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Österreich: Jetzt zieht Präsident Van der Bellen die Strippen

Österreich

Jetzt zieht Präsident Van der Bellen die Strippen

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    Österreichs Präsident Alexander Van der Bellen bewies in der österreichischen Staatskrise Macherqualitäten.
    Österreichs Präsident Alexander Van der Bellen bewies in der österreichischen Staatskrise Macherqualitäten. Foto: Hans Klaus Techt, dpa

    Retter, Held, Lichtgestalt, Supermann, Fels in der Brandung – Österreichs Kommentatoren überschlagen sich im Lob für ihr Staatsoberhaupt Alexander Van der Bellen. Seine Besonnenheit und seine Gelassenheit, sein Mut und sein Humor haben ihn in der schweren Regierungskrise zum ruhenden Pol gemacht.

    Dank der Umsicht des in Tirol aufgewachsenen Sohnes von aus Estland geflohenen adligen Eltern bekommt Österreich nach dem Misstrauensvotum gegen Sebastian Kurz mit Brigitte Bierlein eine Übergangskanzlerin von Format. Alle Parteien sind mit der Berufung der bisherigen Vorsitzenden des Verfassungsgerichtshofes zufrieden. Sie holt jetzt in Absprache mit Van der Bellen untadelige Beamte an die Spitze der Ministerien. Dank dieser Verwaltung wird Österreich voraussichtlich gut funktionieren, bis eine neu gewählte Regierung ihre Arbeit beginnen kann.

    Brigitte Bierlein wird Übergangskanzlerin in Österreich

    Ein kurzer Rückblick: Am 17. Mai wird das Skandal-Video bekannt, das Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der rechtspopulistischen FPÖ im Gespräch mit einer angeblichen russischen Oligarchin zeigt. Einen Tag später tritt Van der Bellen vor die rote Tapetentür im Maria-Theresia-Zimmer der Wiener Hofburg.

    In diesem Raum hatte Kaiserin Maria Theresia Kinder geboren, und dort war sie gestorben. Von einem Bild an der Wand blickt sie auf ihre Nachfolger und ihr Volk. "Ich bitte Sie, wenden Sie sich nicht angewidert von der Politik ab", sagt der frühere Professor für Finanzwissenschaften angesichts des "verstörenden" Videos und der zu erwartenden politischen Folgen und verspricht: "Das kriegen wir schon hin."

    Er hat dieses Versprechen gehalten und wird dafür geliebt. Van der Bellen hat von Anfang an, geführt von der "Eleganz und Schönheit der Verfassung", wie er sagt, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) den Weg gewiesen. Kurz versteckte sich fast hinter dem 75-jährigen Ratgeber, wenn er als Noch-Kanzler seine nächsten Schritte ankündigte.

    Anfangs unterstützte Van der Bellen Kurz’ Plan einer Expertenregierung mit Kurz als Kanzler, die mit wechselnden Mehrheiten hätte regieren sollen. Der Präsident appellierte an die Oppositionsparteien, ihre parteipolitischen Interessen zurückzustellen. Den jungen Bundeskanzler mahnte er: "Es reicht eben nicht in einer Demokratie, wenn man mit den anderen nur redet, wenn man sie gerade braucht. Das rächt sich dann im Laufe der Zeit." Respekt vor den unterschiedlichen Positionen sei "auch ein Handwerk, es ist nicht jedem gegeben, das von der ersten Minute an zu können".

    Van der Bellen präsentierte schnell einen Plan B

    Als die SPÖ seine Wünsche in den Wind schlug, präsentierte Van der Bellen schnell einen Plan B und suchte zügig nach der Übergangskanzlerin. Fast schien der entspannte Hundebesitzer seine neue, überaus vielschichtige Rolle zu genießen. Laut österreichischer Verfassung hat der Bundespräsident eine deutlich stärkere Position als der deutsche. Er ist mehr als ein Grüßaugust. Er ist Oberbefehlshaber des Bundesheers und kann die Regierung ohne Angabe von Gründen entlassen. Er kann sich weigern, Minister zu vereidigen, und nach einem Misstrauensvotum als Bundeskanzler vorschlagen, wen er will. Seine wirkliche Macht liegt darin begründet, dass er direkt von den Bürgern gewählt wird.

    Als der Van der Bellen, der ehemalige Parteisprecher der Grünen, ins Amt kam, hatte er lange Wahlkämpfe hinter sich. Zuerst gegen Kandidaten aller Parteien, schließlich bis zu einer Stichwahl gegen den heutigen Vorsitzenden der FPÖ, Norbert Hofer.

    Van der Bellen hat heute Zustimmungswerte von 75 Prozent

    Van der Bellen gewann damals mit nur 54 Prozent. Man stelle sich vor, FPÖ-Kandidat Hofer hätte im Dezember 2016 die Wahl gewonnen. Dann hätte er den zweiten Mann aus dem Video, Johann Gudenus, als Außenminister akzeptiert, wie von Strache geplant. Van der Bellen dagegen hatte ihn wegen seiner Aggressivität gegen Asylbewerber abgelehnt.

    Auch wenn er sich jetzt von dem Video distanzierte, hätte Hofer wohl darauf gedrungen, dass Strache im Amt bleibt. Vielleicht wäre Gudenus das Bauernopfer gewesen. Wenn Kurz die Koalition trotzdem aufgekündigt hätte, hätte Hofer die Möglichkeit gehabt, die gesamte Regierung zu entlassen und beispielsweise den umstrittenen Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ zum Kanzler zu machen. Er hätte sogar das Parlament auflösen können, falls dieses dem Kanzler die Zustimmung verweigerte.

    Für viele Österreicher ist diese Vorstellung heute ein Albtraum. Van der Bellen hat heute Zustimmungswerte von 75 Prozent. Noch Anfang des Jahres lagen sie bei 59 Prozent. Die Gräben, die der lange Wahlkampf 2016 aufgerissen hat, wirkten nach. Doch jetzt hat Van der Bellen gezeigt, dass er seines Amtes würdig ist. Dass er über eine zweite Amtszeit nachdenkt, ist nicht ausgeschlossen – trotz seines stattlichen Alters.

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