Es gibt eine nette Anekdote über Anthony Fauci. Der 80-Jährige ist so etwas wie der amerikanische Christian Drosten. In der Corona-Krise hat das Wort des Immunologen Gewicht. Nicht bei Donald Trump natürlich, der bekanntlich immer nur hören wollte, was er hören wollte. Aber bei vielen anderen. Als dieser Anthony Fauci also gefragt wird, was sich mit dem Machtwechsel im Weißen Haus geändert hat, sagt er augenzwinkernd: „Eine der Neuerungen in dieser Regierung ist: Wenn Du die Antwort nicht weißt, fang nicht an zu raten. Sag einfach, dass Du die Antwort nicht weißt.“
Im ersten Moment mag man schmunzeln. Doch wenn wir ehrlich sind, können es sich Politiker kaum leisten, Antworten schuldig zu bleiben. Unser Anspruch ist, dass sie liefern. Rund um die Uhr. Auf allen Plattformen. Am besten live. Corona sollte ein Anlass sein, diesen Anspruch zu überdenken.
Corona verunsichert uns, wir erwarten Antworten. Nur welche?
Die Pandemie führt uns bitter vor Augen, dass der Mensch eben doch nicht jedes Problem sofort in den Griff bekommt. Je mehr uns das verunsichert, desto stärker sehnen wir uns nach einfachen, klaren Antworten. Fragen haben wir schließlich selbst schon genug. Leute, die wissen, was zu tun ist, kommen groß raus. Selbst, wenn wir tief drinnen die vage Ahnung haben, dass diese Leute womöglich auch nur eine vage Ahnung haben, bewundern wir sie als entschlossene Macher. Unser Anspruch ist schließlich, dass Politiker liefern.
Und so kommt es, dass Minister von den Boulevardmedien heute nicht mehr interviewt, sondern zum „Verhör“ bestellt werden. Dass ein paar Minuten Bedenkzeit vor einer Reaktion auf eine Twitter-Aufregung schon als „Wegducken“ interpretiert werden. Dass Politiker spätabends auf digitalen Plattformen in Live-Diskussionsrunden herbeizitiert werden. Natürlich kann man nun sagen, dass das alles zu diesem Beruf gehört, der noch dazu gut dotiert ist. Doch wir sollten uns auch fragen, ob diese Atemlosigkeit Politik besser macht.
Angela Merkel ist der Gegenentwurf zum aufgeregten Sofortismus
Eine Kanzlerin oder ein Gesundheitsminister müssen selbstverständlich in der Lage sein, auch vor laufender Kamera Rede und Antwort zu stehen. Für das Publikum hat das einen besonderen Reiz: Was live passiert, kann nachher nicht geglättet, gekürzt oder uminterpretiert werden. Doch wenn keine Zeit zum Denken bleibt, kommt eben auch häufig ein bunter Strauß von Plattitüden heraus, wie ihn die Kanzlerin in dieser Woche auf den Tisch gestellt hat. Angela Merkel war stets das Gegenteil des aufgeregten Sofortismus. Schon länger wirkt sie damit aus der Zeit gefallen. Ob das nun wohltuend oder von gestern ist, soll jeder selbst beurteilen. Politiker von heute agieren jedenfalls in Echtzeit in sozialen Medien, zwischendurch ein Interview, der neue Podcast, die nächste Talkshow. Viel Sendezeit – wenig Tiefgang.
Bodo Ramelow ist immer auf Sendung - da geht schon mal was daneben
Noch eine Anekdote: Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow ist ein Mann, zu dessen Stärken es nicht gehört, auch mal schweigen zu können. Eine Idealbesetzung also für die neue Plattform „Clubhouse“, auf der sich Menschen in virtuellen Gesprächsräumen treffen und über alles Mögliche quatschen. Ramelow ist dort Dauergast der ersten Stunde, wird für seine Offenheit gefeiert – und angestachelt, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Also erzählt er, dass er während der Corona-Krisensitzungen gerne mal zur Ablenkung auf dem Smartphone zockt, und nennt die Kanzlerin „das Merkelchen“.
Das war natürlich ziemlich dumm, aber auch wenig überraschend: Wer rund um die Uhr sendet, versendet sich auch mal. Wer meint, auf alles eine Antwort geben zu können, muss eben öfter mal raten. Kann das wirklich unser Anspruch sein?
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