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Live-Interview: Friedrich Merz: "Da widerspreche ich Frau Merkel ernsthaft"

Live-Interview

Friedrich Merz: "Da widerspreche ich Frau Merkel ernsthaft"

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    Der CDU-Politiker Friedrich Merz im Live-Interview mit Chefredakteur Gregor Peter Schmitz. Der 63-Jährige war bei der Wahl um den CDU-Vorsitz im vergangenen Jahr gescheitert.
    Der CDU-Politiker Friedrich Merz im Live-Interview mit Chefredakteur Gregor Peter Schmitz. Der 63-Jährige war bei der Wahl um den CDU-Vorsitz im vergangenen Jahr gescheitert. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Merz, Sie bezeichnen sich selbst als politischen Bürger. Für einen einfachen Bürger äußern sie sich recht häufig öffentlich zu Themen. Das klingt manchmal eher wie jemand, der gerne Kanzlerkandidat wäre.

    Merz: Ich bin im vergangenen Jahr auf dem CDU-Parteitag in Hamburg bei der Wahl um den Parteivorsitz knapp unterlegen. Ich habe der neuen Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer angeboten, dass ich ihr helfe. Deshalb habe ich das Amt des Vizepräsidenten des Wirtschaftsrats der CDU übernommen. Das ist ein reines Ehrenamt. Aber ich verstehe meine Hilfe auch so, dass ich an der einen oder anderen Stelle meine Meinung sage. Und die muss nicht immer Mainstream sein. Aber ich hoffe, dass ich der

    Zehn Monate nach diesem Parteitag ist die Kanzlerfrage in der Union weiter ungeklärt, weil Annegret Kramp-Karrenbauer nicht überall Unterstützung findet.

    Merz: Auf dem Parteitag wurde zunächst einmal die Vorsitzende der CDU gewählt. Alle anderen Entscheidungen werden später getroffen. Für Annegret Kramp-Karrenbauer gibt es nach wie vor viel Unterstützung in der Partei. Und ganz offen gesagt: Natürlich hat sie Fehler gemacht. Aber ich hätte auch Fehler gemacht, bei mir wäre auch nicht alles reibungslos gegangen. Insofern breche ich nicht den Stab über sie. Annegret Kramp-Karrenbauer ist gewählt, sie ist unsere Vorsitzende und sie hat in jeder Hinsicht Loyalität und Unterstützung verdient.

    Wie beurteilen Sie Ihren eigenen Auftritt beim Parteitag im Nachhinein?

    Merz: Über meine Rede ist viel geschrieben und diskutiert worden. Ja, es stimmt, ich bin an dem Tag nicht so gut in Form gewesen wie an anderen Tagen. Die Umstände waren schwierig: Das Mikrofon war für mich zu weit weg, das Rednerpult zu tief. Das ist natürlich keine Entschuldigung. Ich war an dem Tag nicht gut genug in Form. Trotzdem würde ich der CDU heute noch mal genau das Gleiche sagen wie damals in meiner Rede. Ich würde heute aber etwas freier und etwas launiger sprechen. Aber in der Sache würde ich nicht anders handeln.

    Wie gut läuft die Zusammenarbeit mit der SPD? Man hat den Eindruck, dass die Parteien mühsam um Kompromisse ringen wie jetzt beim Klima – aber am Ende ist keiner damit glücklich.

    Merz: Natürlich hat die Große Koalition schon einiges zuwege gebracht, das in die richtige Richtung geht. Auf der anderen Seite ist es eben aber so: Die Koalition hat jahrelang klimapolitische Diskussionen geführt und ist dann plötzlich durch Greta Thunberg und den UN-Weltklimagipfel unter einen enormen Zeitdruck geraten und musste dann plötzlich einen Paradigmenwechsel in der Umweltpolitik vollziehen. Es ist keine langfristige strategische Planung erkennbar. Die Frage, wie man CO2 bepreist, ist nicht ernsthaft diskutiert worden. Die Union wollte immer eher Zertifikate, die SPD Steuern. Jetzt hat man irgendetwas gefunden, was dazwischen liegt und keiner weiß, was ist das, was die da gefunden haben.

    Versäumt es die Politik nicht auch, den Bürgern klar zu sagen, welche großen Veränderungen und Verteuerungen auf sie zukommen?

    Merz: Das ist so. Ich will auch gar nicht drum herum reden: Frau Merkel hat in ihrer Pressekonferenz am vergangenen Freitag gesagt, Politik bestehe aus dem, was möglich ist. Und da widerspreche ich ernsthaft. Man muss in der Politik etwas möglich machen und etwas möglich machen wollen. Wenn man nur das macht, was die Mehrheit der Bevölkerung ohnehin für richtig hält, dann kann man Politik auch den Umfrageinstituten überlassen. Politik besteht nach meiner festen Überzeugung aus Führung. Und Führung bedeutet, das als richtig Erkannte so vorzutragen, dass man nicht nur vorhandene Mehrheiten nutzt, sondern neue Mehrheiten gewinnt.

    Mit welchem Vorschlag wären Sie denn in die Klimaberatungen gegangen?

    Merz: Nur ein Beispiel: In dem 22 Seiten langen Klimapaket steht, dass Wohnungseigentümer künftig die Kosten für Wärmedämmung steuerlich absetzen können. Doch da steht ein entscheidendes Wort dabei: selbst genutztes Wohneigentum bekommt diese Förderung. Die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland lebt aber nicht in selbst genutztem Wohneigentum. Aus diesem Beschluss spricht ein abgrundtiefes Misstrauen gegenüber Wohnungsbaugesellschaften und Vermietern. Aber wenn die keine Förderung bekommen, werden die auch keine großen Wohneinheiten sanieren. Ein zweites Beispiel: Wir hätten den Mut haben sollen, mit höheren Preisen für CO2 einzusteigen. Dafür hätte man an anderer Stelle für Entlastung sorgen können: Die Stromsteuer muss gesenkt, die EEG-Umlage abgeschafft werden. Wir haben die höchste Stromsteuer-Belastung in ganz Europa. Dabei ist die Lenkungswirkung gleich null.

    Eine, die sich ganz besonders für den Klimaschutz engagiert, ist Greta Thunberg. Wie haben Sie ihren Auftritt in New York erlebt?

    Merz: Also ganz ehrlich: Meine Tochter hätte ich da nicht hingelassen. Auf der einen Seite ist das Mädchen bewundernswert, aber auf der anderen Seite ist es krank. Und da stelle ich mir die Frage: Was machen die Eltern mit diesem Mädchen? Ich habe da ein sehr zwiespältiges Gefühl. Natürlich ist es toll, wenn sich eine 16-Jährige so engagiert. Aber irgendwie bleibt bei mir da ein Störgefühl zurück.

    Wie diskutieren Sie das Thema zu Hause mit Ihren Kindern?

    Merz: Ich habe inzwischen auch schon vier Enkelkinder. Und einer von diesen Spezis war bei der Fridays-for-Future-Demo auf der Straße. Das ist völlig in Ordnung.

    Muss für Sie nicht auch wichtig sein, wie Sie als Politiker die Generation der 18- und 20-Jährigen erreichen? Sie sagten kürzlich, dass Sie den Grünen die Frage stellen, wer denn den Wohlstand für unser Land erarbeitet – damit dürften Sie die Jüngeren nicht erreichen.

    Merz: Da muss ich Ihnen vehement widersprechen. Das ist bei uns zu Hause sehr wohl ein Thema: Womit verdienen wir in 20 Jahren unser Geld? Wir sind ein Land, das zu einem ganz wesentlichen Teil seinen Wohlstand der Industrie verdankt. Wenn wir über Umweltpolitik sprechen, müssen wir auch darüber sprechen, womit wir diese großen Aufwendungen bezahlen und wo unsere Kinder in 20 Jahren noch einen Job finden. Diese Frage ist nicht nur legitim, sie ist auch notwendig. Die CDU hat die große Chance, das Thema Ökologie mit dem Thema Ökonomie zu verbinden.

    Bayerns Ministerpräsident Markus Söder macht das vor. Ist er der heimliche Treiber der Union?

    Merz: Er ist nicht der heimliche und auch nicht der unheimliche Treiber – er ist der offene Treiber. Die CSU hat zurecht darauf hingewiesen, dass es das erste Umweltministerium in Bayern gab. Nicht unter einer rot-grünen Bundesregierung, sondern unter einer

    Sie waren Vorsitzender der Atlantikbrücke zur Pflege der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Was halten Sie vom Versuch der amerikanischen Demokraten, US-Präsident Donald Trump seines Amtes zu entheben?

    Merz: Ich bin nicht überzeugt, dass ein Amtsenthebungsverfahren erfolgreich sein kann. Die Demokraten brauchen dazu eine einfache Mehrheit im Repräsentantenhaus – die haben sie. Sie brauchen eine Zweidrittel-Mehrheit im Senat – die haben sie nicht. Es kann sein, dass eine Ablehnung der Amtsenthebung Trump im nächsten Wahlkampf sogar hilft. Und deshalb halte ich herzlich wenig davon. Im Übrigen: Die Glaubwürdigkeit der Demokraten ist nicht besonders hoch. Präsident Bill Clinton hätte seines Amtes enthoben werden müssen, er hat eine „Grand Jury“ belogen. Die Demokraten haben das damals verhindert.

    Man muss Trump also an der Wahlurne besiegen?

    Merz: Trump in offener Wahl-Auseinandersetzung zu schlagen, ist zehnmal besser als ihn mit einem juristischen Instrument aus dem Amt zu jagen. Ich bin seit 30 Jahren jedes Jahr mehrfach in den USA und stelle fest, dass sich das Land sehr verändert hat. Die Amerikaner sind kriegsmüde. Sie wollen sich stärker um sich selbst kümmern. Wir erleben im Augenblick das Ende der „Pax Americana“, also der Nachkriegsordnung, die von den Amerikanern so stark bestimmt wurde.

    Ist der Wegfall der USA als Ordnungsmacht noch einmal dramatischer, weil sich China als große Enttäuschung für den Westen entpuppt?

    Merz: Wer mit Aufmerksamkeit den Parteitag der kommunistischen Partei von China im Oktober 2017 verfolgt hat, der konnte spätestens zu diesem Zeitpunkt alle Illusionen vergessen, dass hier eine Annäherung hin zu einem offenen Wirtschaftssystem und einer offenen Gesellschaft stattfindet. Das Gegenteil ist der Fall. Und wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, ist das der Umgang mit Hongkong. Am Ende des Tages wird es darauf ankommen, ob wir in der Europäischen Union eine China-Strategie haben. China jedenfalls hat eine Europa-Strategie.

    Was heißt das für die Wirtschaft?

    Merz: Wir dürfen den Chinesen nur den Zugang zu unseren Märkten gewähren, den wir auch umgekehrt in China bekommen. Dafür brauchen wir allerdings europäische Führung und europäische Geschlossenheit. Zwei Gipfel des Europäischen Rates sind terminiert worden mit dem Thema China-Strategie. Beide sind dem Brexit und der leidigen Diskussion darüber zum Opfer gefallen. Wir beschäftigen uns seit zwei Jahren in Europa mit nichts anderem als mit diesem Thema.

    Sie können sich das ganze Gespräch mit Friedrich Merz auch im Podcast anhören:

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