Die Bundesregierung will das Sterbehilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zunächst prüfen und auswerten. Erst danach wäre über mögliche Maßnahmen zu entscheiden, wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin deutlich machte. Nach dem Urteil der Karlsruher Richter verstößt das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gegen das Grundgesetz.
Auch das Bundesgesundheitsministerium erklärte, es solle zunächst geprüft werden, ob es mögliche Rückschlüsse auf Behörden in seinem Geschäftsbereich gebe. Eine Sprecherin verwies darauf, dass das Urteil die geschäftsmäßige Förderung der Sterbehilfe betreffe. Mit Blick auf die Abgabe von Medikamenten zur Selbsttötung gebe es ein getrenntes Verfahren beim Bundesverfassungsgericht.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2017 entschieden, dass Sterbewilligen „in extremen Ausnahmesituationen“ ein Zugang zu einer tödlichen Dosis Betäubungsmittel nicht verwehrt werden dürfe. Das Bundesgesundheitsministerium wies jedoch das Bundesinstitut an, entsprechende Anträge von Bürgern abzulehnen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte sich dabei auch auf das nun in Karlsruhe gescheiterte Gesetz berufen.
Um solche Kaufmöglichkeiten gibt es seit längerem Streit. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2017, wonach Sterbewilligen "in extremen Ausnahmesituationen" ein Zugang zu einer tödlichen Dosis Betäubungsmittel nicht verwehrt werden darf. Das Gesundheitsministerium wies 2018 aber das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte an, entsprechende Anträge von Bürgern abzulehnen.
Union plant nach Urteil Neuregelung der Sterbehilfe und Ausbau der Palliativangebote
Der frühere Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) reagierte mit Bedauern auf die Entscheidung. "Ich glaube, dass sie entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut der Entscheidung geeignet ist, einer gesellschaftlichen Entwicklung hin zu einer Normalisierung der Selbsttötung als Behandlungsoption den Weg zu bereiten", sagte Gröhe im Anschluss an die Urteilsverkündung am Mittwoch in Karlsruhe.
Die Union will nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts einen neuen Anlauf für eine strenge Regulierung der Sterbehilfe unternehmen und die Palliativmedizin stärken. Suizidbeihilfe dürfe nicht zur Normalität werden, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Union Karin Maag im Gespräch mit unserer Redaktion. „Das heißt für uns, nachdem Regulierungen der Suizidhilfe grundsätzlich zulässig sind, dass wir uns des Themas nochmals annehmen müssen“, betonte die CDU-Politikerin. Die Union werde nun prüfen, wie sie im engeren Rahmen ihre Ziele verwirklichen könne.
„Das bedeutet im gesundheitspolitischen Bereich vor allem, dass wir die Angebote einer guten palliativen Begleitung noch weiter ausbauen müssen“, betonte Maag. Als positiv wertete sie das Urteil mit Blick auf den Streit, ob das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im Einzelfall den Zugang zu Medikamente für eine Selbsttötung ermöglichen müsse: „Wichtig ist, dass das Bundesverfassungsgericht jedenfalls klargestellt hat, dass es eine Verpflichtung zur Suizidhilfe nicht geben darf“, betonte Maag. „Damit sind auch vermeintlich staatliche Pflichten, wie sie 2017 das Bundesverwaltungsgericht adressiert hat, vom Tisch“, erklärte die CDU-Politikerin.
Urteil zur Sterbehilfe: Katholische und Evangelische Kirsche reagieren besorgt
Die großen Kirchen reagierten besorgt. "Das Urteil stellt einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar", teilten der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, in einer gemeinsamen Erklärung mit.
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie warnte vor einer Dynamik mit nicht abschätzbaren Folgen. "Beihilfe zum Suizid darf keine Alternative zu einer aufwendigen Sterbebegleitung sein", erklärte er. In einer immer älter werdenden Gesellschaft steige der finanzielle Druck auf den Gesundheitssektor und der soziale Druck auf die kranken Menschen.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte, mit dem Urteil werde die Selbsttötung zur selbstverständlichen Therapieoption. Der Gesetzgeber habe kein Instrument, dem jetzt noch einen Riegel vorzuschieben, erklärte Vorstand Eugen Brysch.
Die SPD im Bundestag verlangte Bewegung vom CDU-Gesundheitsminister. "Jens Spahn muss jetzt seinen Widerstand gegen die Abgabe der dazu notwendigen Medikamente aufgeben", sagte SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas der Deutschen Presse-Agentur. Bisher verhindert Spahn, dass das zuständige Bundesinstitut unheilbar Kranken auf Antrag Zugang zu einem Betäubungsmittel in tödlicher Dosis ermöglicht. Dazu verpflichtet ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2017.
Die FDP fordert eine Liberalisierung und schnelle Neufassung der rechtlichen Rahmenbedingungen. „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist richtungsweisend und in der Sache vollkommen richtig“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionschef Stefan Thomae unserer Redaktion. „Das Grundgesetz betont den Vorrang der Selbstbestimmung des Einzelnen gegenüber dem Staat am Ende des Lebens“, betonte der FDP-Rechtsexperte: „Jetzt ist der Gesetzgeber gefordert, mit einem liberalen Sterbehilfegesetz endlich die nötige Rechtssicherheit zu schaffen“, forderte Thomae eine schnelle Neuregelung durch den Bundestag.
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