Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Koalitionsvertrag: Nicht einmal eine zusätzliche Pflegekraft pro Heim

Koalitionsvertrag

Nicht einmal eine zusätzliche Pflegekraft pro Heim

    • |
    8000 zusätzliche Stellen in der Pflege – an dieser Zahl im Koalitionsvertrag entzünden sich die Gemüter. Viel zu wenig, bemängeln Kritiker.
    8000 zusätzliche Stellen in der Pflege – an dieser Zahl im Koalitionsvertrag entzünden sich die Gemüter. Viel zu wenig, bemängeln Kritiker. Foto: Jens Kalaene, dpa (Symbolbild)

    Den größten sozialpolitischen Sündenfall hat die Union aus ihrer Sicht vermieden. Die Pläne der SPD, die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen in eine sogenannte Bürgerversicherung zu zwingen, sind auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geschrumpft: Eine Kommission soll prüfen, ob die Arzthonorare von Kassen- und Privatpatienten einander angeglichen werden können – und, wenn ja, wie.

    Ausgang: ungewiss. Eine Einheitskasse nach britischem oder niederländischem Vorbild wird es damit nicht geben – auch wenn der designierte Gesundheitsminister Jens Spahn vor Jahren noch geunkt hat, die Trennung zwischen zwei Systemen sei "nicht mehr zeitgemäß."

    Es lasse sich nur noch historisch begründen, "dass nur Selbstständige, Beamte und Gutverdiener sich privat versichern können," sagte der CDU-Mann damals noch. Inzwischen konzentriert sich Spahn auf das Naheliegende – kürzere Wartezeiten beim Arzt, zum Beispiel.

    Mütter von drei oder mehr Kindern profitieren

    Deutlich beherzter gehen Union und SPD bei der Rente vor. Müttern, die vor 1992 drei oder mehr Kinder geboren haben, bekommen im Lauf der Legislaturperiode ein drittes Erziehungsjahr bei der

    Geschätzte Kosten: Bis zu vier Milliarden Euro pro Jahr. Außerdem soll das Rentenniveau, also das Verhältnis der Rente zum Lohn, bis zum Jahr 2025 nicht unter die Marke von 48 Prozent fallen und der Beitragssatz von gegenwärtig 18,6 nicht über 20 Prozent steigen – wie die neue Koalition das schaffen will, ob sie allein auf die gute Konjunktur vertraut oder ob sie den Zuschuss des Bundes an die Rentenversicherer weiter erhöht, ist allerdings noch unklar.

    Versicherte, die mindestens 35 Jahre eingezahlt haben und trotzdem nur eine kleine Rente bekommen werden, wollen Union und SPD mit einer Art Mindestrente unterstützen, die zehn Prozent über dem Niveau der staatlichen Grundsicherung liegen soll. Auch Versicherte mit einer Erwerbsminderung sollen höhere Renten erhalten.

    Pflege bleibt auch weiterhin ein Problemfall

    Weit weniger konkret sind die Pläne für die Pflege. Zwar versprechen die drei Parteien 8000 zusätzliche Stellen in der

    8000 neue Stellen – das entspricht umgerechnet nicht einmal einer zusätzlichen Stelle für jede der 13.000 Pflegeeinrichtungen in Deutschland. Auch die Ankündigung, die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Pflege zu verbessern, ist noch nicht mit konkreten Maßnahmen unterfüttert.

    Mehr Patienten pro Pfleger

    Deutschlandweit hat die Zahl der Ärzte an Krankenhäusern zwischen 1991 und 2016 um 66 Prozent zugenommen.

    In Bayern gibt es einen Anstieg um fast 90 Prozent.

    Im selben Zeitraum ist die Zahl der Pflegekräfte leicht gesunken.

    Bei den Patientenzahlen gibt es ein Plus von 34 Prozent.

    Im bundesweiten Schnitt hat sich die Arbeitsbelastung, also die Fallzahl pro Pflegekraft, um 34 Prozent erhöht.

    In Bayern betrug dieser Anstieg 20 Prozent. In Berlin hat sich die Belastung für die Pfleger fast verdoppelt. (dpa, AZ)

    Die Tarifverträge, in denen solche Standards vereinbart werden, müssen erst noch ausgehandelt werden. Sie wie in anderen Branchen mit Streiks durchzusetzen, ist schier unmöglich: Nach verschiedenen Schätzungen sind nur etwa drei Prozent der Beschäftigten in der Pflege gewerkschaftlich organisiert.

    Gesetzgeber muss es wohl richten

    Am Ende muss deshalb vermutlich der Gesetzgeber aktiv werden – er könnte zum Beispiel einen Tarifvertrag, den kirchliche oder kommunale Verbände geschlossen haben, in der gesamten Pflegebranche für verbindlich erklären. Vor allem die Sozialdemokraten, heißt es, drängten auf eine solche Regelung.

    Damit die zusätzlichen Kosten für eine bessere Pflege am Ende nicht den Pflegebedürftigen alleine aufgehalst werden, fordern Wohlfahrtsverbände und private Anbieter bereits eine Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung.

    Was Pflegekräften vor allem die Arbeit erschwert

    Pflegekräftemangel: Dass die Schere von ärztlichem und pflegerischem Personal in den Kliniken weiter auseinanderdriftet wurde häufig kritisiert. So sei die Zahl der Ärzte in Bayern seit 2006 um über 40 Prozent gestiegen, die Zahl der Pflegekräfte hingegen nur um 17 Prozent. Nach Berechnungen der Gewerkschaft Verdi fehlen allein in Schwabens Krankenhäusern knapp 3000 Stellen in der Pflege.

    Fallpauschalen: Sie werden immer wieder als Ursache für den gestiegenen Druck in der Pflege genannt. Seit der Abrechnung von Behandlungen im Krankenhaus nach Fallpauschalen, den Diagnosis Related Groups (DRG), steigen die Kosten einer Klinik mit der Länge der Verweildauer eines Patienten. Es besteht also ein Anreiz, Patienten so früh wie möglich zu entlassen. Die durchschnittliche Verweildauer hat sich laut AOK-Bundesverband seit 1992 fast halbiert: von 13,3 Tagen auf im Schnitt 7,5 Tage – Tendenz fallend. (dpa)

    Die kleine Entlastung, die Union und SPD den Beschäftigten durch einen Nachlass bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung und die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung in der Krankenversicherung einräumen, könnte schnell wieder aufgezehrt werden.

    Alleine das Angleichen der Gehälter in der Altenpflege an die in der Krankenpflege kostet nach Berechnungen des Koblenzer Sozialwissenschaftlers Stefan Sell sechs Milliarden Euro pro Jahr.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden