Ursula von der Leyen konnte die Anspannung nicht verstecken. Als die Präsidentin der Europäischen Kommission an diesem Mittwochmorgen das neue Asylpaket ihres Hauses vorstellte, war das sonst übliche Lächeln einem tief ernsten Gesichtsausdruck gewichen. „Wir schlagen heute eine europäische Lösung vor, um das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten wiederherzustellen und das Vertrauen der Bürger in unsere Fähigkeit, die Migration als Union zu steuern, zu stärken“, erklärte sie.
Wenig später referierten ihre beiden Kollegen, Vizepräsident Margaritis Schinas und Innenkommissarin Ylva Johansson, über „strikte Grenzkontrollen“ und „zügige Abschiebeverfahren“. Spätestens da wurde der Schwerpunkt des neuen Asylpaketes klar: Europa macht die Grenzen dichter. Und wer kein Recht auf Asyl nachweisen kann, wird rigoros abgeschoben. Wie sehr die Nerven blank liegen, offenbarte Schinas, als er die Feststellung eines Korrespondenten, das Paket enthalte ja wohl wenig Neues, regelrecht abbügelte. Er sehe die insgesamt zehn Legislativvorschläge mit „Optimismus“. Zu spüren war davon wenig. Zu groß ist die Angst der europäischen Spitze, dass von den Regierungen in Ungarn, Polen oder Österreich erneut ein brüskes „Nein“ zu hören sein würde.
Dann wären die Bemühungen der Gemeinschaft, das Massensterben von Flüchtlingen aus gekenterten Booten im Mittelmeer und die Hölle von Moria endlich beenden zu können, gescheitert. Wochenlang tingelten die zuständigen Kommissionsmitglieder durch die EU-Hauptstädte. Was sie dort zu hören bekamen, ließ Schinas nur zwischen den Zeilen durchblicken: „Die Erfahrungen mit der Migration sind von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich, und die damit verbundenen unterschiedlichen und teils enormen Herausforderungen müssen ermittelt, anerkannt und entschlossen angegangen werden.“ Überzeugend klingt das nicht.
Die EU-Mitgliedsstaaten stehen sich in der Asylpolitik zum Teil selbst im Weg
Dabei hatten die Regisseure dieses Tages doch wirklich alles getan, um Druck aus der Diskussion zu nehmen. Gleich am Morgen signalisierte die Statistik-Behörde der Union Eurostat, dass die Zahl der Asylgesuche in der EU im zweiten Quartal 2020 um 68 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 46.500 gefallen sei. Doch das hat mit den Einreisebeschränkungen im Zuge der Pandemie zu tun, es ist noch keine Reaktion auf eine strengere Asylpolitik der Union.
Im Europäischen Parlament, dessen Zustimmung für einen neuen Asylpakt ebenfalls notwendig ist, fielen die Reaktionen zwiegespalten aus. Eine „strenge Rückführung“ sei „gut und sinnvoll“, begrüßte die migrationspolitische Sprecherin von CDU und CSU im EU-Parlament, Lena Düpont, den Plan aus dem Hause von der Leyen. „Der Vorschlag der EU-Kommission würde das Modell der griechischen Massenlager in Gesetzesform gießen. Asylverfahren und geschlossene Lager an den Grenzen dürfen nicht zur neuen Norm werden“, kritisierte dagegen Erik Marquardt, flüchtlingspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. „Solidarität heißt jetzt Abschiebung“, meinte die Linken-Politikerin Cornelia Ernst.
Bis in der EU ein neuer Umgang mit Flüchtlingen umgesetzt wird, dauert es noch
Die Staats- und Regierungschefs werden sich wohl erst bei ihrem turnusmäßigen Herbst-Gipfel Mitte Oktober darüber austauschen. Das parlamentarische Verfahren dürfte sich bis Ende 2021 hinziehen. Ob dann zumindest die Kernelemente noch zum Programm gehören, ist unklar. Schließlich steht sich die EU auch selbst im Wege. Beispiel Außengrenzschutz: Die Innenminister der 27 Mitgliedstaaten, die nahezu ausnahmslos Regierungen angehören, die sich für eine strikte Begrenzung der Flüchtlingszahlen aussprechen, haben die Aufstockung der Agentur Frontex auf 10.000 Spezialisten für Grenzkontrolle und Abschiebung schon vor Monaten auf 2027 verschoben. So kommt nicht in Gang, was am Mittwoch angeschoben werden sollte.
Unser Leitartikel zum Thema: So kompliziert ist Europas Asylpolitik
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