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Kommentar: Macron hat die Gelbwesten vorerst zum Schweigen gebracht

Kommentar

Macron hat die Gelbwesten vorerst zum Schweigen gebracht

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    Bilder wie dieses sind in Frankreich selten geworden.
    Bilder wie dieses sind in Frankreich selten geworden. Foto: Bruno Thevenin, dpa (Archiv)

    Die Samstage in Paris haben sich wieder normalisiert. Geschäfte schließen derzeit höchstens wegen der Sommerferien, aber nicht mehr aus Sorge, bei Demonstrationen ins Visier von Randalierern zu geraten. Auf den Champs-Élysées sind wieder überwiegend Touristen statt aufgebrachte Demonstranten unterwegs.

    Ein paar unermüdliche Gelbwesten finden sich zwar noch zusammen und versuchen, das Gefühl der Solidarität untereinander und den Widerstand aufrechtzuerhalten. Dennoch erscheint die Bewegung erschlafft – zumindest vorerst, denn die Ruhe ist trügerisch. Zu vieles liegt weiterhin im Argen, die Ursachen für die Wut sind keineswegs beseitigt. Sie entstand aus einem immensen Misstrauen vieler Franzosen gegenüber den Politikern, die sich zu oft selbst bereicherten, in ihrer eigenen Welt leben. Befeuert wird die Stimmung von der wachsenden Kluft zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlierern, zwischen der Elite und abgehängten sozialen Klassen, Stadt- und Landbewohnern.

    Interessiert sich Macron nicht für Probleme von „Normalbürgern“?

    Nicht umsonst war der Auslöser für den Protest die geplante – und dann ausgesetzte – Erhöhung der Ökosteuer auf Kraftstoff. Sie hätte vor allem jene getroffen, die fernab der Metropolen auf ihre Autos angewiesen sind. Auch zog Präsident Emmanuel Macron besonders den Zorn auf sich, weil er als Absolvent von Elitehochschulen und als rasant aufgestiegener Politik-Karrierist mit allzu selbstsicherem Auftreten „die da oben“ vertritt, welche sich nicht für die Probleme der Normalbevölkerung interessieren. Dieses Image hat sich nicht geändert, auch wenn Macrons bisher schwerste politische Krise vorerst überwunden scheint.

    Die heutige Schwäche der „Gelbwesten“ erklärt sich zum einen damit, dass sie Probleme aufzeigten und benannten, nicht aber deren Lösungen – was freilich auch nicht die Aufgabe von Bürgern ist. Eine Führungsfigur fehlte, die ihre disparaten Anliegen zusammenfassen und in konstruktivem Dialog gegenüber der Regierung vertreten konnte. Genau ein solches Sprachrohr hatte die Bewegung stets abgelehnt, die dezentral organisiert und in den sozialen Netzwerken entstanden war.

    Umstrittene Reformen im Herbst könnten Widerstand neu anfangen

    Zum anderen ließ infolge der brutalen Gewalt am Rande der Demonstrationen die Unterstützung der öffentlichen Meinung nach. Sie aber war maßgeblich für die enorme Aufmerksamkeit für die Bewegung. Darüber hinaus nahm ihr Präsident Emmanuel Macron mit sozialen Zugeständnissen und der Organisation von Bürgerdebatten den Wind aus den Segeln, auch wenn er keine politische Kehrtwende einleitete. Wie ungestört er seine Agenda weiter vorantreiben kann, lässt sich noch nicht absehen. Von der überwiegend orientierungslosen Opposition ist wenig Gegenwind zu erwarten. Und von den „Gelbwesten“?

    Deren Bewegung wurde so unvorhersehbar schnell zu einem gesellschaftlichen und medialen Phänomen, das weit über die Grenzen Frankreichs hinaus von sich reden machte, dass sich eine Prognose darüber verbietet, ob sie dauerhaft erledigt ist. Im Herbst stehen heikle Reformen wie jene der Arbeitslosen- und Rentenversicherung an, welche den Widerstand neu anzufachen drohen. Ruhe im Land dürfte erst einkehren, wenn Macron beweist, dass seine Politik die wirtschaftliche und soziale Lage entscheidend verbessert und die Chancengleichheit erhöht. Er hat einige Schritte in diese Richtung gemacht, etwa durch höhere Investitionen in die Schulen gerade in sozialen Brennpunkten, in Aus- und Weiterbildung. Die „Gelbwesten“-Krise muss ihm Warnung dafür sein, dass er bei seinen Reform- und Modernisierungsbemühungen die soziale Lage im Land nicht vernachlässigen darf.

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