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Italien: Warum ist Ministerpräsident Mario Draghi in Italien so beliebt?

Italien

Warum ist Ministerpräsident Mario Draghi in Italien so beliebt?

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    Nein, noch hat er keinen Heiligenschein, aber kaum Kritiker: der italienische Ministerpräsident Mario Draghi. Wie sieht seine Zukunft aus?
    Nein, noch hat er keinen Heiligenschein, aber kaum Kritiker: der italienische Ministerpräsident Mario Draghi. Wie sieht seine Zukunft aus? Foto: Gregorio Borgia, dpa

    Es gibt in Italien ein verbreitetes Bedürfnis, in Europa und der Welt endlich gebührend wahrgenommen zu werden. Der ehemalige Ministerpräsident Matteo Renzi gab diesem Bedürfnis erst kürzlich dadurch Ausdruck, als er sagte, die Telefonnummer Europas habe inzwischen eine italienische Vorwahl. Renzi spielte damit auf ein geflügeltes Wort des früheren US-Außenministers Henry Kissinger an, der sich über die Vielstimmigkeit des Alten Kontinents beklagte. Jetzt, da die Kanzlerschaft Angela Merkels ihrem Ende zugeht, gibt es laut Renzi einen neuen Bezugspunkt in Europa: Mario Draghi.

    Draghi ist seit Februar italienischer Ministerpräsident und findet sich in einer für Regierungschefs in Rom ungewohnten Rolle wieder: Fast alle schätzen ihn oder behaupten das zumindest. Im Parlament sitzt mit den postfaschistischen „Fratelli d’Italia“ nur eine einzige Partei in der Opposition.

    Draghi koordiniert seine Vielparteien-Regierung weitgehend geräuschlos, Interviews gibt er nicht. Wenn es rumort, beruft er die Streithähne ein und schlichtet. Umfragen zufolge sind zwei von drei Italienern mit dem 74-jährigen Römer als Ministerpräsident zufrieden. Italien führt zudem derzeit den G20-Vorsitz, und kaum ein europäischer Politiker genießt international mehr Ansehen als der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank (EZB).

    Draghis Kabinett tagt sogar zweimal pro Woche

    Auch in Rom kratzt derzeit niemand am Stuhl des parteilosen Draghi, die Zustimmungswerte für ihn sind zu gut. Die Parteien in seiner Großkoalition von der Linkspartei Leu bis hin zur rechtspopulistischen Lega schmücken sich mit den Lorbeeren der eindrucksvollen Koordinationsarbeit des Premiers. Draghis Regierung tagt zweimal die Woche fix. Sie hat in Windeseile den Plan für die Verwendung der rund 200 Milliarden Euro Corona-Hilfsgelder der EU vorgelegt, 24 Milliarden wurden bereits ausgeschüttet.

    Sie hat wichtige Reformen bei Justiz und Verwaltung auf den Weg gebracht und Italien politisch befriedet, vorübergehend zumindest. Die Pandemie und auch die bis heute mit Händen zu greifende und lange in den Medien geschürte Angst der Italiener vor Corona hat das möglich gemacht. Die Bilder von Särge abtransportierenden Militärlastwagen in Bergamo aus dem Frühjahr 2020 haben das Land traumatisiert.

    Das ist die Ausgangslage für die Regierungsarbeit des ehemaligen EZB-Chefs, der ja eigentlich kein Politiker, sondern ein wirtschaftsliberaler Finanzexperte ist. Diese Prägung bestimmt seine Politik, die ganz auf seine persönliche Glaubwürdigkeit als Retter des Euro („Whatever it takes“, zu deutsch: „Was auch immer nötig ist“) und auf Wachstum ausgerichtet ist. Bis zu sechs Prozent soll das Wirtschaftswachstum in diesem zweiten Corona-Jahr laut Premier betragen: Kein EU-Land wächst so stark wie Italien, das sich schon lange vor der Pandemie de facto in der Rezession befand und nun aufholt.

    Der Zinsaufschlag für italienische Staatsanleihen ist dank des Vertrauens der Märkte in Draghi gering, obwohl Italien von einer Schuldenquote in Höhe von fast 154 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedrückt wird. „Hohe Schulden bekämpft man mit Wachstum“, sagt Draghi.

    In Italien müssen alle Arbeitnehmer geimpft, negativ getestet oder genesen sein

    Das Wachstums-Mantra bestimmt auch Draghis harte Corona-Politik. In Italien müssen seit Mitte Oktober alle Arbeitnehmer geimpft, negativ getestet oder von Corona genesen sein. Der soziale Druck ist enorm. Es gibt Proteste, aber die halten sich in Grenzen. Impfungen sind für Draghi das Mittel, einen neuen Lockdown zu vermeiden und die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Die strengen Maßnahmen machen Italien zum umstrittenen, weil autoritären Vorreiter. Aber sie wirken: 81 Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind bereits vollständig geimpft, in einigen Wochen sollen es 90 Prozent sein. Die Forderung, dass der Staat die 15 Euro teuren Corona-Tests für Arbeitnehmer bezahlt, wies Draghi zurück. Das schade dem Anreiz, sich impfen zu lassen.

    Für Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella wird im Februar 2022 ein Nachfolger gewählt. Wird es Draghi?
    Für Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella wird im Februar 2022 ein Nachfolger gewählt. Wird es Draghi? Foto: Lewis Joly, dpa

    Das verängstigte Italien folgt seinem Leader. Wie lange noch, ist die immer drängendere Frage. Die Legislaturperiode läuft noch bis Frühjahr 2023, das Geld aus dem Wiederaufbaufonds fließt bis 2026. Bis dahin wäre Draghi eigentlich noch gefragt. Doch schon im Februar soll vom Parlament ein neues Staatsoberhaupt in Italien gewählt werden. Für die Nachfolge von Sergio Mattarella, 80, gilt der parteilose Draghi als Kandidat Nummer eins, er hält sich aber bedeckt.

    Hinter den Kulissen wird aber offenkundig auf seine Kandidatur hingearbeitet. Wenn sich die Parteien nicht auf einen Nachfolger für Draghi als Premier einigen, könnte es Neuwahlen geben. Politischen Spekulanten in Rom wie den „Fratelli“ oder der rechten Lega unter Ex-Innenminister Matteo Salvini würde das genau in den Plan passen.

    Selbst Silvio Berlusconi lobt Draghi und will keine Neuwahlen.
    Selbst Silvio Berlusconi lobt Draghi und will keine Neuwahlen. Foto: Claudio Furlan, dpa (Archiv)

    Um so aufmerksamer aufgenommen wurde daher die Wortmeldung von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Die Regierung sei gerade dabei, das Land aus der Corona- und Wirtschaftskrise zu befördern, sagte der 85-jährige Chef der konservativen Forza Italia dem Corriere della Sera: „Es wäre wirklich unverantwortlich, daran zu denken, das vorzeitig zu unterbrechen, um das Land mit einem Wahlkampf zu blockieren.“ (mit dpa)

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