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Koalitionskrise: Der rätselhafte Horst Seehofer: Was im CSU-Chef vorgeht

Koalitionskrise

Der rätselhafte Horst Seehofer: Was im CSU-Chef vorgeht

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    In der Welt des Horst Seehofer ist vieles anders. Es ist eine ganz eigene Welt. Der Bundesinnenminister vor einem Fernsehinterview.
    In der Welt des Horst Seehofer ist vieles anders. Es ist eine ganz eigene Welt. Der Bundesinnenminister vor einem Fernsehinterview. Foto: Gregor Fischer, dpa

    Ist wirklich alles so, wie es geschrieben steht? Oder ist es vielleicht doch ein bisschen oder sogar ganz anders? Fest steht: In der Welt des Horst Seehofer ist vieles anders, als es geschrieben steht. Es ist eine ganz eigene Welt. Seine Welt, so wie er sie wahrnimmt.

    Sein Schicksal ist mit ihrem verbunden: Horst Seehofer und Angela Merkel am Mittwoch bei einer Kommissionssitzung.
    Sein Schicksal ist mit ihrem verbunden: Horst Seehofer und Angela Merkel am Mittwoch bei einer Kommissionssitzung. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Von seinem Büro im Bundesinnenministerium in Berlin blickt Seehofer von oben herab auf den Kanzlergarten. Das Kanzleramt, weitgehend verdeckt von Bäumen, schaut aus dieser Perspektive gar nicht so mächtig aus. An diesem Abend ist es – gefühlt – mächtig geschrumpft. Gerade mal eine Stunde ist es her, dass Angela Merkel, zugleich Seehofers wichtigste Mitstreiterin und größte Widersacherin, die bisher härteste Schlappe ihrer Kanzlerinnenschaft hat hinnehmen müssen. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag hat gegen ihren erklärten Willen ihren engsten Vertrauten, Fraktionschef Volker Kauder, aufs Altenteil geschickt. Für die Union ein kleines politisches Erdbeben.

    Welche Rolle spielte Seehofer dabei? Aus der Fraktion hieß es vor wenigen Minuten, Merkel habe ein leidenschaftliches, ja geradezu flammendes Plädoyer für Kauder gehalten. Seehofer dagegen habe sich zwar auch für ihn ausgesprochen, aber gar nicht so leidenschaftlich und schon gar nicht flammend. Tatsächlich macht der CSU-Chef wenig später in seinem Büro nicht den Eindruck, als berühre ihn die Niederlage des Gespanns Merkel/Kauder sonderlich. Er merkt nur nüchtern an: „Es war knapp. Wir haben das Ergebnis als Demokraten zu respektieren.“ Punkt. Fertig. Aus.

    So war es schon öfter, zum Beispiel 2008. Damals war Seehofer von Berlin nach München gekommen – als „weißer Ritter“ zur Rettung der CSU, die unter dem Duo Erwin Huber und Günther Beckstein den bis dato verheerendsten Absturz in der Wählergunst hatte einstecken müssen. 43,4 Prozent bei einer Landtagswahl! In Bayern! Ein Debakel! Seehofer sollte Parteivorsitzender werden, Beckstein Ministerpräsident bleiben. So war es eines Abends ausgemacht worden. Beckstein ging als Ministerpräsident ins Bett. Als er am nächsten Morgen aufwachte, war er das höchste Staatsamt in

    Knapp zehn Jahre später ist Seehofer dann selbst Opfer eines politischen Prozesses geworden. Er musste nach dem schlechten Abschneiden der CSU bei der Bundestagswahl 2017 auf Druck seines Finanzministers Markus Söder den Stuhl des Regierungschefs in München räumen. Dass er im Jahr 2013 für die CSU in Bayern mit heute unerreichbar scheinenden 47,7 Prozent die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag zurückerobert hatte, zählte nicht mehr. Da war nix zu machen. Punkt. Fertig. Aus.

    Sein Ministerium gleicht einem Hochsicherheitstrakt

    Jetzt ist Seehofer wieder in Berlin – „im Bunker“, wie Der Spiegel schreibt. Der Begriff passt irgendwie und irgendwie auch wieder nicht. Die Staatskanzlei in München ist im Vergleich zum Bundesinnenministerium ein geradezu gemütlicher, heimeliger Ort. Journalisten werden von freundlichen Polizisten begrüßt. Man kennt sich. Man plaudert. „Gehen Sie rauf, Sie kennen ja den Weg.“ Im Bundesinnenministerium nutzt es nichts, dass man den Chef seit einem Vierteljahrhundert kennt. Die Polizisten hinter Eisentoren und Panzerglas sind zwar auch hier freundlich. Die Eingangskontrolle aber ist mindestens so humorlos wie an einer Sicherheitsschleuse am Flughafen. Das sei halt ein Hochsicherheitstrakt, sagt Seehofer.

    Unangenehm ist die neue Rolle des Bundesinnenministers für ihn in mancherlei Hinsicht. Mit seiner Tochter etwa gibt es einen ungelösten Konflikt. Sie will mit ihm in Berlin Pizza essen gehen. Er schlägt vor, sie solle zu ihm ins Ministerium kommen. Man könne doch eine

    Das Wort Bunker mag Seehofer dennoch nicht. Das ist verständlich. Wer im Bunker sitzt, zieht den Kopf ein und verschanzt sich, ist in der Defensive und schießt nur aus sicherer Deckung. So nimmt der CSU-Chef sich selbst nicht wahr. In der Politik in der Offensive zu sein, wäre ihm lieber.

    Außerdem: Den Bunker, der einen Politiker vor harten öffentlichen Urteilen schützt, gibt es nicht. Einige Beispiele aus Artikeln, Kommentaren und Leserbriefen der vergangenen zwei Wochen zeigen, wie knüppelhart das Geschäft für den 69 Jahre alten Polit-Fuchs geworden ist. Er wird als „starrsinnig“, „extrem uneinsichtig“, „unverantwortlich“, „narzisstisch“, „böse-verbiestert“ oder sogar als „in die Psychiatrie abrutschend“ gebrandmarkt. Ungewöhnlich harsch fiel auch die Kritik seines Innenminister-Kollegen aus Niedersachsen, Boris Pistorius (SPD), aus. Unter Innenministern gilt unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit ein ungeschriebenes Gesetz, anständig und sachlich miteinander umzugehen. Im Streit um die Ablösung des Chefs des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, aber ist Pistorius der Kragen geplatzt. Er sagte: „Ganz offensichtlich stellt Herr Seehofer parteipolitische Strategiespielchen über seine Verantwortung für das Land und die innere Sicherheit. Das ist unsäglich.“

    Eine Entschuldigung? Wegen des Falls Maaßen? Niemals!

    In Seehofers Wahrnehmung war das selbstverständlich alles anders. Seine Position in der Causa ist bekannt: Maaßen hat seiner Ansicht nach keinen Fehler gemacht, SPD-Chefin Andrea Nahles dagegen hat mit ihrer Rücktrittsforderung völlig überzogen. Daraus hat sich, wie er meint, alles andere ergeben. Und selbstverständlich habe er Recht behalten. Dass er sich für die erst beschlossene, dann wieder zurückgenommene Beförderung Maaßens entschuldigen sollte, so wie erst Nahles und dann Merkel es getan haben, kommt ihm nicht in den Sinn. Niemals.

    Ein Grundkonflikt in der Bundesregierung ist in der Causa Maaßen erneut offenkundig geworden. Man kann ein Problem nur dann gemeinsam lösen, wenn man sich darüber einig ist, worin das Problem besteht. An dieser Voraussetzung fehlt es. Das war in der heftig umstrittenen Personalfrage so. Viel gravierender aber war und ist es bis heute im Dauerstreit um die Flüchtlingspolitik. Merkel sah die Einheit Europas und die offenen Grenzen in Gefahr, Seehofer warnte vor einer Spaltung der Gesellschaft, die unterm Strich nur den radikaleren politischen Kräften rechts von der Union Auftrieb gibt. Das Zwischenergebnis ist für beide Parteichefs wenig schmeichelhaft: Die Einheit

    Die CSU trifft das in besonderer Weise. In 17 Tagen wählen die Bayern einen neuen Landtag, und der Parteivorsitzende muss nun schon seit Monaten aus der Ferne zusehen, wie es in Umfragen beständig bergab geht. Die CSU droht ihre Einmaligkeit und ihr Profil zu verlieren. Das ist seine Sorge. Und es ist auch die Sorge in seiner Partei. Wenn es bei 35 oder 36 Prozent bleibt, das weiß Seehofer, wird in München das Lamento groß sein und die Schuldfrage auf den Tisch kommen. Wer hat den Absturz zu verantworten? Der Parteichef in Berlin oder der Ministerpräsident in München? Wenn dann zwei Wochen später die Hessen gewählt haben, kann es sogar sein, dass es mit der Bundesregierung zu Ende geht. Hier wie dort wird Seehofer im Feuer stehen – gemeinsam mit Merkel. In Berlin gilt es als ausgemachte Sache: Es wird nicht einer der beiden fallen. Wenn einer fällt, dann fallen beide.

    Seehofer gibt sich demonstrativ gelassen. Er will über derartige Horrorszenarien nicht spekulieren, schon gar nicht öffentlich. Und er sieht sich nach rund 40 Jahren in der großen Politik noch lange nicht am Ende. Er will weitermachen – mit Merkel in Berlin und in der CSU-Doppelspitze mit Söder. Politik mache im nach wie vor Spaß, sagt er. Das Gerede über seine angeblich angeschlagene Gesundheit nennt er „totalen Käse“. Seehofer sagt, er wolle dazu beitragen, dass die Bundesregierung endlich wieder in die Gänge kommt. Als CSU-Chef sieht er sich auf jeden Fall bis zum nächsten Wahlparteitag im Herbst 2019 in der Verantwortung. Aber er ist offenbar auf alles vorbereitet.

    Seehofer hat Vorsorge getroffen - mit einer schwarzen Mappe

    Seehofer steht vom Besprechungstisch auf, geht zu seinem Schreibtisch und kommt mit einer schwarzen Mappe zurück. Er hat protokolliert, was in jüngster Zeit alles gesagt, gefordert und beschlossen wurde. Er wird jeden, der etwas anderes behauptet, daran erinnern. Er spricht es nicht aus, aber es ist offenkundig, dass er Vorsorge getroffen hat. Kurz gesagt: Er will, wenn es darauf ankommt, nicht kampflos weichen.

    Komfortabel ist die Stellung des Parteivorsitzenden freilich schon lange nicht mehr. Die CSU-Fraktion im Landtag steht nahezu geschlossen hinter Ministerpräsident Söder. Noch vor wenigen Monaten hieß es, Söder müsse wenigstens das Beckstein-Ergebnis erreichen, um sich im Amt halten zu können. Mittlerweile wurde diese Marke mehrfach nach unten korrigiert – erst auf 40, dann auf 38,5 Prozent (Ergebnis Bundestagswahl 2017), vielleicht noch weniger. Söder gilt bei der Mehrheit der Abgeordneten in München als alternativlos. Seine Mitstreiter, die in einem in der CSU bis dato beispiellosen Machtkampf auch schon Seehofers Ablösung als Ministerpräsident vorangetrieben haben, haben für den schlimmeren Fall der Fälle ebenfalls längst vorgesorgt. Sie werden die Schuldigen in der Bundesregierung in Berlin suchen, oder eben den Schuldigen.

    Ob es dann zu einem großen Showdown in der CSU kommen wird, kann niemand vorhersagen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine Partei, die in eine möglicherweise ungeliebte Koalition gezwungen wird, die Personalfragen hinten anstellt. Ebenso wenig ist ausgeschlossen, dass sehr schnell versucht wird, Seehofer als Parteichef abzulösen. Ihm bleibt dann nur der Eintrag im Geschichtsbuch, dass er für die CSU vielleicht sogar zum letzten Mal die absolute Mehrheit geholt hat. Kann das einen 69-Jährigen im Herbst seiner Karriere noch schrecken? Wahrscheinlich nicht. Das sind halt politische Prozesse. Dann kann man nix machen. Schluss. Aus. Fertig.

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