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Kommentar: Europa darf Polen und Ungarn damit nicht durchkommen lassen

Kommentar

Europa darf Polen und Ungarn damit nicht durchkommen lassen

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    "Weder die polnische Regierung noch das polnische Parlament wird unter dem Druck von Erpressung handeln": Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki gibt sich unversöhnlich.
    "Weder die polnische Regierung noch das polnische Parlament wird unter dem Druck von Erpressung handeln": Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki gibt sich unversöhnlich. Foto: Olivier Hoslet, dpa

    Eigentlich wollte EU-Ratspräsident Charles Michel das Thema Rechtsstaatlichkeit überhaupt nicht auf die Agenda dieses Gipfels setzen. Zu heikel. Zu eskalationsanfällig. Aber am Ende war es nicht nur unvermeidlich, sondern wichtig, dass der Streit um die Unabhängigkeit der polnischen Justiz und den Vorrang des EU-Rechts vor nationalem Recht die Staats- und Regierungschefs gleich zum Auftakt des Gipfels in Brüssel beschäftigte.

    Immerhin schlittert die Gemeinschaft mit jeder weiteren Provokation aus Warschau tiefer in die Krise. Bei einigen Teilnehmern dürfte sich dabei ein Déja-vu-Moment eingestellt haben. Beim letzten EU-Gipfeltreffen im Juni ging es zwar nicht um Polen, dafür um das andere Sorgenkind der Staatengemeinschaft: Ungarn. Damals hatte sich dessen Premier Viktor Orban von seinen Amtskollegen harte Vorhaltungen anhören müssen.

    Beim EU-Gipfel werden die Probleme zu oft weggelächelt

    Der niederländische Regierungschef Mark Rutte etwa meinte angesichts des kurz zuvor verabschiedeten Homosexuellen-Gesetzes, das Land habe in der EU nichts mehr zu suchen. So scharf gehen sich die Staats- und Regierungschefs innerhalb der Harmonie-Blase des Europäischen Rates leider selten an. Traditionell lächelt man während dieser Treffen die großen Probleme gerne auf Gruppenfotos weg und spielt das Spiel der idyllischen Familie.

    Man muss Polen und Ungarn klarmachen, wie sehr sie von der EU profitieren

    Große Herausforderungen, wie etwa jene im Umgang mit Polen, können mit Sonntagsreden und Lippenbekenntnissen aber nur schwer angegangen werden. Deshalb bräuchte es auch dieses Mal einen wohl kalkulierten emotionalen Ausbruch a la Rutte. Bei den Grundfragen der EU kann es keine Kompromisse geben. Zwar sind Drohungen wie ein Rauswurf überzogen, da die europäischen Verträge einen solchen Schritt nicht vorsehen. Die Regierungen in Warschau und Budapest, die mittlerweile Opfer der eigenen Propaganda sind, dürfen jedoch daran erinnert werden, dass sie – milde ausgedrückt – stark von der Gemeinschaft abhängen.

    Der Dialog muss in einem Verbund wie der EU selbstverständlich das wichtigste Instrument bei der Bewältigung von Problemen bleiben. Wenn aber ein Mitglied aus den eigenen Reihen wie jetzt Polen das Prinzip der EU infrage stellt – dass man sich zum gemeinsamen Vorteil unter einem Rechtssystem vereint – müssen schärfere Reaktionen folgen als dies gestern etwa bei Kanzlerin Angela Merkel der Fall war. Denn die Bilanz ihres bisherigen Ansatzes, es im Umgang mit Polen wie auch Ungarn im Guten und mit viel Geduld zu versuchen, darf man als miserabel bezeichnen.

    Das zeigt die derzeitige Situation in Warschau wie auch Budapest. Gleichwohl könnte die Gemeinschaft die Gelegenheit nutzen und sich tiefergehenden Fragen stellen. Das hat sie leider nach dem Brexit verpasst, als es bereits überfällig war. Wie das abtrünnige Großbritannien das einst verlangte, wünscht sich auch Polen ein anderes Europa – und steht damit im Übrigen nicht alleine da.

    Es geht um die Frage, was aus Europa werden soll

    Hier die Befürworter von mehr Nationalstaat, dort jene einer weiteren Vertiefung der politischen Union. Es geht weiterhin um die große Frage, wie die Zukunft Europas aussehen soll und ob alle in die gleiche Richtung schreiten oder in manchen Fällen gezerrt werden sollen. Die Vorstellungen dazu gehen auseinander, was völlig in Ordnung ist. Nur muss man sich in Brüssel dieser Realität stellen – und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen.

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