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Kommentar: Europas Trauerspiel: Sondergipfel kreist um Posten statt um Strategie

Kommentar

Europas Trauerspiel: Sondergipfel kreist um Posten statt um Strategie

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    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Vor wenigen Tagen saß ich mit einigen Menschen beim Abendessen zusammen. Es waren Männer und Frauen, denen Europa eine Herzensangelegenheit ist, beruflich wie privat, und so ging es den ganzen Abend lang um

    Fast zwei Stunden ging das so, bis ein Teilnehmer hochschreckte und sagte: „Jetzt sind wir so, wie man es uns Journalisten und Politikern immer vorhält – wir reden nur über Posten. Gar nicht über Positionen oder gar inhaltliche

    Genau das ist das Problem. Es wird gerade ganz viel über Europa geredet, von ganz vielen Menschen. Nur geht es dabei so gut wie gar nicht um jene Fragen, die Europa umtreiben sollten – wie es umgeht mit einem selbstbewussten China und einem unberechenbaren Amerika, wie es eine wirtschaftliche Macht bleibt statt sich in ein Museum zu verwandeln, wie es seine Grenzen sichert und sich zugleich nicht abschottet, wie es das Klima rettet und doch innovativ bleibt?

    Das Prinzip "Spitzenkandidat" war keine demokratische Schnapsidee

    Stattdessen geht es um: Posten, Posten, Posten. Auch der EU-Sondergipfel am Sonntag wird darum kreisen. Das ist besonders schade, weil viel mehr Menschen bei der letzten Europawahl an die Urne gegangen sind. Fast wirkt es, als wollten Europas Top-Politiker diese Europa-Euphorie wieder verscheuchen, indem sie sich besonders viel Mühe geben, alle Klischees von Europa-Gegnern zu bedienen.

    Dazu gehört, dass das Prinzip „Spitzenkandidat“ madig gemacht wird, als sei es eine demokratische Schnapsidee gewesen, die es schnell wieder zu kassieren gelte. Nach dem Motto: Das mit mehr Demokratie ist ja eine schöne Sache, aber besser ist doch ohne. Deswegen soll der nächste Chef oder die nächste Chefin der EU-Kommission lieber ein im Hinterzimmer ausgekungelter Name werden als einer der Spitzenkandidaten bei der Europawahl.

    Schuld daran tragen: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der als Europa-Visionär antrat, aber nun „France First“ praktiziert, Hauptsache für ihn: ein „Non“ zum Deutschen Manfred Weber. Bundeskanzlerin Angela Merkel stemmte sich angeblich dagegen, aber selbst sie beäugte das Spitzenkandidatenprinzip stets skeptisch.

    Könnte Weber einem anderen Spitzenkandidaten ins Amt verhelfen?

    Schuld trägt aber auch das Europaparlament. Schon vor fünf Jahren versuchten die Staats- und Regierungschefs, „Spitzenkandidaten“ auszubremsen. Damals stellte sich das Parlament auf die Hinterbeine – auch weil der Christdemokrat Jean-Claude Juncker im Sozialdemokraten Martin Schulz einen Verbündeten fand.

    Diesmal ist, zugegeben, die Mehrheitssuche noch schwieriger. Sozialdemokraten und Liberale hätten sich hinter der EVP und Weber versammeln müssen – statt das ganze Prinzip zu beerdigen. Es stimmt ja, perfekt ist die Spitzenkandidatenwahl noch nicht. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung, siehe Wahlbeteiligung. Blockiert sich das Parlament nun selbst, verrät es dieses Prinzip.

    Für Weber wäre das bitter. Doch er könnte selbst dann in die Geschichtsbücher eingehen, wenn er den Spitzenkandidaten einer anderen Partei stützt. Dann hätte Weber zwar ein Amt verloren, aber wahre Größe gewonnen und das Spitzenkandidatenprinzip fürs Parlament gerettet.

    Viel verlangt, gewiss. Aber einen Gedanken wert?

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