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Kommentar: Munterer und kontroverser – das tut dem Parlament ganz gut

Kommentar

Munterer und kontroverser – das tut dem Parlament ganz gut

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    Neuer Arbeitsplatz: Sichtlich gut gelaunt sitzt Wolfgang Schäuble erstmals auf dem Platz des Bundestagspräsidenten.
    Neuer Arbeitsplatz: Sichtlich gut gelaunt sitzt Wolfgang Schäuble erstmals auf dem Platz des Bundestagspräsidenten. Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    Wolfgang Schäuble, der große alte Mann der deutschen Politik, wird als neuer Präsident des Bundestages eine Menge zu tun bekommen. Denn im Parlament wird es fortan viel munterer, kontroverser und hitziger zugehen. Die bleierne Zeit der Großen Koalition mit ihren erdrückenden Mehrheiten ist vorbei.

    Der neuen, mutmaßlich von Union, FDP und Grünen gebildeten Regierung wird eine starke, von ganz links bis ganz rechts reichende Opposition gegenüberstehen. Der Ton wird rauer, die Luft bleihaltiger. Mit der AfD – und das ist eine historische Zäsur – sitzt erstmals eine dezidiert rechte Partei im Bundestag, die sich als Gegnerin und Herausforderin des von den „Altparteien“ beherrschten Systems positioniert und auf Provokation und Krawall aus ist, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzielen. Wolfgang Schäuble hat das Zeug dazu, diese neue Lage in den Griff zu bekommen. Wer, wenn nicht dieser in 45 Parlamentsjahren gestählte Mann, ist der doppelten Herausforderung gewachsen, einerseits die strikte Einhaltung der Spielregeln zu gewährleisten und andererseits auch der harten Auseinandersetzung in der Sache genügend Raum zu verschaffen?

    Große Chance für das Parlament

    Im gründlich veränderten Koordinatensystem des 19. Bundestags, der mit seinen nunmehr sechs Fraktionen die gesellschaftlichen Milieus der Republik besser abbildet und repräsentiert als die bisherigen Parlamente, liegt ja auch die Chance für einen lebendigeren, frischeren Parlamentarismus. Der Bundestag ist die „Herzkammer der Demokratie“ (Schäuble). Also müssen dort auch die großen Themen verhandelt und entschieden werden. Die Vertrauenskrise der Politik hat ja auch mit dem zutreffenden Gefühl vieler Bürger zu tun, dass wegweisende Beschlüsse ohne gründlichen öffentlichen Diskurs und ohne ausreichende Einbindung des Parlaments getroffen werden. Umso wichtiger ist es, dass der Bundestag wieder zum zentralen Ort der politischen Auseinandersetzung wird. Klar in der Sache, moderat im Stil, einig in der Verteidigung unserer Grundwerte: Das macht jene parlamentarische Kultur aus, von der die Republik mehr gebrauchen kann. Wobei die Demokratie gefestigt genug ist, um auch radikale, vom Denken der großen Mehrheit abweichende Meinungen aushalten zu können.

    Sollten AfD-Politiker die Bühne des nationalen Parlaments für völkische, rassistische Parolen nutzen und die Regeln politischer Kultur missachten, müssen sie auf die entschiedene Gegenwehr der Demokraten treffen. Ausländerfeindliche Hetze ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Und es ist das gute Recht der großen Mehrheit, einem Islamgegner die Vizepräsidentschaft zu verwehren. Eine gezielte Ausgrenzung der ohnehin isolierten AfD jedoch darf es nicht geben. Deren frei gewählten Abgeordneten stehen die gleichen Rechte wie allen anderen zu. Im Umgang mit der AfD ist Gelassenheit vonnöten – gepaart mit der Entschlossenheit, der Rechten argumentativ auf den Zahn zu fühlen und die Probleme jener sechs Millionen Menschen aufzugreifen, die AfD gewählt haben. Mit einem raschen Zerfall der AfD ist nicht zu rechnen. Als extrem radikale Partei hat sie auf Dauer keine Chance. Als gemäßigte nationalkonservative Rechte kann sie zu einem festen Faktor werden.

    Die Reform des Wahlrechts wurde verschleppt

    Die AfD ist auch ein Produkt des Missmuts über die politischen Eliten, die es in eigener Sache mit dem Maßhalten nicht so genau nehmen. Der Bundestag (Sollstärke: 598) ist mit nun 709 Abgeordneten krass aufgebläht, weil die Korrektur des Wahlrechts den Partei-Pfründen und Posten zuliebe verschleppt wurde. Diese Reform duldet jetzt keinen Aufschub mehr. Wolfgang Schäuble, übernehmen Sie!

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