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Kommentar: Europa braucht ein Konzept für die Türkei

Kommentar

Europa braucht ein Konzept für die Türkei

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    Im Erdgesstreit kritisiert Erdogan die Haltung Griechenlands als egoistisch und ungerechtfertigt und verurteilt Länder, die Athen unterstützen.
    Im Erdgesstreit kritisiert Erdogan die Haltung Griechenlands als egoistisch und ungerechtfertigt und verurteilt Länder, die Athen unterstützen. Foto: Turkish Presidency, dpa (Archiv)

    Wenn die Staats- und Regierungschefs der EU an diesem Donnerstag zu ihrem zweitägigen Gipfel in Brüssel zusammenkommen, wird Recep Tayyip Erdogan zwar nicht persönlich mit am Tisch sitzen – doch sein Land und seine Politik werden das Treffen dominieren. Die türkische Außenpolitik im östlichen Mittelmeer, das Verhalten Ankaras in der Flüchtlingsfrage und das Engagement der Türkei im Libyen-Konflikt beschäftigen die EU mehr, als es den Politikern in Europa lieb ist. Doch eine gemeinsame Reaktion der Europäischen Union auf Erdogans Verhalten gibt es bisher nicht.

    Das liegt daran, dass die türkische Politik die verschiedenen EU-Länder in unterschiedlicher Weise berührt. Zypern und Griechenland wollen Sanktionen gegen Ankara, um Erdogan und die Türkei für die Spannungen im Gebietsstreit im Mittelmeer zu bestrafen. Frankreich ist besorgt wegen des türkischen Einflusses in Libyen, der französische Interessen in Nordafrika bedroht. Deutschland will Strafmaßnahmen gegen die Türkei verhindern, weil es sich von Verhandlungen mehr verspricht als von Sanktionen. Den Politikern in der Europäischen Union sitzt noch der Schock vom Frühjahr in den Gliedern, als Erdogan tausende Flüchtlinge an die türkische Grenze mit Griechenland schickte, um Europa unter Druck zu setzen.

    Das Leben von Recep Tayyip Erdoğan

    Recep Tayyip Erdoğan wird als Sohn eines türkischen Seemanns am 26. Februar 1954 in Istanbul geboren.

    Er geht auf eine Imam-Hatip-Schule in Istanbul, ein religiös orientiertes Fachgymnasium.

    Nach der Schule besucht er die Marmara Universität in Istanbul und studiert dort Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften.

    Im Alter von 24 Jahren heiratet er seine Frau Emine.

    Erdoğan ist zwischen 1994 und 1998 Oberbürgermeister von Istanbul.

    Wegen Demagogie wird er 1999 zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt, vier davon sitzt er ab.

    2001 gründet er die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP).

    2002 ist die AKP bei den Parlamentswahlen erfolgreich. Erdoğan darf wegen seiner Strafe kein öffentliches Amt ausüben.

    Er zieht 2003 nach Verfassungsänderungen durch seine Partei ins Parlament ein.

    Er übernimmt den Vorsitz seiner Partei und wird zum Ministerpräsidenten.

    In den darauffolgenden Wahlen gewinnen Erdoğan und seine Partei immer die absolute Mehrheit.

    Der Präsident hat insgesamt vier Kinder. Sein Schwiegersohn Berat Albayrak ist Mitglied des türkischen Parlamentes.

    Politiker in Ankara schimpfen auf Europa

    Die Erwartungen an den Gipfel sind deshalb niedrig. Der türkische EU-Beitrittsprozess steht nur noch auf dem Papier. In Europa haben die Türkei und ihr Präsident einen so schlechten Ruf, dass kein europäischer Regierungschef auf Zugeständnisse an Ankara erpicht ist. Politiker in Ankara schimpfen derweil gerne und häufig auf die Europäer, die angeblich nur reden würden und ihre Zusagen aus dem Flüchtlingspakt von 2016 nicht einhalten.

    Als die Türkei und Griechenland vor dem Gipfel neue Sondierungsgespräche über den Gebietsstreit in der Ägäis und um Mittelmeer vereinbarten, war das vor dem Hintergrund des desolaten Zustandes der Beziehungen schon ein Erfolg, auch wenn noch nicht einmal ein Datum für den Beginn der Verhandlungen bekannt ist. Ähnlich könnte es beim Gipfel mit den anderen strittigen Sachthemen laufen.

    Europa dürfte versuchen, mit der türkischen Regierung über deren Forderungen nach Visafreiheit, einer Modernisierung der Zollunion und einer Reform des Flüchtlingsabkommen zu reden, obwohl es keine raschen Ergebnisse geben wird: Eine Fortsetzung von Gesprächen über die vielen Streitpunkte ist im Moment das Äußerste, was die europäisch-türkischen Beziehungen hergeben.

    Die EU wird immer wieder von Erdogan überrascht werden

    Wenn alles gut läuft, gewinnt die Europäische Union damit Zeit, um eine einheitliche Haltung gegenüber der Türkei zu finden und sich mit den Motiven hinter Erdogans Krawall-Politik von Griechenland bis Libyen auseinanderzusetzen. Der türkische Präsident will den Status seines Landes als Regionalmacht durchsetzen, die ihre eigenen Interessen offensiv vertritt. Nicht immer steckt ein fertiger Plan oder eine Strategie dahinter. Doch fast immer führt diese Haltung zu Krach mit anderen Staaten aus der Europäischen Union.

    So ist das Streitpotenzial mit den derzeitigen Spannungen längst nicht ausgeschöpft. Im neuen Krieg zwischen dem türkischen Verbündeten Aserbaidschan und Armenien spielt Ankara mit dem Gedanken, zu intervenieren. Künftige Konflikte auf dem Balkan könnten ebenfalls die Türkei auf den Plan rufen, die sich als Schutzmacht der Muslime in Bosnien und anderswo betrachtet. Solange die Europäische Union kein Türkei-Konzept hat, wird sie immer wieder von Erdogan überrascht werden.

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