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Kommentar: Projekt Jamaika: Dieses Bündnis steht auf tönernen Füßen

Kommentar

Projekt Jamaika: Dieses Bündnis steht auf tönernen Füßen

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    Für die Mehrheit der Deutschen wäre eine Jamaika-Koalition eine wünschenswerte Lösung.
    Für die Mehrheit der Deutschen wäre eine Jamaika-Koalition eine wünschenswerte Lösung. Foto: Daniel Bockwoldt (dpa)

    Die Architekten der Jamaika-Koalition gründen ihr neues Regierungsgebäude auf einem brüchigen Fundament. Grüne und Liberale verteilen in Gedanken schon die Ministerien, CDU und CSU sind mehr mit sich selbst beschäftigt als die SPD in ihren unruhigsten Zeiten – und dann wischt die graue Eminenz der deutschen Politik, der künftige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, wie beiläufig auch noch die Forderung der bayerischen Kollegen nach einer Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen vom Tisch: Eine Koalition, deren Bauherren derart unterschiedliche Vorstellungen haben, ist eine Koalition mit eingebautem Einsturzrisiko – wenn sie denn überhaupt zustande kommt.

    Obwohl sich sechs von zehn Deutschen bereits mit dem Projekt Jamaika angefreundet haben, einem Feldversuch mit ungewissem Ausgang, haben Konservative, Liberale und Grüne noch einen langen, beschwerlichen Weg vor sich. Jenseits aller inhaltlicher Differenzen um Steuersenkungen, Diesel-Verbote oder Obergrenzen müssen die Unterhändler der vier Parteien dabei auch auf der informellen, persönlichen Ebene noch eine ganze Stadionrunde an Hürden überwinden.

    Schäuble provoziert Seehofer

    Jamaika liege nahe, "denn wir brauchen eine stabile Regierung für unser Land", so Schäuble.
    Jamaika liege nahe, "denn wir brauchen eine stabile Regierung für unser Land", so Schäuble. Foto: Michael Kappeler (dpa)

    Vertrauen, heißt es in der Fernsehwerbung, ist der Anfang von allem – im Moment allerdings wird im politischen Berlin eine Menge an Vertrauen verspielt. Die kategorische Art, mit der die Grüne Katrin Göring-Eckardt rote Linien zieht und ihre ganz persönlichen Ansprüche auf einen herausgehobenen Platz in der nächsten Bundesregierung formuliert, ist ebenso kontraproduktiv wie der öffentliche Flirt der FDP mit dem Finanzministerium oder die kategorische Absage Schäubles an eine Obergrenze, die CSU-Chef Horst Seehofer als gezielte Provokation empfinden muss.

    Solange sich nicht einmal die Union einig ist, was sie wollen soll, so lange bleibt das Projekt Jamaika eines auf tönernen Füßen. Auch in der Politik macht häufig der Ton die Musik – entsprechend schwierig wird es für die künftigen Koalitionäre, nach den Störgeräuschen der vergangenen Tage noch zu einem halbwegs vernünftigen Miteinander zu finden. Hier wie dort sitzt das Misstrauen tief, und hier wie dort wird das Trennende so stark hervorgehoben, dass viele Wähler sich allmählich fragen, ob es auch noch etwas Verbindendes zwischen den vier Parteien gibt – außer dem Zwang, sich zusammenzuraufen, irgendwann und irgendwie.

    Ein Regierungsbündnis jedoch, in dem sich so ungleiche Partner wiederfinden müssen wie der linke Parteiflügel der Grünen und die Konservativsten unter den Konservativen in der CSU, verlangt von allen Beteiligten nicht nur eine gewisse Disziplin, sondern auch eine gewisse Unvoreingenommenheit. Wer im Vorfeld schon kräftig Beton anrührt, mauert sich am Ende nur selbst in seinen eigenen Positionen ein. Das macht Jamaika immer unwahrscheinlicher und Neuwahlen mit einer noch stärkeren AfD wahrscheinlicher. Vor allem den Grünen, die im Moment vor Kraft kaum laufen können, stünde etwas mehr Bescheidenheit gut zu Gesicht. So gut sie bei der Wahl für ihre Verhältnisse abgeschnitten haben, so groß ist bei ihnen jetzt die Versuchung, das eigene Programm für quasi unverhandelbar zu erklären. Die Chuzpe, mit ganzen neun Prozent der Wähler im Rücken den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor beschließen zu wollen, muss man erst einmal haben.

    Funktionieren wird Jamaika nur, wenn jede Partei sich in diesem Bündnis wiederfindet und sich nicht drei gegen einen stellen wie jetzt im Streit um die Obergrenze. Eine wie auch immer geartete Begrenzung der Zuwanderung, das lehrt nicht zuletzt das Wahlergebnis, wird es also geben müssen – sonst herrscht in der Union Land unter.

    Lesen Sie auch: Neuer Krach um Obergrenze in der Union

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