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Kommentar: Verfassungsgericht-Urteil: Teilerfolg für deutsche Euro-Kritiker

Kommentar

Verfassungsgericht-Urteil: Teilerfolg für deutsche Euro-Kritiker

Stefan Stahl
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    Das Bundesverfassungsgericht erhebt Forderungen an die Europäische Zentralbank - die exzessive Geldpolitik der Notenbanker stellt es aber nicht grundsätzlich infrage.
    Das Bundesverfassungsgericht erhebt Forderungen an die Europäische Zentralbank - die exzessive Geldpolitik der Notenbanker stellt es aber nicht grundsätzlich infrage. Foto: Frank Rumpenhorst, dpa

    Das ist eine kräftige Watschn, aber kein fieser Faustschlag: Das Bundesverfassungsgericht bemängelt zwar überraschend deutlich, dass die Europäische Zentralbank die Verhältnismäßigkeit der billionenschweren Anleihekäufe nicht gründlich untersucht habe. Die Juristen rütteln aber nicht grundsätzlich an der fragwürdigen Praxis. Dabei bekommen ihre Richter-Kollegen des Europäischen Gerichtshofs immerhin gehörig ihr Fett aus Karlsruhe weg, weil sie wie die EZB-Mächtigen zu wenig geprüft haben, ob die radikalen Maßnahmen wirklich angemessen sind.

    Das Studium des Urteils offenbart ein großes Unbehagen der obersten deutschen Richter gegenüber der allzu entspannten Art, wie auf europäischer Ebene mit der Bewilligung unvorstellbar hoher Geldsummen zur Stabilisierung von Schuldenstaaten umgegangen wird. Auch wenn Länder wie Italien besonders unter der Corona-Krise leiden und unsere volle Solidarität verdienen, ist ihre leichtsinnige Haushaltspolitik für die Euro-Gemeinschaft brandgefährlich.

    Eine Schuldenkrise könnte der nächste Tiefschlag sein

    Der nächste Tiefschlag nach Überwindung des Corona-Desasters könnte wieder eine Schuldenkrise sein, ausgelöst etwa von Italien. Für das Land wird es durch die Pandemie noch schwerer, zumindest ansatzweise auf den Pfad haushaltspolitischer Vernunft einzuschwenken.

    Die deutschen Verfassungsrichter haben sich in ihrem Urteil zwar nicht mit den neuesten Anleihekäufen der EZB als Reaktion auf die Corona-Krise beschäftigt. Dennoch können sich die europäischen Notenbanker um ihre Chefin Christine Lagarde nach der schmerzhaften Teil-Rüge aus Karlsruhe nicht einfach schütteln und weitermachen wie bisher. So wies Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer darauf hin, die EZB und damit auch die Bundesbank müssten fortan genauer prüfen, ob ihre Anleihekäufe zur Stabilisierung wankender Kandidaten wie Italien verhältnismäßig sind. Das dürfte die personell gut bestückte Zentralbank indes hinbekommen, um dann leider weiter munter Anleihen zu kaufen.

    Bundesverfassungsgericht: Der Karlsruher Schlag in die Magengrube bleibt aus

    Das ist trotz aller Freude über die Karlsruher EZB-Schelte die enttäuschende Nachricht für die Kläger um den wackeren Euro-Gerechtigkeitskämpfer Peter Gauweiler. Der CSU-Mann und Jurist mag sich über einen erneuten Teilerfolg vor dem Bundesverfassungsgericht freuen, mit seinem Hauptanliegen dringt er wiederum nicht durch: Denn die Richter wollen den deutschen Euro-Kritikern nicht folgen. Sie sehen in der Anleihe-Staubsaugerpolitik keine unzulässige Staatsfinanzierung seitens der dazu rechtlich nicht ermächtigten EZB. In dem gerade aus Sicht frustrierter deutscher Sparer entscheidenden Punkt haben die Kläger also wiederum trotz ihrer plausibel klingenden Argumente eine Abfuhr bekommen. Der Karlsruher Schlag in die Magengrube blieb aus.

    Doch was ist es anderes als indirekte Staatsfinanzierung, wenn die EZB Anleihen inhaliert und es damit für ein Land wie Italien leichter, also günstiger macht, sich weiter zu verschulden? Insofern betreiben Lagarde & Co. wie ihre Vorgänger um Mario Draghi Wirtschaftspolitik und überschreiten klar die Kompetenzen der EZB, sollen sie doch vor allem für Geldwertstabilität bürgen. Letztlich ist das Urteil erneut eine Klatsche für heimische Sparer, die auf unbestimmte Zeit mit dem Unding von Null- und Strafzinsen leben müssen. Dabei geht der Versuch einer Karlsruher Pädagogik in der Corona-Ära wohl ohnehin unter. Denn nun sind endgültig alle finanzpolitischen Dämme gebrochen. Der alte Kontinent spielt derzeit die europäische Schulden-Meisterschaft aus – und das in exzessiver Form: Jedes Tor kostet eine Milliarde. Was soll’s!

    Unsere Kinder und Enkel werden dafür einst die Quittung erhalten.

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