Grüne und FDP haben bereits Einigkeit demonstriert, nun geht es um die Frage, wer eine mögliche Dreier-Koalition anführen könnte: Union oder SPD. Beide trafen am Sonntag die jeweiligen Bündnispartner zu Sondierungsgesprächen. Doch vor allem CDU-Chef und Kanzlerkandidat Armin Laschet ging mit einer schweren Hypothek in die Verhandlungen. Der Druck aus den eigenen Reihen wird immer größer. Führende Köpfe aus CDU und CSU fordern eine Aufarbeitung des historisch schlechten Wahlergebnisses.
"Nach so einer Niederlage können wir nicht zur Tagesordnung übergehen und so tun, als ob wir alles richtig gemacht haben", mahnt Volker Ullrich, CSU-Abgeordneter aus dem Wahlkreis Augsburg, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Auch die frühere Landtagspräsidentin Barbara Stamm hofft auf eine ehrliche Analyse. "Es darf kein Scherbengericht geben, aber wir sollten in einen intensiven, offenen Dialog eintreten", sagt sie. Dazu gehört für Stamm auch der Blick auf die eigene Partei – und auf Parteichef Markus Söder. "Es fehlt in der CSU nicht an Köpfen, man muss sie nur zeigen, und man muss dies auch wollen – nicht gegen den Parteichef, sondern mit ihm", sagt sie. "Die ganze Bandbreite einer Volkspartei wird nur sichtbar, wenn unsere guten Leute mit ihren eigenen Meinungen sichtbar werden."
JU-Chef Tilman Kuban: "Kein Stein darf auf dem anderen bleiben"
In der CDU wird immer offener auch über eine personelle Neuaufstellung diskutiert. "Dass im Wahlkampf Fehler passiert sind und unser Spitzenkandidat nicht richtig gezogen hat, kann niemand leugnen", sagte Parteivize Jens Spahn der Welt am Sonntag. Unabhängig vom Ausgang der Sondierungen müsse klar sein: "Jetzt geht es um die Aufstellung für die Zukunft; einfach so weitermachen, ist keine Option."
Mehrere CDU-Politiker forderten ein Mitgliedervotum über eine personelle Neuaufstellung, wenn die Jamaika-Sondierungen scheitern sollten. "In der CDU darf jetzt kein Stein mehr auf dem anderen bleiben", sagte der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban. "Wir müssen uns inhaltlich und personell neu ausrichten." Es sei "Zeit für junge Köpfe". In den vergangenen 16 Jahren habe eine relativ ähnliche Generation von Politikern das Handeln der Partei bestimmt. "Währenddessen haben sich eine Menge gute Leute in der zweiten Reihe aufgebaut, die müssen jetzt eine Chance bekommen." Kuban sprach sich für eine stärkere Einbindung der Basis bei wichtigen Entscheidungen aus.
Neuer Umfrageschock für die Union
Unterdessen zeigt eine erste Umfrage, dass die Bundestagswahl keineswegs nur eine politische Momentaufnahme war. Laut dem Umfrageinstitut Insa gewinnen die Sozialdemokraten im "Sonntagstrend" im Vergleich zur Vorwoche sogar noch zwei Prozentpunkte hinzu und kommen auf 28 Prozent. Die Union hingegen büßt weitere drei Punkte ein und liegt bei 21 Prozent. Auch die Grünen (plus 1/16 Prozent) und die FDP (plus 0,5/12 Prozent) legen leicht zu.
Entsprechend selbstbewusst präsentieren sich die Grünen. "Wenn wir uns nicht komplett dämlich anstellen, werden wir in den nächsten vier Jahren diese Regierung nicht nur mittragen, sondern maßgeblich mitbestimmen", sagte der Vorsitzende Robert Habeck bei einem Parteitag.
Am Sonntag standen für die Sondierungsteams insgesamt drei Termine in dichter Folge an: Am Nachmittag kamen zunächst SPD und FDP zusammen. Um 18.00 Uhr beriet die SPD mit den Grünen beraten. Die FDP hatte um 18.30 Uhr einen Termin mit der Union.
So äußern sich SPD, Union, Grüne und FDP nach den Gesprächen
SPD und FDP haben am Sonntagabend dann ihre ersten Sondierungen über eine mögliche Regierungsbildung als konstruktiv bezeichnet. Man sei sich bewusst, dass es nach 16 Jahren der Kanzlerschaft von Angela Merkel großen Veränderungsbedarf gebe, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil nach gut zweistündigen Beratungen. Es sei global etwa über Klimaschutz, Digitales, Staatsmodernisierung und außenpolitische Fragen geredet worden."
Und FDP-Generalsekretär Volker Wissing hat wenig später die erste Gesprächsrunde mit der Union positiv bewertet. "Wir haben ein konstruktives Gespräch geführt und haben inhaltlich wenig Klippen", sagte Wissing nach einer Sondierung mit CDU und CSU. Er trat nach einem etwa dreistündigen Gespräch mit CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak und CSU-Generalsekretär Markus Blume vor die Presse. Auf die Frage, ob er die Union in ihrem jetzigen Zustand für regierungsfähig halte, sagte Wissing: "Wir haben Vertraulichkeit über das Gespräch vereinbart."
Nach dem Gespräch mit den Grünen verkündete Lars Klingbeil dann "Die SPD ist jetzt bereit für Dreiergespräche." Grünen-Chef Robert Habeck würdigte nach dem Gespräch mit der SPD den Willen der Sozialdemokraten, Dinge in Bewegung zu bringen. Auch über die Inhalte dieses Gesprächs wurde Stillschweigen vereinbart. "Es war wirklich eine konstruktive Atmosphäre und ein sehr gutes Gespräch", sagte Klingbeil nur. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sprach von vertrauensvollen Gesprächen. (mit dpa)