Wer später einmal die Zerrissenheit der deutschen Corona-Politik erklären will, wird irgendwann auf diesen Freitagvormittag zu sprechen kommen. Während Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf einer Pressekonferenz mit dem Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI) geradezu um einen härteren Lockdown fleht, um nicht die Kontrolle über die Pandemie zu verlieren, macht eine Eilmeldung die Runde: Das Treffen, bei dem Kanzlerin und Ministerpräsidenten am Montag eine gemeinsame Linie festzurren wollten, ist abgesagt.
Nach dem Scheitern des jüngsten Gipfels kommt der nächste erst gar nicht zustande. Die Regierungschefs der Länder hatten keinen gemeinsamen Nenner gefunden. Jetzt will der Bund, wie es Kanzlerin Angela Merkel schon angekündigt hatte, die Macht an sich ziehen und notfalls über die Länder hinweg entscheiden. Die entscheidende Rolle spielt dabei das Infektionsschutzgesetz, das nun nachgeschärft werden soll, wie Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer erklärt: „Deutschland befindet sich in der dritten Welle. Deshalb haben sich Bund und Länder in Absprache mit den Bundestagsfraktionen darauf geeinigt, das Infektionsschutzgesetz zu ergänzen.“ Das Ziel seien bundesweit einheitliche Regeln. Merkel soll mit allen im Bundestag vertretenen Parteien darüber gesprochen haben.
Dobrindt hält eine stärkere Beteiligung des Bundestages für richtig
Entzündet hatte sich die Debatte an der „Notbremse“, die in Regionen gezogen werden soll, in denen die Ansteckungszahlen stark ansteigen. So haben es die Länder ausgemacht – doch nicht alle halten sich daran. Das brachte vor einigen Tagen bereits Winfried Kretschmann und Markus Söder auf die Palme. Die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Bayern wandten sich deshalb in einem Brandbrief an die Kollegen. Der Erfolg war überschaubar. Deshalb soll nun das Infektionsschutzgesetz Fakten schaffen. „Wir wollen die sogenannte Notbremse als bundeseinheitliche Regelung schaffen“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt unserer Redaktion.
Dazu brauche es eine Entscheidung im Bundestag, „die das Infektionsschutzgesetz erweitert, dem Bund zusätzliche Kompetenzen gibt und dafür sorgt, dass Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz erhöht werden“. Dobrindt hält eine stärkere Beteiligung des Bundestages für richtig. „Die Bund-Länder-Konferenz war und ist ein notwendiges Mittel in der Pandemiebekämpfung, aber sie darf kein Notparlament sein“, sagte er. Der Bundestag sei das Parlament „und dort müssen jetzt die Entscheidungen getroffen werden, um einheitliche Regelungen für Deutschland zu ermöglichen“. Das Problem: Den Regierenden läuft die Zeit davon.
RKI-Präsident Wieler plädiert für harten Lockdown
Die Regierung will übers Wochenende einen Gesetzentwurf erarbeiten, den das Kabinett am Dienstag beschließen könnte. Danach ist der Bundestag dran und auch der Bundesrat muss zustimmen. Dessen nächste reguläre Sitzung wäre allerdings erst am 7. Mai. Bis zu einem härteren Lockdown könnte also ein ganzer Monat vergehen? Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist optimistischer: „Es kann schnell gehen, wenn die Beteiligten alle wollen“, sagte er im ZDF.
Experten warnen dringend davor, länger zu warten. „An jedem Tag, den wir nicht handeln, verlieren wir Menschenleben“, warnte RKI-Präsident Lothar Wieler während seines Auftritts mit Spahn. „Ein harter Lockdown, wie wir ihn seit Ende Februar fordern, für einen Zeitraum von etwa drei Wochen, kann die hohen Inzidenzen deutlich sinken lassen und damit auch die Zahl der Intensivpatienten deutlich verringern“, forderte auch Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin.
Für die SPD erklärte Vizekanzler Olaf Scholz, die neue Regelung bringe Klarheit. „Das einheitlich für Deutschland zu regeln, macht einen guten Sinn.“ Vielerorts seien zwar bereits weitreichende Einschränkungen in Kraft gesetzt worden. Doch solange nicht überall die gleichen Regeln angewandt würden, gebe es ein Durcheinander.
Geht es am Wochenende über den Kanzlerkandidaten der Union?
Für CDU und CSU ist der Streit besonders brenzlig. Nicht nur, weil die Ministerpräsidenten der Union in verschiedene Richtungen ziehen und teils gegen die eigene Kanzlerin opponieren. Sondern auch, weil der Zwist einen weiteren Machtkampf befeuert. Es geht um die Frage der Kanzlerkandidatur. Am Freitag machten Gerüchte die Runde, die Entscheidung zwischen Armin Laschet und Markus Söder könnte schon am Wochenende fallen. Fakt ist, dass sich die Parteichefs mit den Generalsekretären und den Fraktionsvorsitzenden treffen. Ursprünglich sollte es dabei um die Vorbereitung des Corona-Gipfels gehen, doch nun könnte die Kanzlerfrage in den Mittelpunkt rücken.
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