Es ist die größte Aufgabe der Politiker in diesem Lande, die Corona-Seuche einzudämmen. Ihre Antwort darauf ist Kleinstaaterei. Jeder Ministerpräsident macht seine eigenen Corona-Regeln. In dem einen Landstrich darf groß gefeiert werden, in dem anderen nur in bescheidenem Rahmen. Im tiefen Westen müssen Schüler ab der fünften Klasse Schutzmasken auch während der Unterrichtsstunde tragen, in anderen Teilen der Republik nur auf dem Gang. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn setzt sich dafür ein, die Massentests bei Urlaubern zu reduzieren, um die Labore nicht zu überlasten. Nur Stunden später erklärt Bayern, an der Überprüfung der großen Zahl festzuhalten – und tut damit genau das Gegenteil.
Corona-Regeln variieren je nach Bundesland
Dass hierzulande nicht alles in der Hauptstadt entschieden wird, kann ein großer Vorteil sein. Gesetze und staatliches Handeln werden tendenziell passgenauer, wenn sie auf regionale Besonderheiten Rücksicht nehme können. Die Bundesrepublik ist bislang viel besser durch die Krise gekommen, als zum Beispiel das zentral regierte Frankreich. Doch aktuell zehrt Deutschland vom Erfolg des Frühjahrs, als die Ausbreitung des Erregers durch den Zwangsstillstand des öffentlichen Lebens stark verlangsamt wurde. Auch seinerzeit galten nicht überall dieselben Hygiene-Vorschriften und Ausgangsbeschränkungen.
In Bayern und Sachsen waren sie strenger gefasst und wurden von der Polizei schärfer kontrolliert als zum Beispiel in Berlin. Doch im Frühjahr war die Antwort, die Bund und Länder auf die unsichtbare Gefahr gaben, von einer gemeinsamen Philosophie getragen. Das Land wurde in den Stillstand versetzt. Nur die zur Versorgung nötigen Unternehmen und Einrichtungen arbeiteten weiter. Alles andere wurde geschlossen. Das galt in allen Landesteilen. Die Leute hielten sich an die krassestes Einschränkung ihrer Rechte seit Jahrzehnten.
Dieser einende Geist hat sich in einem ähnlichen Maße verflüchtigt, wie die Infektionszahlen gesunken sind. Die regionalen Bestimmungen klaffen teilweise erheblich auseinander. Die Folge ist, dass sie stärker in Zweifel gezogen werden. Warum soll ich mich an Vorschriften halten, wenn vielleicht ein paar Kilometer entfernt auf der anderen Seite der Landesgrenze etwas ganz anderes gilt? Regeln, die nicht für alle gleich angewendet werden, verlieren an Autorität. Regeln, hinter denen keinen System steckt, sind angreifbar. Die Ministerpräsidenten sind es, die sich um eine neue Einigkeit bemühen und die Widersprüche beseitigen müssen.
Dabei geht es nicht darum, dass jede Corona-Vorschrift von der Zugspitze bis zur Insel Rügen gelten muss. Die Ministerpräsidenten könnten sich aber mit Obergrenzen behelfen, zum Beispiel für private Feiern: Im Freien sind bis zu 100 Gäste erlaubt, in geschlossenen Räumen dürfen 50 Menschen zusammenkommen. Es könnten auch Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Besuchern generell verboten werden. Bahn und Fluggesellschaften müssten angewiesen werden, zwischen ihren Passagieren einen Sitz und eine Reihe frei zu lassen. Warum soll im Theater oder im Kino genau das gelten, in Staatsunternehmen wie der Bahn aber nicht?
Söder fordert mehr Einigkeit bei Corona-Regelungen
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat das Problem benannt und von seinen Amtskollegen verlangt, mehr Einigkeit herzustellen. Der CSU-Chef bleibt seiner Rolle als strenger Corona-Kämpfer damit treu. Die Frage ist, ob er sich auf die lange Strecke durchsetzen kann. Eine erste Antwort werden die Bürgerinnen und Bürger am Donnerstag bekommen, wenn die Ministerpräsidenten der Länder mit Kanzlerin Angela Merkel auch über die Pandemielage beraten. Die eigentliche Prüfung für Deutschland steht aber im Herbst an, wenn neben den Corona- wieder die Grippeviren umgehen. Dann braucht es eine starke Gesundheitspolitik. Und vor allem eine, die von Gemeinsamkeit getragen ist. Ansonsten droht der Kollaps.
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