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Kommentar: Das Ende der Willkommenskultur naht

Kommentar

Das Ende der Willkommenskultur naht

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    Es gibt sie noch - die deutsche Willkommenskultur. Doch politisch ist der Kurs mittlerweile ein anderer.
    Es gibt sie noch - die deutsche Willkommenskultur. Doch politisch ist der Kurs mittlerweile ein anderer. Foto: Patrick Pleul, dpa (Archivfoto)

    Als Otto Schily als Bundesinnenminister 2004 die Errichtung von Aufnahmezentren für Flüchtlinge und Migranten ansprach, fielen alle über den SPD-Politiker her. Doch wir haben 2018, das Jahr drei nach den offenen Grenzen. Es hat sich viel getan.

    Die deutsche Willkommenskultur scheint am Ende. An diesem Sonntag wurde sie als europäisches Modell noch nicht endgültig zu Grabe getragen. Das wird am Donnerstag und Freitag passieren, wenn alle EU-Staats- und -Regierungschefs eben diesen Plan zur offiziellen Linie erheben: keine Aufnahme oder Kontrolle auf europäischem Boden mehr, sondern Abschottung, kombiniert mit Abweisung. Zuständig für die, die nach Europa wollen, sind die Drittstaaten außerhalb der Union.

    Die einzige gemeinsame und funktionierende Lösung ist Ausgrenzung

    Es wird ein Sieg der Orbáns und Contes dieser Gemeinschaft werden. Die einzige Lösung, die gemeinsam funktioniert, besteht im Ausgrenzen. Selbst das üble Wort von der „Asylantenflut“, das in Deutschland mal als politisch tabu galt, nahmen fast alle Staats- und Regierungschefs in Brüssel in den Mund. Nur der französische Präsident Emmanuel Macron fand noch Raum, über Werte zu sprechen. Die EU wird zur möglichst uneinnehmbaren Festung.

    Auch wenn es jetzt noch keine Beschlüsse gab, so ist die Richtung doch absehbar, in die diese Union nun gehen wird. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, der sich seiner unpopulären, aber letztlich doch wirksamen Abschottungsvorschläge rühmte, hat bereits gewonnen, noch bevor er am kommenden Wochenende den halbjährlich rotierenden EU-Vorsitz übernimmt. Aus seiner Regierung stammt der Entwurf dieser neuen Solidarität, die vor allem in der Zurückweisung weiterer Ankömmlinge bestehen soll. „Europa First“ wird zur offiziellen Politik der 28 erhoben.

    Wie viel Platz für das Asylrecht da bleibt, erscheint offen. Eine faire Verteilung der bereits aufgenommenen Migranten ist vorerst völlig vom Tisch. Jahrelange Rufe der besonders belasteten Länder nach Solidarität sind verhallt. Heute gibt man sich lernfähig und betont, es habe keinen Sinn, an einer Quote, die nicht mehrheitsfähig sei, festzuhalten. Also einigt man sich auf das, was machbar ist. Damit bleiben ein straffer Grenzschutz und Aufnahmezentren in Drittstaaten übrig. Die EU löst nichts, sie grenzt aus. Dem Populismus wird nichts entgegengesetzt, man gibt ihm recht.

    Kein schlechtes Gewissen mehr, wenn Flüchtlinge nach Libyen zurückgeschickt werden

    Wenn es so etwas wie einen Rest an Hoffnung gibt, dass Humanität und Menschenrechte nicht völlig unter die Räder kommen, dann liegt dies am Hochkommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen. Der machte es den 16 gestern versammelten Staatenlenkern mit seiner Zusage, die neuen Zentren für die Aufnahme von Migranten zu betreiben, leicht, die Verantwortung abzuschieben. Auf diese Weise muss niemand mehr ein schlechtes Gewissen haben, weil Flüchtlinge in libyschen Auffangzentren verbleiben – oder aus dem Mittelmeer gefischt und zurückgebracht werden. Wie die EU künftig diese Stationen zu Horten der Sicherheit und des Schutzes gegen Übergriffe machen will, weiß derzeit niemand. Darf man solche Fragen wirklich einfach ausklammern, damit die EU-Mitgliedstaaten zu Hause sagen können, sie hätten eine europäische Lösung gefunden?

    Merkel muss mit dem Brüsseler Arbeitstreffen nicht unzufrieden sein. Zwischenstaatliche Abkommen über die Rücknahme registrierter Flüchtlinge sind nun möglich und sollen rasch vereinbart werden. Seehofer hat gewonnen, selbst wenn er am nächsten Montag seine Bundespolizei nicht an den Grenzen in Stellung bringen muss. Doch eine Lösung, die Europa hilft und eine humane Flüchtlingspolitik sicherstellt, ist das nicht.

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