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Kommentar: Deutschland zeigt die Regenbogen-Flagge – doch das reicht nicht

Kommentar

Deutschland zeigt die Regenbogen-Flagge – doch das reicht nicht

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    Ein Teilnehmer der «CSD Berlin Pride» trägt eine Regenbogenfarbene Flagge mit einem Herz. (Symbolbild).
    Ein Teilnehmer der «CSD Berlin Pride» trägt eine Regenbogenfarbene Flagge mit einem Herz. (Symbolbild). Foto: Christophe Gateau, dpa

    Deutschland zeigt Flagge, die mit dem Regenbogen. Manuel Neuer, Kapitän der Fußballnationalmannschaft, setzt bei der Europameisterschaft mit seiner Armbinde ein Zeichen der Solidarität mit Schwulen und Lesben. Die Bundesregierung verurteilt die homosexuellenfeindliche Politik in Ungarn scharf. Tausende Menschen demonstrieren bei bunten Paraden für die Gleichberechtigung sexueller Minderheiten. Das sind erfreuliche Nachrichten. Doch sie bedeuten leider nicht, dass die Gleichstellung von Menschen, die Angehörige des eigenen Geschlechts lieben, abgeschlossen oder verfestigt wäre. Im Gegenteil: Von vielen Seiten droht ernste Gefahr.

    Lange Geschichte der Ausgrenzung und Unterdrückung

    Homosexuellen im Kampf um gleiche Rechte beizustehen, ist Pflicht einer jeden freien, offenen Gesellschaft. In Deutschland gilt sie umso mehr angesichts einer Geschichte, die von Ausgrenzung und Unterdrückung geprägt ist. Tiefpunkt ist zweifellos die brutale Verfolgung im Nationalsozialismus. Homosexuelle wurden erbarmungslos gejagt, in Konzentrationslager gesperrt, wo Tausende ihr Leben ließen. Grundlage bildete der von den Nazis drastisch verschärfte Paragraf 175, der seit 1872 sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte. Ab 1935 reichten bereits „begehrliche Blicke“ für Verfolgung.

    Empörend ist, dass die überlebenden homosexuellen Opfer der NS-Verfolgung später nicht etwa rehabilitiert wurden. Sondern teils als Verbrecher registriert. In manchen Fällen mussten sie gar Jahre nach Kriegsende Kosten für KZ oder Zuchthaus nachzahlen. Es scheint fast unvorstellbar, dass der Paragraf 175 in der Bundesrepublik Deutschland bis 1969 unverändert galt. Erst 1994 wurde er endlich ganz gestrichen. Gegen heftige Widerstände mussten sich Schwule und Lesben in den Jahrzehnten nach dem Krieg Freiräume erkämpfen. Nachdem Polizisten Ende Juni 1969 das Szenelokal „Stonewall Inn“ in der New Yorker Christopher Street stürmten, begehrten Schwulen und Lesben offen auf. Seither wird der „Christopher Street Day“ gefeiert.

    Ehe für alle als Meilenstein

    Erst 2002 bat der Deutsche Bundestag die homosexuellen NS-Opfer um Entschuldigung. 2017 markierte die „Ehe für alle“ einen weiteren Meilenstein. Doch rechtlicher Handlungsbedarf besteht weiter. Wird in Ehen von Mann und Frau ein Kind geboren, wird dieses automatisch als Kind von beiden Partnern anerkannt, auch wenn es adoptiert oder mit medizinischer Hilfe gezeugt wurde. Wenn hingegen zwei miteinander verheiratete Frauen ein Kind in einer Ehe bekommen, muss die eine Frau es adoptieren. Ein Gesetz, das dies abstellen würde, ist in Arbeit, scheitert offenbar aber bislang am Widerstand des CSU-geführten Innenministeriums.

    Feindseligkeiten gibt es in allen Schichten und Bereichen der Gesellschaft. Im populären Musikgenre Deutschrap strotzen manche Texte nur so vor Schwulenhass. In Dresden wurde 2020 bei einem islamistisch-homophob motivierten Terrorakt ein Mann erstochen. „Schwul“ wird als Schimpfwort auf Schulhöfen und Fußballplätzen gebraucht. Von rund 800 deutschen Profifußballern lebt kein einziger offen homosexuell.

    Gerade weil der Profifußball auch mit seinem Homophobie-Problem ein Spiegel der Gesamtgesellschaft ist, ist es so wichtig, wenn bei der Fußball-Europameisterschaft Zeichen gesetzt werden. Etwa gegen die ungarische Politik unter Viktor Orbán, die schon die Aufklärung über von der vermeintlichen Norm abweichende Lebensweisen unter Strafe stellt. Es bewegt sich gerade vieles bei der Anerkennung Homosexueller, und das ist auch gut so. Aber es gibt eben noch ganz vieles, was besser werden muss.

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