Der Zweck heiligt nicht alle Mittel. Mit seinem Vorschlag, für Menschen aus Risikogebieten wie Berlin, München oder Memmingen eine Art Ausreisesperre zu verhängen, konnte sich der Infektionsforscher Michael Meyer-Hermann beim Krisentreffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten zwar nicht durchsetzen. Dass über eine derart massive Einschränkung der persönlichen Freiheiten überhaupt diskutiert wurde, zeigt allerdings, wie blank die Nerven in der Politik teilweise liegen. Die kräftig gestiegenen Ansteckungszahlen vor Augen setzen vor allem Angela Merkel und Markus Söder auf das Prinzip Daumenschraube: Wer nicht hören will, muss fühlen.
Nicht nur in der Debatte um das Beherbergungsverbot für Reisende aus innerdeutschen Risikogebieten ist dabei einiges aus dem Ruder gelaufen – eine Maßnahme, die mehr Widersprüche produziert als Probleme löst. Warum, zum Beispiel, darf ein Tourist aus Memmingen ohne negativen Corona-Test in einem fränkischen Hotel absteigen, ein Urlauber aus Berlin aber nicht? In Baden-Württemberg und Niedersachsen haben die Gerichte bereits die Reißleine gezogen und die jeweiligen Hotelverbote gekippt. Sachsen hat sein Verbot von sich aus aufgehoben, während der bayerische Ministerpräsident noch immer an der Testpflicht festhält. Dabei ist die Frage, ob sie noch verhältnismäßig ist, längst beantwortet – mit Nein.
Die Wohnung ist vom Grundgesetz geschützt
Mit einigen Regelungen aus dem von Bund und Ländern beschlossenen Anti-Corona-Paket verhält es sich ähnlich. So wichtig es jetzt ist, die Menschen auf Abstand zu halten, Kontakte zu reduzieren und einen Lockdown auf Raten zu vermeiden: Wo Gastronomen auch strenge Abstands- und Hygienevorschriften in ihren Lokalen einhalten können, muss die Politik sie nicht mit einer Sperrstunde dazu zwingen, um 22 oder 23 Uhr zu schließen. Eine Maskenpflicht in Fußgängerzonen und auf belebten Plätzen in den Risikogebieten wiederum wirkt nur, wenn die örtlichen Behörden sie auch kontrollieren und Verstöße ahnden – von den privaten Feiern gar nicht zu reden, deren Teilnehmerzahl fast alle Bundesländer nun per Verordnung begrenzen wollen. Das Grundgesetz aber schützt die eigene Wohnung ausdrücklich vor staatlichen Eingriffen. Und was wäre ein abendlicher Kontrollbesuch vom Ordnungsamt anderes als ein staatlicher Eingriff? Die meisten Menschen sind auch so vernünftig genug, jetzt keine wilden Partys mit dutzenden Gästen zu feiern.
Mit immer neuen Vorschriften und Verboten wird sich der Kampf gegen Corona kaum gewinnen lassen. Dass Deutschland bisher vergleichsweise gut durch die Krise gekommen ist, liegt nicht zuletzt an der Vorsicht und der Umsicht, die seine Bürger auch so schon beweisen. Deshalb sind die Infektionszahlen bei uns niedriger als in vielen anderen Ländern Europas und Szenarien mit bis zu 60 Millionen Infizierten und mehr als 200.000 Corona-Toten, wie Angela Merkel und der Virologe Christian Drosten sie im März vorhergesagt haben, nur apokalyptische Gedankenspiele.
Coronavirus in Bayern: Was wird aus Weihnachten?
Der Grat, auf dem die deutsche Politik balanciert, ist gleichwohl schmal. Hier das Bemühen, die Infektionszahlen nicht in französische oder spanische Höhen schießen zu lassen – dort die Sorge vieler Menschen, zu Gefangenen im eigenen Land zu werden, weil der Staat ihnen das Ausgehen verbietet, das Reisen und am Ende womöglich auch noch den Weihnachtsbesuch bei den Großeltern. Markus Söder hat die jetzt beschlossenen Maßnahmen salopp als „Einladung“ an die Bürger bezeichnet, sich gemeinsam gegen Corona zu stemmen. Tatsächlich zieht er die Daumenschrauben noch ein Stück weiter an.
Lesen Sie auch:
- Auf diese Corona-Regeln haben sich Angela Merkel und die Ministerpräsidenten geeinigt
- Söder verkündet neue Corona-Regeln – Beherbergungsverbot bleibt vorerst bestehen
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.