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Interview: Norbert Röttgen über die Umfragewerte der CDU: "Jetzt herrscht wirklich Alarm"

Interview

Norbert Röttgen über die Umfragewerte der CDU: "Jetzt herrscht wirklich Alarm"

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    Norbert Röttgen sagt, er wäre gerne CDU-Parteivorsitzender geworden.
    Norbert Röttgen sagt, er wäre gerne CDU-Parteivorsitzender geworden. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Röttgen, die EU, die USA und China überziehen sich gerade gegenseitig mit Drohgebärden und Sanktionen. Drohen mitten in der Corona-Krise jetzt auch noch internationale Konflikte zu eskalieren?

    Norbert Röttgen: Es geht hier um etwas ganz Grundlegendes, von dem ich überzeugt bin, dass es die nächsten zehn Jahre die internationalen Beziehungen prägen wird. Nämlich die Fähigkeit und den Willen von China unter Xi Jinping, die westlich geprägte Ordnung und den Vorrang der USA herauszufordern und fundamental zu verändern. Technologisch, wirtschaftlich, politisch und zunehmend auch militärisch ist China dazu in der Lage. Die USA haben diese Herausforderung umfassend angenommen, und zwar parteiübergreifend und das trotz der tiefen Spaltung im Land.

    Für wie ernst halten Sie die Lage?

    Röttgen: Wir stehen in einem umfassenden Wettbewerb um Werte, Technologieführerschaft und weltweiten Einfluss. Inzwischen ist auch in Deutschland und Europa ein neuer Realismus im Umgang mit China im Entstehen. Der ist nicht von Feindseligkeit geprägt, aber die bislang in der deutschen Politik vorherrschende Sichtweise, die China vor allem als riesigen und weiter wachsenden Exportmarkt sieht, trägt alleine auch nicht mehr. China unter Xi Jinping hat sich stark verändert. Wir brauchen einen realistischen Blick auf Chinas globalen Machtanspruch.

    Nun hat sich die EU und damit auch Deutschland zu Menschenrechtssanktionen durchgerungen und kassiert prompt die Quittung…

    Röttgen: China begeht schwerste und systematische Menschenrechtsverletzungen an der Minderheit der Uiguren in der Provinz Xinjang. Vier Personen, die dafür Verantwortung tragen, etwa für gezielte Tötungen, wurden deshalb von der EU sanktioniert. In der Wirkung sind die EU-Sanktionen eher symbolisch. China hat darauf unverhältnismäßig hart reagiert und bewusst auch freie Abgeordnete des Europäischen Parlaments sanktioniert sowie einen ganzen Unterausschuss, der sich mit den Menschenrechten beschäftigt. Damit hat China dem Westen mitgeteilt, dass es sich Kritik an der Menschenrechtssituation nicht mehr gefallen lassen will.

    Die EU belegt mehrere Chinesen wegen der Unterdrückung der Uiguren mit Sanktionen.
    Die EU belegt mehrere Chinesen wegen der Unterdrückung der Uiguren mit Sanktionen. Foto: Diego Azubel, dpa (Archivbild)

    Wie sollte die EU reagieren? Muss sie etwa das geplante Investitionsabkommen mit China jetzt stoppen?

    Röttgen: Wenn wir jetzt zurückschrecken, dann ist das ein erster Sieg für China. Leider scheint es im Moment so, dass zwar die Botschafter einbestellt werden, aber das war es dann auch. Dem Europäischen Parlament liegt das Investitionsabkommen mit China momentan zur Beratung und Abstimmung vor. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einem Abkommen mit China zustimmen wird, solange China frei gewählte Abgeordnete desselben Parlaments mit Sanktionen bestraft, schlicht dafür, dass sie von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht haben. Das sollten die EU und die Mitgliedstaaten Peking klar und deutlich mitteilen.

    Wie sehen sie das künftige Verhältnis Deutschlands zu Peking?

    Röttgen: Eine Balance mit China werden wir nur aus einer Position der Stärke heraus erreichen. Das geht für Deutschland nur gemeinsam mit Europa, den USA, den gleichgesinnten, demokratischen Staaten der Welt. Dazu zählen auch Kanada, Australien, Neuseeland, Japan oder Indien. Die Politik der Eindämmung, des Containments, die der Westen im Kalten Krieg gegen Russland angewandt hat, halte ich in Bezug auf China für aussichtslos. Dafür ist China viel zu stark. Wir müssen diesen Wettbewerb annehmen und uns behaupten.

    Auch zwischen Russland und dem Westen nehmen die Spannung ständig zu. US-Präsident Joe Biden nannte Russlands Präsident Wladimir Putin gerade einen Killer. Pflichten Sie ihm da bei?

    Röttgen: In den Beziehungen zwischen Staaten sollte eine andere Sprache gesprochen werden sollte als in privaten Unterhaltungen.

    Aber was bezweckt Biden mit seiner Attacke?

    Röttgen: Meine Vermutung ist, dass Biden mit seiner Wortwahl gar nichts bezweckt, sondern lediglich auf eine journalistische Frage geantwortet hat. Aber klar ist auch, dass die USA unter Biden in völliger Abkehr von der Politik seines Vorgängers Donald Trump einen ganz starken Akzent legen auf den Wettbewerb zwischen den autoritären Staaten und den Demokratien dieser Welt. Im Kern geht es der neuen amerikanischen Administration um die Werte der Demokratie, der Freiheit und der Rechtsstaatlichkeit. Russland sitzt im Beiboot zu China und wirkt systematisch mit an einer Politik der Destabilisierung und Auflösung der internationalen Ordnung. Darum müssen wir uns auch dieser Politik entgegenstellen.

    Dabei stehen für Deutschland wiederum wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel, etwa wenn es um die fast fertige Gaspipeline Nord Stream 2 geht…

    Röttgen: Deutschland hat diese Pipeline nicht gebaut, auch wenn deutsche Unternehmen beteiligt sind. Nord Stream 2 ist ein Projekt des russischen Staatskonzerns Gazprom. Um es klar zu sagen: Wir brauchen die Röhre für unsere Gasversorgung nicht. Sie ist eine geopolitische Waffe in den Händen Russlands, um die Ukraine und andere zentral- und osteuropäische Staaten von der Gasversorgung abschneiden und destabilisieren zu können.Auch die Mehrheit der Europäer und unsere amerikanischen Partner sind dagegen.

    Rohre für den Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland werden im Hafen Mukran auf der Insel Rügen gelagert.
    Rohre für den Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland werden im Hafen Mukran auf der Insel Rügen gelagert. Foto: Stefan Sauer, dpa

    Sollte das Projekt gestoppt werden?

    Röttgen: Die Situation ist inzwischen total verfahren. Mein Vorschlag ist daher ein Verhandlungsmoratorium. In der Zeit des Baustopps wird mit Moskau darüber zu verhandeln, dass das Projekt fertig gebaut werden darf, aber nur gegen die Zusicherung, dass es nicht gegen andere Länder eingesetzt wird.

    Bald soll der russische Corona-Impfstoff Sputnik V in Bayern produziert werden. Wird aus Ihrer Sicht damit ebenfalls Politik gemacht?

    Röttgen: Vor allem China, aber auch Russland benutzen die Pandemie, um zu zeigen, dass ihre autoritären Systeme den Demokratien dieser Welt überlegen sind. Sie machen gezielte Politik mit der Pandemie. Das sollten wir sehen, aber dabei nicht mitmachen. Wenn der Impfstoff in Europa zugelassen wird, dann kann er auch verwendet werden. Ich bin gegen die ideologische Betrachtung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse.

    Innenpolitisch geht es gerade ja ebenfalls sehr turbulent zu, gerade für Ihre CDU. Wie froh sind Sie eigentlich, dass Sie nicht Parteichef geworden sind?

    Röttgen: Ich wäre gerne Parteivorsitzender geworden und bin auch jetzt nicht froh, es nicht geworden zu sein.

    Norbert Röttgen beglückwünscht Armin Laschet zur gewonnenen Stichwahl. Dahinter die scheidende Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, rechts Friedrich Merz.
    Norbert Röttgen beglückwünscht Armin Laschet zur gewonnenen Stichwahl. Dahinter die scheidende Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, rechts Friedrich Merz. Foto: Michael Kappeler/dpa

    Armin Laschet, der sich gegen Friedrich Merz und Sie durchgesetzt hat, steht ja vor einer Menge Baustellen. Zwei Landtagswahlen hat die CDU verloren, die Umfragewerte befinden sich im freien Fall, das Corona-Chaos in der Bundesregierung nervt die Bürger, hinzu kommt die Affären um anrüchige Masken-Geschäfte von Politikern. Tut Laschet genug, um gegenzusteuern?

    Röttgen: Schon die Landtagswahlen waren ein Weckruf, aber jetzt herrscht wirklich Alarm. Wir sind in den Umfragen um fünf Prozent gefallen. Diese Situation ist durch einen massiven Verlust von Vertrauen eingetreten. Das ist nicht das alleinige Problem des Vorsitzenden, sondern eine Aufgabe für die gesamte CDU. Es geht jetzt darum, diese Situation ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl in ihrem ganzen Ernst anzunehmen und darauf Antworten zu finden. Aber die Zeit dafür wird knapp.

    Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in der Corona-Politik einen Fehler eingestanden und den Oster-Lockdown wieder kassiert. Wie viel Autorität hat sie und mit ihr die CDU dadurch eingebüßt?

    Röttgen: Die CDU hat als Regierungspartei erheblich an Rückhalt eingebüßt. Das ist der Befund, von dem aus wir die notwendige Veränderung angehen müssen. Mit dem Eingeständnis eines Fehlers und der persönlichen Entschuldigung der Kanzlerin ist der erste Schritt zur Rückgewinnung verloren gegangenen Vertrauens gemacht. Das ist jetzt eine Chance für einen Neustart auf der Basis rationalen Handels und klarer Kommunikation. Ohne das Vertrauen der Bevölkerung ist die Pandemie nicht in den Griff zu bekommen.

    Welche Schritte sind nötig?

    Röttgen: Es gilt, an das Handeln und die Kommunikation in der ersten Welle anzuknüpfen. Die Bürger verdienen es, dass ihnen in aller Klarheit gesagt wird, wo wir stehen. Pandemisch stehen wir am Anfang der schlimmsten Infektionswelle, die wir bisher erlebt haben, denn die britische Mutante ist viel gefährlicher. Das wurde noch nicht deutlich genug gemacht. Bevor die Lage besser wird, wird sie jetzt erst einmal schlechter werden. Zur ehrlichen Analyse gehört auch, dass beim Impfen und Testen Fehler gemacht wurden. Weil wir hier zurückhängen, bleibt zur akuten Pandemiebekämpfung in den kommenden Wochen nur die Einschränkung der Mobilität als effektives Instrument. Das muss ehrlich und klar gegenüber den Bürgern begründet werden, damit es akzeptiert werden kann.

    Bis zur Bundestagswahl sind es nur noch sechs Monate und die Union hat noch keinen Kanzlerkandidaten gekürt.CSU-Chef Markus Söder steht in Umfragen deutlich besser da, als CDU-Chef Laschet. Sind die Chancen der Union mit Söder besser?

    Röttgen: Ich finde, wir sollten uns als CDU darüber freuen, dass der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident in den Umfragen gut dasteht. Was die Kanzlerkandidatur angeht, sollten wir nichts überstürzen. Mit Aktionismus gewinnen wir kein Vertrauen wieder. Für mich war immer klar, dass es um die Bestaufstellung für die Union geht, mit der wir im Herbst die größte Aussicht auf Erfolg haben. Daran sollten sich beide Parteivorsitzenden orientieren und einen Vorschlag machen.

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