Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Kommentar: Mob von Chemnitz: Jetzt muss die Politik Flagge zeigen

Kommentar

Mob von Chemnitz: Jetzt muss die Politik Flagge zeigen

    • |
    Zwischen den Fronten: Polizisten versuchen, ein Aufeinanderprallen von rechten und linken Gruppen in Chemnitz zu verhindern.
    Zwischen den Fronten: Polizisten versuchen, ein Aufeinanderprallen von rechten und linken Gruppen in Chemnitz zu verhindern. Foto: Sebastian Willnow, dpa

    Der berühmte Linguist Victor Klemperer hat einmal geschrieben: "Worte können wie winzige Arsendosen sein. Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu haben, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da."

    Deswegen müssen wir immer auch über Worte und Wortwahl schreiben, wenn wir erschrocken über Taten sind: in diesem Fall den rechten Mob, der die Straßen von Chemnitz in eine rechtsfreie Zone verwandelte – angeblich, um vermeintliche Mörder zu jagen, doch in Wirklichkeit, um Hass auszuleben gegen Menschen, die ihm nicht gefallen.

    Denn es waren zuletzt einige Worte zu vernehmen, die vielleicht erst nicht so auffielen, die aber die Debatte vergiftet haben. Zu nennen ist ein nordrhein-westfälischer Innenminister, der schwadronierte, Richter müssten sich bei ihren Urteilen nicht in erster Linie an Recht und Verfassung halten, sondern an das Empfinden der Bürger. Zu hören war, etwa im Fall Sami A., der Rechtsstaat sei ja schön und gut, aber seine Grenzen dürfe man schon mal austesten, wenn doch klar sei, gegen wen man handele (zumal, das wird oft hinzugefügt, bei Grenzöffnungen ja auch Recht verletzt worden sei, als ob das eine mit dem anderen rechtlich etwas zu tun habe).

    Das Recht auf Asyl wurde in Verbindung mit Tourismus gesetzt. Und wenn Journalisten an ihrer journalistischen Arbeit gehindert werden, fällt gern das Wort von der "Lügenpresse", der es ganz gut tue, mal härter angefasst zu werden.

    Der Staat ist für die Bürger da - nicht umgekehrt

    Der Rechtsstaat ist aber kein Testmodell. Und das Verbot von Selbstjustiz und Hassmobs auch nicht. Das ist ja gerade das zivilisatorische Erbe, auf das stolze Deutsche – und als solche verstehen sich die Rechtsextremen in Chemnitz doch – stolz sein dürften. Denn wir haben aus dem Volksverbrechen des Nationalsozialismus bewundernswerte Schlüsse gezogen, der 70. Jahrestag des Verfassungskonvents erinnert daran gerade. Da wurde etwa nach all den Toten die Todesstrafe ausgeschlossen – und die Grundrechte eingeführt, um klarzumachen, dass der Staat für die Bürger da ist, nicht umgekehrt.

    Vor allem aber entstand eine Ewigkeitsgarantie von Prinzipien, die eben nicht verhandelbar sind, von niemandem – und zu der gehören auch die rechtsstaatlichen Grundsätze. Diese gelten für mutmaßliche Mörder genauso wie für Kinderschänder, aber auch für NSU-Verbrecher oder Hooligans.

    Diese Prinzipien zu bewahren, ist Aufgabe der Politik. Leider hat sie dabei oft versagt. Zu oft entsteht der Eindruck, dass brisante Vorfälle erst einmal auf politische Verwertbarkeit abgeklopft werden. In Sachsen, wo Wahlen anstehen und jede Erwähnung von Rechtsextremismus lang als "

    Kein Politiker sollte zu Chemnitz schweigen

    Rechtsstaatliche Grundsätze sind aber keine politische Spielmasse. Sie gelten natürlich in voller Härte für Straftäter, egal welcher Nationalität und Herkunft. Sie gelten aber ebenso hart für jene, die unseren Rechtsstaat für zu lasch halten und selber die Dinge regeln wollen.

    Wie wichtig dies ist, sollten Politiker übrigens am ehesten verstehen können. Sie müssen ja nur ihr Email-Fach öffnen, um zu lesen, wie rasch das vermeintlich „gesunde Volksempfinden“ Politiker am nächsten Laternenmast aufhängen möchte. Aus all diesen Gründen sollte kein Politiker zu Chemnitz schweigen.

    Es ist gut, dass Bundesinnenminister Seehofer klarstellt, auf welcher Seite er steht. Und doch hätte gerade er, der – wie er selber sagt – sein Leben lang gegen Extremismus gekämpft hat, schneller Worte finden müssen.

    Wir möchten wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden