Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Leitartikel: Europa zahlt für seine Einheit einen hohen Preis

Leitartikel

Europa zahlt für seine Einheit einen hohen Preis

    • |
    Die Griechen müssen jetzt liefern.
    Die Griechen müssen jetzt liefern. Foto: Orestis Panagiotou dpa

    Ist die Fortsetzung der bislang gescheiterten, mit irrsinnig viel Geld betriebenen Rettungspolitik für Griechenland wirklich im Interesse der Einheit Europas und seiner Zukunft? Oder wäre es nicht besser gewesen, den Geldhahn zuzudrehen und den Ausstieg der Griechen aus dem Euro zu erzwingen? Und besteht überhaupt eine reelle Chance, dass das zahlungsunfähige Land in der Währungsunion jemals auf die Beine kommt und aus dem selbst verschuldeten Schlamassel herausfindet? Niemand vermag diese Fragen mit Gewissheit zu beantworten. Erst die Geschichte wird eines Tages ein Urteil darüber fällen, ob in diesen dramatischen Tagen das Fundament der EU gefestigt oder der Prozess der Erosion erst recht befördert wurde.

    Rein ökonomisch betrachtet wäre ein „Grexit“ verkraftbar gewesen. Die linksradikale Regierung des kleinen Landes hat es zwar geschafft, Europa in eine der schwersten Krisen seiner Geschichte zu stürzen und das Vertrauen in die Gültigkeit von Verträgen und Spielregeln zu erschüttern. Aber das in jahrzehntelanger Misswirtschaft zugrundegerichtete Land ist nicht bedeutend genug, um den Euro ins Wanken zu bringen. Auf dem Spiel stand also nicht die Währungsunion, sondern die Einheit Europas. Deshalb – und wegen der Angst vor einem ins Chaos abstürzenden Staat an der Südostflanke der EU – waren die Chefs der Eurozone bereit, den Konkurs des Landes ein weiteres Mal abzuwenden.

    Merkel und Co. hatten das Risiko vor Augen

    Der große Europäer Wolfgang Schäuble hat offenbar mit dem Gedanken gespielt, ein Ende mit Schrecken herbeizuführen. Doch hätte jeder Versuch, den „Grexit“ mit der Brechstange zu erzwingen, zu einer tiefen, auf Jahre hinaus irreparablen Spaltung Europas und einem Bruch der Achse Berlin–Paris geführt. Wenn Frankreich, das am Ende auf der Seite Athens stand, und Deutschland getrennte Wege gehen, dann ist es schlecht bestellt um die Zukunft Europas. Dieses Risiko vor Augen, sind Merkel, Schäuble und die Mehrheit der Eurostaaten nicht aufs Ganze gegangen. Die Spar- und Reformauflagen allerdings, die Athen als Gegenleistung für das neue Hilfspaket akzeptieren muss, wären ohne die harte Verhandlungslinie Schäubles weit milder ausgefallen.

    Der Revolutionsrhetoriker Tsipras muss nun schlucken, was er vor kurzem noch viel günstiger und ohne das entwürdigende Schlangestehen seiner Landsleute vor bankrotten Banken hätte haben können. Trotzdem: Es ist Tsipras gelungen, das Land im Euro zu halten und seinen Geldgebern ein neues riesiges Hilfspaket abzuringen. Der Preis, den Europa für diesen Kompromiss und das Zusammenhalten des Ladens zahlt, ist immens hoch. Die Euro-Retter werfen schlechtem Geld noch einmal viel Gutes hinterher. Sie pumpen weitere 90 000 Millionen Euro in ein Land, das sich bisher als Fass ohne Boden erwiesen hat – auch auf das Risiko hin, dass diesem dritten Hilfsprogramm nach drei Jahren ein viertes folgen wird. Man kauft halt wieder Zeit und klammert sich an die vage Hoffnung, dass die teure, andernorts mit einigem Erfolg verabreichte Medizin irgendwann auch in Griechenland anschlägt.

    Die Griechen müssen jetzt liefern. Ohne die rasche – und kontrollierte – Umsetzung von Gesetzen, ohne die umfassende Erneuerung des verrotteten Staatswesens wird auch dieser Anlauf zur Rettung Griechenlands scheitern. Mit Versprechen und Zusagen ist es, wie die Erfahrung mit Athener Regierungen lehrt, nicht getan. Tsipras hat viel Vertrauen zerstört und trotzdem einen Vertrauensvorschuss erhalten. Es liegt nun an ihm, die begründeten schweren Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit und an der Bereitschaft seines Landes zu einem Neuanfang zu zerstreuen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden