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Kommentar: Organisierte Umständlichkeit: Behörden stoßen in Corona-Zeiten an Grenzen

Kommentar

Organisierte Umständlichkeit: Behörden stoßen in Corona-Zeiten an Grenzen

Rudi Wais
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    Angehörige der Bundeswehr unterstützen Mitarbeiter der Gesundheitsämter bei der telefonischen Kontaktnachverfolgung und Information in der Corona-Pandemie.
    Angehörige der Bundeswehr unterstützen Mitarbeiter der Gesundheitsämter bei der telefonischen Kontaktnachverfolgung und Information in der Corona-Pandemie. Foto: Silvio Wyszengrad

    Jens Spahn klang, als habe er gerade halb Deutschland persönlich geimpft. Seit 1. Januar, schwärmte der Gesundheitsminister, übermittelten alle Labore ihre Testergebnisse den Gesundheitsämtern auf elektronischem Wege. „Nicht mehr per Fax, sondern per Knopfdruck.“ Was er als Fortschritt im Kampf gegen die Pandemie pries, war in Wirklichkeit jedoch ein Eingeständnis des Scheiterns: Auch im 21. Jahrhundert, mitten in der digitalen Zeitenwende, stehen in deutschen Behörden noch Faxgeräte!

    So unfreiwillig komisch diese Vorstellung ist, so gefährlich ist diese Rückständigkeit jetzt. Ein Land, das bisher für seine sprichwörtliche Gründlichkeit und sein Organisationstalent gerühmt wurde, zeigt ausgerechnet in seinem Innersten die größten Schwächen – in der öffentlichen Verwaltung.

    Während ein Unternehmen wie Biontech binnen weniger Monate einen hochkomplexen Impfstoff auf den Markt bringen konnte, wurden in den Gesundheitsämtern bis vor kurzem noch Daten per Hand aus gefaxten Tabellen in die Computer eingegeben. Und während heute schon Grundschulkinder wie selbstverständlich mit einem Tablet umgehen, ist es der deutschen Kultusbürokratie noch immer nicht gelungen, jedem Lehrer eine eigene Mailadresse einzurichten.

    Lange Liste der Corona-Pannen

    Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Mit den Kindern, die versehentlich Gutscheine für FFP2- Masken zugeschickt bekommen, während ihre Großeltern noch auf genau jene Gutscheine warten. Mit den Testpannen im September, als 10.000 Menschen in Bayern viel zu lange auf ihre Ergebnisse warten mussten. Oder mit den Novemberhilfen für Unternehmen und Selbstständige, die als unbürokratische Soforthilfe angekündigt wurden, deren Auszahlung allerdings erst im Januar begann. „Die Schnelligkeit unseres Handelns lässt sehr zu wünschen übrig“, räumt sogar die Kanzlerin ein. Dass sie selbst (und ihre Regierung) dafür ein großes Maß an Mitverantwortung trägt, sagt sie natürlich nicht. Schuld sind im Zweifel stets die anderen.

    Angehörige der Bundeswehr unterstützen Mitarbeiter der Gesundheitsämter bei der telefonischen Kontaktnachverfolgung und Information in der Corona-Pandemie.
    Angehörige der Bundeswehr unterstützen Mitarbeiter der Gesundheitsämter bei der telefonischen Kontaktnachverfolgung und Information in der Corona-Pandemie. Foto: Silvio Wyszengrad

    Schonungslos hat die Corona-Krise die Schwachstellen des föderalistischen Staates offengelegt. Das Prinzip der Subsidiarität, nach dem möglichst viele öffentliche Aufgaben bürgernah auf der niedrigsten politischen Ebene geregelt werden sollen, führt Deutschland gerade ad absurdum. Statt Verantwortung zu übernehmen, zum Beispiel als Bundesregierung, wird Verantwortung einfach von oben nach unten wegdelegiert: An die Bürgermeister und Landräte, die ein funktionierendes Test- und Impfmanagement organisieren müssen und damit oft überfordert sind.

    An die Betreiber der Alten- und Pflegeheime, die Hygienekonzepte erarbeiten und Schnelltests heranschaffen sollen, gleichzeitig aber an finanzielle und personelle Grenzen stoßen. An viele Menschen jenseits der 80, die weder Computer noch Smartphone besitzen, sich nun aber mit QR-Codes in Testzentren einfinden sollen oder per Mail einen Impftermin beantragen müssen.

    Unternehmen fürchten Bürokratie mehr als Corona-Krise

    Ja, wo gearbeitet wird, werden auch Fehler gemacht – und ja, viele Beamte und Angestellte im Öffentlichen Dienst arbeiten seit Monaten weit über ihr Soll hinaus. Das aber ändert nichts an den strukturellen Problemen der staatlichen Verwaltung, an ihrer oft steinzeitlichen digitalen Ausstattung, an der Trägheit der Apparate, der mangelnden Vernetztheit und der ausufernden Bürokratie. Neun von zehn Mittelständlern macht der Verwaltungsaufwand nach einer Umfrage aus dem Dezember mehr Sorgen als die Corona-Krise selbst.

    Für die so zäh angelaufene Impfkampagne bedeutet das jenseits aller Debatten über den stockenden Nachschub nichts Gutes. Auch hier hinkt Deutschland mit seiner organisierten Umständlichkeit anderen EU-Ländern, die auf ihre Einwohnerzahl umgerechnet genauso viel Impfstoff bekommen haben, schon weit hinterher – Rumänien, Polen, Litauen oder Kroatien etwa impfen deutlich schneller.

    Behörden fehlt die Bürger-Perspektive

    Die Probleme vom Bürger her zu denken, nicht aus der Binnensicht der Behörde – das sollte gerade in Krisenzeiten eine Verwaltung leiten. „Auf jeder Ebene“, klagt der Fraktionschef der Union, Ralph Brinkhaus, „haben wir zu oft Bedenkenbehörden statt Ermöglichungsbehörden.“

    Warum, zum Beispiel, gelingt es den Gesundheitsämtern noch immer nicht, auch am Wochenende verlässliche Infektionszahlen zu liefern? Weil freitags um eins noch immer jeder seins macht? Oder fehlt es einigen Behörden (und den für sie verantwortlichen Politikern) noch immer am Problembewusstsein? In Berlin, zum Beispiel, will die SPD jetzt die Reinigung von Schultoiletten wieder zur hoheitlichen öffentlichen Aufgabe machen – als hätte das Land keine anderen Sorgen. Fehlt nur noch, dass der staatliche Putzdienst seine Aufträge per Fax erhält.

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