Wenn es im Bundestag eine Königin des Polterns gibt, dann ist es Beatrix von Storch. Die Abgeordnete der AfD brüllt dazwischen, sie schreit mit wütendem Blick, wenn ihr während der Debatte etwas gegen den Strich geht. Von Storch hat eine kraftvolle, schneidende Stimme, weshalb sie gut zu hören ist. Sechsmal ist sie in der laufenden Wahlperiode dafür namentlich verwarnt worden, wie aus den Daten der Bundestagsverwaltung mit Stand Ende 2020 hervorgeht.
Einmal wurde von Storch dafür gemaßregelt, dass sie den FDP-Parlamentarier Marco Buschmann als Terroristen bezeichnete, ein anderes Mal, weil sie im Plenarsaal keine Corona-Maske trug. „Sie tragen doch selber keine Maske“, fauchte sie in Richtung Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) zurück. Die Zornesausbrüche der Beatrix von Storch verstören umso mehr, weil sie aus uraltem Adel stammt, der viel Wert auf Etikette legt.
AfD verbucht mehr Ordnungsrufe als das gesamte Parlament in 16 Jahren
An den Ordnungsrufen lässt sich ablesen, dass sich etwas verändert hat im deutschen Parlament, seit die AfD vor vier Jahren dort eingezogen ist. Zwei Drittel der seitdem verzeichneten rund 40 namentlichen Verwarnungen gehen auf das Konto der AfD. Die Gesamtzahl mag klein erscheinen, aber im Verhältnis ist sie gewichtig. Sie ist größer als die Summe der Ordnungsrufe der vier vorherigen Wahlperioden zusammen. An den Ordnungsruf ist nicht automatisch eine Strafe gebunden, er mahnt die Vertreter des Volkes zur Disziplin im Streit über die beste Politik.
Während der Ordnungsruf auf der Schauebene des Schlagabtauschs einer Debatte unter der Kuppel des Reichstages spielt, gibt es eine Ebene, von der die Öffentlichkeit nichts mitbekommt. Sie spielt in den Fluren der Bundestagsgebäude, in Aufzügen und Ausschussräumen. Dort ist, wie Mitarbeiter und Abgeordnete aller anderen Fraktion berichten, das Gefühl der Kollegialität verschwunden. Wenn die AfD dabei ist, wird es häufig hämisch, verletzend und schadenfroh.
Vor allem Frauen ist die Enge des Aufzuges ein Graus, wenn Referenten oder Abgeordnete der AfD zusteigen. „Wir fahren gerne mit einer schönen Frau“, ist einer dieser Sprüche. Die AfD ist eine Männerpartei. Die Abgeordnete Gyde Jensen ist 31 Jahre alt und sitzt für die FDP im Bundestag. Wie die Abgeordneten der AfD ist sie neu im Bundestag. „Sobald eine Frau ans Rednerpult tritt, kann man sich eigentlich schon auf irgendwelche sexistischen Sprüche und gehässigen Bemerkungen einstellen“, sagt Jensen. Die Bänke der Freien Demokraten grenzen im Halbrund des Plenums direkt an die der AfD. Auch viele Abgeordnetenbüros beider Fraktionen liegen auf einer Ebene.
Nazi-Vorwürfe: Die AfD sieht sich diabolisiert
Nun ist es keineswegs so, dass die Abgeordneten der AfD keine Prügel beziehen würden. Die Polarisierung, die ihr Einzug ausgelöst hat, hat auch bei ihnen Narben hinterlassen. „Die anderen Fraktionen hatten sich von Anfang an entschlossen, die AfD als neue Konkurrenz zu diabolisieren und auszugrenzen“, sagt ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Bernd Baumann. Mit Diabolisieren meint er den schlimmsten Vorwurf, den man in Deutschland einem Menschen machen kann – ein Nazi oder Faschist zu sein.
Um die Tragweite zu verstehen, unterstreicht Baumann noch einmal, was das eigentlich heißt: Es ist ein Vergleich mit „totalitären Massenmördern“, dem sich die größte Oppositionspartei ausgesetzt fühlt. Oft wird der allerdings befeuert von Äußerungen aus dem Rechtsaußen-Lager der AfD selbst. Grüne, SPD, Linke und die Union haben beschlossen, alle Anträge der neuen Konkurrenz abzulehnen, selbst wenn sie inhaltlich gut sein könnten. „Antidemokratischer geht’s kaum“, findet Baumann.
Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch, braucht es eine Instanz, die verhindert, dass sich die gärende Stimmung in einem Knall entlädt. Auf dem Fußballplatz ist es der Schiedsrichter. Im Bundestag ist der Schiedsrichter das Präsidium. Angeführt wird es von Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble, dem eine Reihe von Vizepräsidenten zur Seite stehen. Einer von ihnen ist Hans-Peter Friedrich von der CSU.
Hans-Peter Friedrich über Kollegialität: "Da ist etwas verloren gegangen"
Der Oberfranke war schon fast alles, was man in der Politik werden kann. Zweimal Minister, CSU-Landesgruppenchef, seit 23 Jahren Abgeordneter. Am Telefon holt er weit aus und geht zurück in die Jahre, als die Bundesrepublik von Bonn aus regiert wurde, dem Bundesdorf.
Auch damals sind die Debatten hart gewesen, aber jenseits der öffentlichen Auseinandersetzung erzählt Friedrich von einer Zusammengehörigkeit als Vertreter der Wählerinnen und Wähler. „Außerdem gab es ja nur drei Kneipen, wo sich alle getroffen haben.“ Schon mit dem Umzug des Bundestages nach Berlin sei dieser Geist schwächer geworden. Der Einzug der AfD hat ihm in der Wahrnehmung des erfahrenen Politikers den Garaus gemacht. „Da ist etwas verloren gegangen“, sagt der 64-Jährige.
Der Parlamentsvize hat einen Mechanismus ausgemacht, der für den Klimawandel im Bundestag verantwortlich ist. Dieser funktioniert so: Die AfD provoziert, die anderen Parteien springen über das Stöckchen und schießen zurück. Die Abgeordneten der anderen Parteien erkennen, dass ein scharfer Konter Aufmerksamkeit bringt. „Sie hauen der AfD die Backen voll“, wie Friedrich es nennt. Diese wiederum igelt sich ein und giftet bei nächster Gelegenheit zurück. „Das ist ein begrenztes Vergnügen, aber es wird sich auch in der neuen Wahlperiode nicht groß ändern“, glaubt der CSU-Mann.
Was den Unterschied zu früher ausmacht, zeigt eine kleine Episode. In den 70er Jahren versuchte Oppositionsführer Rainer Barzel (CDU) Kanzler Willy Brandt (SPD) per Misstrauensvotum zu stürzen. Das misslang, dennoch tranken Barzel und Brandt davor und danach ein Bier zusammen. Es waren auch die großen Jahre von SPD-Einpeitscher Herbert Wehner. Er hält übrigens den Rekord an Ordnungsrufen: 57.