes. Viermal im Jahr fahren sie mit ihrem Transporter das gesamte Netz ab. Auf der Ortsdurchfahrt von Stadel hält Miller wieder an.

    Für viele Straßen fehlt das Geld

    Ein kleineres Schlagloch am rechten Fahrbahnrand. Miller steigt aus und zieht einen Plastikeimer von der Ladefläche. Er füllt das Loch mit einer zähen schwarzkörnigen Masse auf. Mit der Schaufel klopft er sie sorgfältig fest, sodass nichts übersteht. Kaltteer lässt sich einfach verarbeiten und trocknet rasch. Ein Heftpflaster für die aufgeschlagene Straße. Etwa zwei Tonnen davon verbrauchen die Bauhofmänner in Dinkelscherben jeden Winter. Das Problem daran ist: Im Frühjahr öffnen sich die meisten Löcher wieder.

    Das ist so ähnlich wie bei den Finanzlöchern in den Planungen der großen Politik. Fast reflexartig werden dann neue mögliche Geldquellen ins Auge gefasst. In diesem Fall hat Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) eine Sonderabgabe für die Straßen gefordert. Der „Schlagloch-Soli“ löste umgehend eine heiße Debatte aus – und wurde von Albigs

    „Wir haben in Dinkelscherben etwa 85 Kilometer Gemeindestraßen zu betreuen“, sagt Ralph Ruhland. Er leitet die Abteilung Tiefbau im örtlichen Bauamt. „Dass wir eine Flächengemeinde sind, bricht uns gewissermaßen das Genick.“ Rechnet man alle Weiler dazu, hat Dinkelscherben 19 Ortsteile, natürlich ist jeder über Zufahrtsstraßen angeschlossen. Rund 100 000 Euro hat die Kommune im vergangenen Jahr in den Erhalt ihrer Straßen investiert. Doch das reicht gerade einmal, um das Nötigste auszubessern. „Für Größeres fehlt uns leider das Geld“, seufzt Ruhland.

    Viele Kommunen haben dasselbe Problem

    Eigentlich müsste man die meisten Straßen von Grund auf ausbauen, erklärt sein Kollege Kai Fiedler. Eine Frostschutzschicht aus Kies anlegen, darauf Trag- und Bindeschicht aus Asphalt und diese schließlich mit einer Deckschicht aus Asphaltbeton überziehen. Doch das würde die Kommune etwa 55 Euro pro Quadratmeter kosten, brutto, nach dem Preisniveau von 2012.

    Eine zwei Meter breite Straße auf einem Kilometer Länge voll auszubauen, verschlänge somit schon mehr, als die Gesamtausgaben für den Straßenerhalt in Dinkelscherben aktuell betragen. Ein gewichtiges Argument, wenn im Gemeindehaushalt Schulden von 4,5 Millionen vermerkt stehen. „In den letzten zwei Jahren ist viel gemacht worden an den Bundes-, Staats- und Kreisstraßen“, befindet Bauamts-Mitarbeiter Fiedler, „aber für die kleinen Gemeindestraßen fällt wenig ab.“

    So wie Dinkelscherben geht es vielen Kommunen. Zwar bekommen die Gemeinden vom Freistaat Fördermittel für den Straßenbau und -unterhalt. Über das bayerische Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz flossen im vergangenen Jahr 144 Millionen Euro in kommunale Straßenbauvorhaben, dazu kamen noch einmal 75 Millionen für besondere Projekte. Doch gefördert wird meist nur der Vollausbau – zu teuer für manchen Gemeindesäckel. So müssen oft doch wieder die Mitarbeiter vom Bauhof mit dem Kaltteereimer zum Flicken ausrücken.

    ADAC mahnt: Das Geld wäre eigentlich da

    Eine Notsituation, die sich in der Zukunft rächen wird, warnt Verkehrsexperte Andreas Hölzel vom ADAC. „Folgekosten sind immer höher, als wenn man von Anfang an ordentlich investiert“, sagt er. Durch die Versäumnisse in den vergangenen Jahren wachse der Druck, Straßen großflächig zu erneuern und nicht nur zu reparieren, betont Hölzel.

    Vor allem bei den Autobahnen und auf Transitstrecken für den Lastverkehr in den alten Bundesländern sieht der ADAC-Experte Ausbaubedarf. Aber auch in den Kommunen gebe es unglaublich marode Straßen. „Der Staat muss aktiv werden“, fordert Hölzel. „Das Geld ist da – es wird nur zu wenig für die Straßen verwendet.“

    40 Tonnen halten die Straßen einfach nicht aus

    Gerade Gemeinden, die über Jahrzehnte hin zusammengewachsen sind, haben häufig ein weitverzweigtes Straßennetz zu erhalten. Feldwege, die die einzelnen Weiler verbanden, sind heute Verbindungsstraßen. Johann Millers Bauhof-Transporter kennt diese Strecken zur Genüge. Das Fahrzeug ächzt leise, als die Reifen über einen schmalen Weg zwischen zwei Feldern holpern.

    Zu ihrer Entstehungszeit vor rund 50 Jahren überzog man die Straßen lediglich mit einer dünnen Asphaltschicht. „Früher wog ein Unimog aber auch nur eineinhalb Tonnen“, sagt Miller. Heutige landwirtschaftliche Fahrzeuge, die bis zu 40 Tonnen wiegen, halten die alten Straßen schlicht nicht mehr aus.

    Dass Straßen wie die meisten Bauwerke nur auf eine gewisse Zeit angelegt sind, bevor sie einer Sanierung bedürfen, ist keine Neuigkeit. Dennoch sind die Schlaglöcher nun in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte gerückt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann gab sich zuletzt zerknirscht.

    Über viele Jahre hin habe man in Deutschland auf allen Ebenen den Unterhalt der Straßen vernachlässigt, kritisiert er – wohlwissend, dass sein Ressort selbst für den Verkehr zuständig ist. Dabei wird Mobilität immer wichtiger. Das Verkehrsaufkommen steigt, viele Menschen pendeln mit dem Auto zwischen Wohn- und Arbeitsplatz, Landwirte und Unternehmen transportieren ihre Güter über die Straße.

    Ein gutes Verkehrsnetz ist wichtig für die Wirtschaft

    Kurz vor dem Ortsschild von Dinkelscherben kommt auf der Gegenfahrbahn ein Betonmischfahrzeug entgegen. Die Firma Zusam-Beton hat ihr Betriebsgelände am Ortsrand, an der Ustersbacher Straße. Auch so ein Abschnitt, den die Mitarbeiter von Bauamt und Bauhof gut kennen. Johann Miller parkt seinen Transporter neben einem Teerflicken am Straßenrand.

    Mit prüfendem Blick durchquert er den schmalen Grasstreifen, der die Straße von der Zusam trennt. Wo gerade der Löwenzahn wuchert, fällt das Bankett steil ab. Im Winter musste die Straße für drei Tage gesperrt werden; der Biber hatte von der Flussseite an der Böschung gegraben. Acht Lastwägen voll Flusssteine wurden verbaut, um das Bankett zu stabilisieren. Beim Straßenbelag reicht es nur für Ausbesserungen. Es gibt Überlegungen, die Straße zu versetzen, größere Teilreparaturen stehen da eher zurück.

    Ein gutes Verkehrsnetz ist nicht zuletzt auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. „Natürlich sind wir in Bayerisch-Schwaben als eine der bundesweit führenden Logistik-Regionen auf leistungsfähige Straßen angewiesen“, sagt Peter Stöferle von der Industrie- und Handelskammer Schwaben (IHK). Die überörtlichen Verkehrswege sieht er in einem verhältnismäßig guten Zustand. In die Bundesstraßen B 12, B 19, B 17 und B 2 wurde in den vergangenen Jahren viel investiert.

    Schwaben steht verhältnismäßig gut da

    Die A 96 führt heute durchgehend als Autobahn von München nach Lindau. Während die Autofahrer auf der A 7 Ulm–Würzburg eine neue Straßendecke herbeisehnen, wird auf der A 8 nach den Arbeiten zwischen Augsburg und Günzburg ab September 2015 der Verkehr auf sechs Spuren vom Kreuz

    Auch bei den Staatsstraßen steht Schwaben verhältnismäßig gut da. 2011 ermittelte der Freistaat für die Strecken in der Region den geringsten Reparaturbedarf in allen sieben Regierungsbezirken. Trotzdem sind immer noch rund 27 Prozent des Netzes beschädigt. Kostenpunkt: 61 Millionen Euro. Kein Grund also zu verfrühtem Jubel.

    Hinzu kommt, dass der schwäbischen Wirtschaft aus Sicht des IHK-Verkehrsexperten noch immer eine durchgehende Schnellachse von Augsburg in Richtung Ingolstadt und Nürnberg fehlt. Seit über zehn Jahren plant das Straßenbauamt Augsburg einen autobahnähnlichen Ausbau der B 300 zwischen Dasing und Aichach. Seit fünf Jahren besteht Baurecht, doch das nötige Geld dafür hat der Bund bislang noch nicht bereitgestellt.

    Der Bauhof konzentriert sich auf die Brennpunkte

    Johann Miller parkt seinen Transporter vor einer Baubarriere am Ortsrand von Anried. Der Geruch von frischem Asphalt liegt in der Luft. Wenn die Löcher zu groß für Kaltteer werden, beauftragt die Marktgemeinde ein Unternehmen, das die Straße mit einer neuen Schicht Asphalt überzieht. Drei Arbeiter schütten mit Schubkarren frischen Fahrbahnbelag auf.

    Vor rund 20 Jahren wurde ein Kanal unter der Straße verlegt, in den Folgejahren kamen Hausanschlüsse dazu, immer wieder wurde die Straße geöffnet und ausgebessert, aber nie ganz erneuert. „Flickschusterei“, sagt Miller. Sie würden es gerne anders machen im Dinkelscherbener Bauamt. Allein, mit einem kleinen Budget tun sich Kommunen schwer, ihre Gemeindestraßen zu erhalten. „Wir konzentrieren uns auf die Brennpunkte“, sagt Fiedler. Im Lager des Bauhofs hält Miller die Eimer mit Kaltteer bereit.

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